Lauterbachs Hochrisiko-Operation: Wie der Gesundheitsminister seine Klinikreform retten will
Deutschland hat zu viele Krankenhäuser. Doch die Schließung kleiner Kliniken ist unpopulär. Gesundheitsminister Karl Lauterbach läuft die Zeit davon.
Erhielt auf dem Ärztetag überraschend Rückendeckung für seine Klinikreform: Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
Das Lob dürfte Gesundheitsminister Karl Lauterbach gutgetan haben. Klaus Reinhard, der Präsident der Bundesärztekammer, dankte dem SPD-Politiker ausdrücklich dafür, dass er die Krankenhausreform überhaupt angegangen ist. Den Mut habe keiner seiner Vorgänger gehabt, sagte Reinhard zum Beginn des Deutschen Ärztetags in Mainz.
Wohl auch deshalb gilt ein Umbau von Deutschlands Krankenhauslandschaft unter Fachleuten als überfällig. So betonte der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege in seinem aktuellen Gutachten, dass Deutschland im internationalen Vergleich über viele Ärzte und Pfleger verfügt. Nur würden diese Personalressourcen verschwenderisch eingesetzt.
In Deutschland gibt es demnach zu viele schlecht ausgelastete Feld-, Wald- und Wiesenkrankenhäuser. Auch landen die Deutschen mit Wehwechen zu oft in der Notaufnahme statt beim Hausarzt und verbringen im internationalen Vergleich zu viele Tage in Krankenhausbetten, statt ambulant versorgt zu werden.
Schlechte Lebenserwartung in Deutschland
Dem deutschen Gesundheitswesen bescheinigte Lauterbach beim Ärztetag, der als eine Art Mediziner-Parlament gilt, gravierende Fehlentwicklungen. Bei der Lebenserwartung hinke Deutschland anderen europäischen Ländern hinterher. In vielen Krankenhäusern fänden aus ökonomischen Zwängen eigentlich vermeidbare Behandlungen statt. In kleinen Kliniken würden Ärzte oft viel zu komplizierte Behandlungen angehen. Bei der medizinischen Forschung sei das Land abgehängt. Eine Reihe radikaler Reformen sei daher unabdingbar.
Mit neuen Vergütungsregeln will Lauterbach erreichen, dass sich viele kleine Krankenhäuser in sektorenübergreifende Versorgungszentren verwandeln. Sie sollen überwiegend ambulante Behandlungen anbieten, mit einer kleinen Bettenstation für Pflege und die Nachsorge nach einfachen Operationen. Komplizierte Therapien etwa bei vielen Krebserkrankungen sollen nur noch an spezialisierten Zentren wie Unikliniken stattfinden.
Drei Klagedrohungen
Doch der Widerstand ist enorm. Lauterbach ist mit gleich drei Klagedrohungen konfrontiert: von den Ländern, den gesetzlichen Krankenkassen und der kassenärztlichen Vereinigung. Vor allem der Konfrontationskurs der Landesgesundheitsminister ist für den SPD-Politiker gefährlich.
In einer gemeinsamen Stellungnahme haben sich alle 16 Bundesländer Ende April gegen seinen Gesetzentwurf gestellt. Sie fürchten den Ärger der Bürger: Weite Wege zur nächsten Klinik sind unbeliebt, in Kleinstädten und auf dem Land sind Krankenhäuser identitätsstiftend.
Dass die Vergütungsregeln reformiert werden müssen, ist dabei unstrittig. Denn derzeit machen viele Krankenhäuser Verluste. Vor bis zu 80 Insolvenzen allein in diesem Jahr warnt die Deutsche Krankenhausgesellschaft.
Lauterbach will mit seiner Reform allerdings vor allem spezialisierte, große Häuser besserstellen. Sie sollen künftig neben den Fallpauschalen für jeden Patienten auch Geld dafür erhalten, dass sie Material und Personal für komplizierte Behandlungen vorhalten. Die Länder monieren, dass die Finanzierung der kleineren Krankenhäuser auf dem Land „nur unzureichend berücksichtigt“ werde.
Außerdem pochen der Länder darauf, dass sie für die Krankenhausplanung zuständig sind. Sie wollen entscheiden, welche Leistungen künftig in den neuen Versorgungszentren angeboten werden.
Lauterbach will Länder umgehen
Wegen des Widerstands der Länder hat Lauterbach das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz – wie die Reform offiziell heißt – so gestaltet, dass der Bundesrat nicht zustimmen muss. Bayern droht deshalb bereits offen mit Verfassungsklage. Ein entsprechendes Gutachten haben allerdings auch andere Länder mitfinanziert.
Lauterbach ist alarmiert. Anders als geplant, wird er seine Reform diesen Mittwoch nicht ins Bundeskabinett einbringen. Erst am 15. Mai soll es so weit sein. Man arbeite derzeit intensiv mit dem Bundesjustizministerium zusammen, um sicherzugehen, dass die Zustimmungsfreiheit im Bundesrat tatsächlich gegeben ist, sagte Lauterbach zuletzt.
Zugleich versucht Lauterbach die Länder mit einem Transformationsfonds von 50 Milliarden Euro zu besänftigten. Mit ihm soll über zehn Jahre der Umbau der Klinikstandorte bezahlt werden. Die Hälfte des Geldes soll von den Ländern kommen, die übrigen 25 Milliarden will Lauterbach beisteuern. Der Haken: Lauterbach mächte dafür einen Fonds der gesetzlichen Krankenkassen plündern – also das Geld der Beitragszahler verwenden. Dies wiederum hält der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) für eine verfassungswidrige Zweckentfremdung.
Und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hält sich eine Wettbewerbsbeschwerde in Brüssel vor – wegen unerlaubter staatlicher Beihilfen, sollte mehr ambulante Versorgung in Richtung der sektorenübergreifenden Versorgungszentren verschoben werden.
Angesichts der massiven Widerstände droht Lauterbach die Zeit wegzulaufen. Ohne Zugeständnisse wird er seine Klinikreform wohl kaum durchbekommen. Denn auch gegen ein nicht zustimmungspflichtiges Gesetz können die Länder im Bundesrat Einspruch einlegen. Den kann der Bundestag nur mit großer Mühe überstimmen.
Auf den Ärztetag signalisierte Lauterbach dann auch Gesprächsbereitschaft. Die Länder-Stellungnahme gegen die Klinikreform will er intensiv prüfen. Sie enthalte auch viel gute Änderungswünsche, sagte der Minister.