Linkspopulist Mélenchon vergleicht einen Professor mit dem Nazi Eichmann – nun zeigt ihn die Regierung an
Jean-Luc Mélenchon ist schon 72 Jahre alt, aber der einstige Präsidentschaftskandidat hat nichts von seiner Lust an der Provokation verloren. Er bleibt das Enfant terrible der französischen Linken. Den jüngsten Eklat löste ein Nazi-Vergleich aus, den Mélenchon in der Wut über die Absage einer Veranstaltung gemacht hat.
Vor zwei Wochen wollte der Chef der Partei La France insoumise (LFI) an der Universität von Lille eine Veranstaltung zum Konflikt in Gaza abhalten. Eine propalästinensische Studentengruppe hatte Mélenchon eingeladen mit seiner umstrittenen Genossin Rima Hassan, einer Aktivistin mit palästinensischen Wurzeln. Aber der Präsident der Universität untersagte den Auftritt.
Er begründete dies unter anderem damit, dass das Logo der Studentengruppe eine Karte des «freien Palästina» vom Mittelmeer bis zum Jordan enthält – Israel wäre also ausgelöscht. Darauf hatte im Vorfeld auch ein sozialistischer Abgeordneter hingewiesen. Mélenchon versuchte in einen privaten Saal auszuweichen, doch der Präfekt des Département Nord wollte aus Sicherheitsgründen auch von dieser Variante der Veranstaltung nichts wissen. Also sprach der LFI-Chef letztlich auf einem öffentlichen Platz vor einigen hundert Anhängern.
Parallelen zur Nazi-Okkupation
Dort ereiferte sich Mélenchon über die «Zensur». Er stellte historische Parallelen zur Nazi-Okkupation nach 1940 her, schimpfte über die «Faschisten, Kollaborateure und Feiglinge». Und setzte das Verhalten des Uni-Präsidenten, der dem Druck der Israel-Unterstützer nachgegeben haben soll, mit jenem des NS-Funktionärs Adolf Eichmann gleich.
Auch der Organisator des Holocaust habe sich in seinem Prozess damit verteidigt, er habe nur Befehle befolgt. «Und so sagen sie auch heute, dass sie nur das Gesetz befolgen, und setzen unmoralische Massnahmen um, die durch nichts zu rechtfertigen sind», sagte Mélenchon.
Mit diesen Aussagen ist der Linksaussenpolitiker aus Sicht der Bildungsministerin Sylvie Retailleau zu weit gegangen. Die Regierung werde Anzeige erstatten gegen Mélenchon wegen «öffentlicher Beleidigung» eines Staatsangestellten, kündigte Retailleau an.
Sie nahm den Uni-Präsidenten in Schutz: Dieser habe mit Tumulten rechnen müssen, hätte die Veranstaltung stattgefunden. Das Bildungsministerium wies zudem darauf hin, dass LFI seit Beginn des Jahres an französischen Universitäten 19 Konferenzen zum Gaza-Konflikt habe abhalten können. Nur in 6 Fällen sei das nicht möglich gewesen.
Mélenchons Replik
Mélenchon antwortete am Montag, er habe den Uni-Präsidenten nicht als Nazi bezeichnet. «Würde ich denken, dass ein Nazi die Universität führt, würde ich das so sagen, Frau Ministerin – ohne Angst vor Ihnen oder Ihren Klagen», schrieb er auf der linken Website «L’Insoumission». Er habe vielmehr die Feigheit angeprangert, die, wie von Hannah Arendt beschrieben, ins Verderben führe.
Bei LFI scheint sich derzeit alles um den Gaza-Konflikt zu drehen. So mussten sich Rima Hassan und die Fraktionschefin in der Nationalversammlung, Mathilde Panot, am Dienstag einer Befragung durch die Polizei stellen.
Die beiden Politikerinnen stehen unter Verdacht, gegen das Gesetz verstossen zu haben, indem sie den «Terror verteidigt» haben. Panot muss sich für ein Communiqué rechtfertigen, das ihre Fraktion am 7. Oktober veröffentlicht hat, dem Tag der Massaker durch die Hamas in Israel. Darin wurden die Anschläge als «bewaffnete Offensive der palästinensischen Streitkräfte» bezeichnet und die Besetzungspolitik Israels angeprangert.
Solidarität mit Palästina-Freundinnen
Rima Hassan soll in einem Interview im November der Aussage, die Hamas habe eine legitime Aktion durchgeführt, zugestimmt haben. Die Aktivistin bestreitet dies jedoch, es handle sich um eine irreführende Bearbeitung ihrer Aussagen. Die Partei forderte ihre Anhänger auf, sich am Dienstag vor dem Gericht zu einer Solidaritätskundgebung zu versammeln und gegen die «Kriminalisierung der Stimmen des Friedens» zu protestieren. Zahlreiche Personen, darunter auch LFI-Parlamentarier, folgten dem Aufruf.
Für Unruhe sorgt auch die Nachwuchsbewegung von LFI. Sie gehört zu den linken Studentenorganisationen, die den Protest gegen den Gaza-Konflikt in die Pariser Eliteuniversitäten Sciences Po und Sorbonne tragen. Ähnlich wie ihre Gesinnungsgenossen an der Partneruniversität Columbia in New York. In der Nacht auf den 25. April forderte die Sciences-Po-Leitung Dutzende Sondereinsatzkräfte der Polizei an, um ein Sit-in von rund 60 Studenten aus dem LFI-Dunstkreis zu beenden.
Doch kurz darauf besetzten die Pro-Palästina-Aktivisten erneut einen Teil der Hochschule, angefeuert von Mélenchon und Hassan. Für Premierminister Gabriel Attal waren das «schockierende» Aktionen einer «gefährlichen Minderheit, die ihre Regeln allen Studenten und Dozierenden aufzwängen» wolle.
Am Freitag verkündete die Uni-Leitung dann, dass es zu einem Kompromiss gekommen sei. Die militanten Studenten hätten sich verpflichtet, die Lehrveranstaltungen nicht mehr zu stören. Im Gegenzug stellt die Universität einen Teil der Disziplinarverfahren gegen die Unruhestifter ein. Im Mai soll eine interne Debatte stattfinden, bei der alle heiklen Fragen auf den Tisch kommen sollen – auch die Partnerschaften mit israelischen Universitäten, deren Ende die Linksradikalen fordern.
Für bürgerliche Kritiker ist der Deal eine Kapitulation vor den Extremisten. Die konservative Präsidentin der Region Île-de-France hat angekündigt, die finanzielle Unterstützung von jährlich einer Million Euro für die Sciences Po einzustellen, bis dort «Ruhe und Sicherheit wiederhergestellt sind».