Hubert Seipel: Wie sich der NDR »im Rausch der Scoops« verlor

Der Prüfbericht, der die Filme von Hubert Seipel untersucht hat, stellt dem NDR kein gutes Zeugnis aus: Keiner habe die fehlende Distanz des aus Russland bezahlten Filmemachers hinterfragt.

hubert seipel: wie sich der ndr »im rausch der scoops« verlor

Hubert Seipel: Wie sich der NDR »im Rausch der Scoops« verlor

Wenn man das Elend des Norddeutschen Rundfunks (NDR) in einem Satz zusammenfassen müsste, dann vielleicht so wie Joachim Knuth. Zweimal ist der Intendant der Rundfunkanstalt ähnlich intonierten Fragen schon ausgewichen, beim dritten Mal kommt er nicht mehr daran vorbei.

Ob der Umgang mit den Filmen von Hubert Seipel, Buchautor und angeblicher Russlandkenner, nicht ein »klares journalistisches Versagen« des NDR sei, wird er gefragt. Und er antwortet tatsächlich: »Nein, das finde ich nicht, das kann man schon auch in die Zeit hineintextualisieren.«

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Zum Zeitpunkt dieser Aussage haben andere im Raum gerade sehr sachlich und eindeutig das Gegenteil dargelegt. Dass man den Umgang des NDR mit einem seiner renommiertesten Filmemacher als, nun ja, mindestens fehlerhaft bezeichnen könnte.

Im November hatten Recherchen des SPIEGEL, des ZDF, des österreichischen »Standard« und der Schweizer Tamedia-Gruppe in Zusammenarbeit mit dem internationalen Recherchenetzwerk ICIJ nachgewiesen, dass Seipel über die Jahre Hunderttausende Euro aus Russland erhalten hat. Ausgerechnet Seipel, der jahrelang als Putin-Kenner von Talkshow zu Talkshow gereicht wurde und für seine Filme »Ich, Putin« (2012) und »Putin – das Interview« (2014) Anerkennung erhielt.

Niemand wusste von den Zahlungen

Beide Filme hatte er, neben anderen, für den NDR produziert, weshalb der Sender unmittelbar nach der Enthüllung eine Untersuchungskommission einsetzte. Das Gremium unter Leitung des ehemaligen SPIEGEL-Chefredakteurs Steffen Klusmann sollte die versteckten Zahlungen an Seipel überprüfen. »Es besteht der Verdacht, dass wir und damit auch unser Publikum vorsätzlich getäuscht worden sind. Dem gehen wir jetzt nach und prüfen rechtliche Schritte«, sagte NDR-Intendant Knuth damals. Man wolle die Vorgänge gründlich überprüfen.

Und das, so viel wurde bei der Vorstellung der Ergebnisse klar, hat die Kommission getan. Ihren Bericht hat sie am Donnerstag erst mündlich vorgestellt und ihn dann kurz darauf auf der Website des NDR veröffentlicht.

Die Untersuchung beginnt mit einer Vorbemerkung, die bei den Verantwortlichen des NDR wahrscheinlich erst mal zu tiefem Aufatmen geführt haben dürfte. »Die Aufklärung hat keinerlei Hinweise zutage gefördert, dass jemand beim NDR, bei der Produktionstochter oder bei anderen an den Seipel-Produktionen beteiligten Sendeanstalten von den russischen Zahlungen an Hubert Seipel wusste, diese verheimlichte oder gar selbst Geld angenommen hat«, heißt es gleich im ersten Satz.

Damit endet der Wohlfühlteil aber auch schon.

»Nur noch peinlich«

Auf 32 Seiten folgt die schonungslose Beschreibung einer Sendeanstalt, die so berauscht von den exklusiven Zugängen eines eitlen und mit Diva-Allüren auftretenden Starautors gewesen sei, dass journalistischen Standards konsequent ignoriert wurden.

War der NDR schlicht zu naiv? Das Kapitel, das sich dieser Frage widmet, ist mit den Worten »Im Rausch der Scoops« überschrieben. Innerhalb des Senders habe es damals trotz der auffälligen Verklärung Putins in Seipels Filmen keine kontroversen Diskussionen gegeben. »Dass sie zu positiv bzw. zu unkritisch seien, habe niemand beanstandet, sagen Beteiligte, man habe den Putin-gewogenen Ansatz unter der gewünschten Meinungspluralität verbucht.«

Bis jetzt, so heißt es in dem Bericht weiter, stünden die Macher hinter »Ich, Putin«. Nur einer von ihnen sage sehr deutlich: »Aus heutiger Sicht ist der Film nur noch peinlich.«

Und so geht es weiter: Nach »Ich, Putin« habe sich beim NDR durch alle Hierarchien hinweg eine regelrechte Seipel-Begeisterung breit gemacht, wurde der Kommission berichtet. Die kommt zu dem Schluss, dass der Stolz auf die Stoffe offenbar größer gewesen sei als die Vorsicht. »Keiner habe ernsthaft hinterfragt, ob er womöglich die nötige Distanz verloren habe«, gibt der Bericht die Aussagen von Befragten wieder.

Jauch-Redaktion hatte Film nicht gesehen

Tatsächlich trieb die Vergötterung des Filmemachers seltsame Blüten. So beschreibt der Bericht eine Reihe von seltsamen Vorgängen.

    Seipel behielt sich etwa in den Verträgen vor, dass »Änderungen am Treatment nur mit seinem Einverständnis erfolgen durften. Die beiden standardisierten Absätze, die vorsahen, dass er entsprechend den Vorgaben und Wünschen von Cinecentrum und NDR zu arbeiten habe, strich er unwidersprochen«.

    Ein NDR-Kollege, der einen Beitrag mit Seipel für das TV-Medienmagazin »Zapp« machen wollte, wurde angeblich aufgefordert, den Großautor ja nicht zu hart zu befragen. »Der Kollege war höchst irritiert«, heißt es in dem Bericht.

    Niemand wusste offenbar vor der ARD-Ausstrahlung des Putin-Interviews am Sonntagabend zur Primetime, welche Fragen Seipel dem russischen Autokraten Putin stellen würde – weil niemand den Film vorher gesehen hatte. Weder die NDR-Redaktion noch die Redaktion von Günter Jauch.

Der Moderator, in dessen Sendung das Interview lief, soll dementsprechend getobt haben – was verständlich ist. Denn ein solches Vorgehen ist nicht nur absurd, sondern vor allem eines: hochgradig unprofessionell.

Und genau hier dürfte der Bericht den NDR-Granden wehtun – aber vielleicht auch manch anderem öffentlich-rechtlichen Sender. Denn die beiden Kommissionsbeauftragten, neben Klusmann der NDR-Chefjustiziar Michael Kühn, haben neben ihrem Gutachten noch ein zweites Gutachten erstellen lassen, das die Filme in den Kontext der damaligen Zeit, der damaligen politischen Großlage einordnet.

Ein kluger Kniff, wie sich nun zeigt.

Das zweite Gutachten

Konkret ging es im zweiten Gutachten darum, Seipels Filme nach journalistischen Kriterien zu prüfen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob und welche Kreml-Narrative übernommen wurden und wo gegebenenfalls Kontext und Einordnung fehlen. Beantwortet wird diese Frage von Gesine Dornblüth, die von 2012 bis 2017 Moskau-Korrespondentin für Deutschlandradio war und inzwischen als freie Journalistin arbeitet.

Sie beschreibt die Vorgänge nun in einer Klarheit, die nicht nur bei NDR-Intendant Knuth heftige Schmerzen auslösen muss. Sondern auch bei jenen, die sich mit Seipels Filmen und seiner vermeintlichen Russlandexpertise beschäftigt und geschmückt haben. Es ist ein Gutachten, das ein für allemal mit dem entschuldigenden Verweis auf den »Meinungspluralismus« und die damalige Weltlage aufräumt.

»Seipel lässt nicht nur weg«, sagt sie, sondern er habe bereits in seinen Fragen die verzerrten oder schlicht gelogenen Darstellungen des Kreml einfach wiedergegeben. »In seinen Filmen und Interviews hat er Positionen Putins und der russischen Machteliten übernommen, ohne diese kritisch zu hinterfragen – und das, obwohl die Informationen für eine kritische Einordnung vor der Veröffentlichung des jeweiligen Films verfügbar waren. Besonders heikel wurden diese Filme dadurch, dass der Kreml sie ausführlich zur Selbstbespiegelung genutzt hat.«

Seipel, schreibt Dornblüth, »hat sich missbrauchen oder einspannen lassen.«

Keine personellen Konsequenzen

Es ist, wenn man so will, eine ultimative Ohrfeige. Der Fairness halber muss man sagen, dass sie nicht nur dem NDR gilt, sondern auch anderen Sendern und Redaktionen, die Seipel in ihre Talkshows eingeladen oder als Experten befragt haben. Darunter auch der SPIEGEL.

Dass NDR-Intendant Knuth die Seipel-Filme dennoch weiterhin »in die Zeit hineintextualisieren« will, ist allerdings erstaunlich. Oder zumindest unsouverän. Zeigt es doch, dass man im NDR zwar eine Aufarbeitung angestoßen hat, die Ergebnisse aber nur hören will, wenn sie dem Sender bescheinigen, nichts falsch gemacht zu haben.

Wenig überraschend wird es nach Abschluss der Untersuchung weder personelle noch strukturelle Konsequenzen geben. Stattdessen hat Knuth drei Kolleginnen und Kollegen des NDR gebeten, sich die Empfehlungen des Untersuchungsberichts anzuschauen und mit dem abzugleichen, was man schon an internen Regelwerken habe.

Dazu gehört unter anderem, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Compliance-Regeln zu vermitteln, sie eventuell anzupassen und eine »Clearing-Stelle« für interne und externe Hinweise auf Fehler einzurichten. Vor allem aber: Man müsse eine »gesunde Form des Argwohns« etablieren, empfiehlt der Bericht. »Nach dem Motto: ›Das ist jetzt zu schön, um wahr zu sein.‹«

Das würde helfen, sagt Knuth, sich zu »imprägnieren«. Als wäre eine Redaktion dem Missachten journalistischer Standards so hilflos ausgesetzt wie einem plötzlich auftretenden Regenguss.

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