Kritik an der Reform des Zusammenschreibens
Kritik an der Reform des Zusammenschreibens
Sprachen werden nicht selten mit Ökosystemen verglichen, in denen die Wörter als Einzelwesen existieren. Einige der komplexeren unter ihnen, die Komposita, bestehen aus mindestens zwei Teilen, von denen der letzte „Kopf“ genannt wird. Wenn nun jemand den Kopf eines sprachlichen Einzelwesens abtrennt und beispielshalber – wie ich es einst in einer studentischen Klausur las – „Grammatik Regeln“ statt „Grammatikregeln“ schreibt, bedeutet dies eine zu Unrecht vollstreckte lexikalische Hinrichtung, einen Akt sinnloser grammatischer Brutalität, der jedem Menschen mit Sprachsinn physisches Mitleiden verursachen wird. Ich jedenfalls fühle mich angesichts solcher Enthauptungen, als würde vor meinen Augen ein kleines schutzloses Tierchen gnadenlos guillotiniert.
Die zahllosen Geköpften lassen auf die Kopflosigkeit der Henker schließen, und so führte man dieses orthographische Massaker schon früh auf die Schreckensherrschaft des „Deppenleerzeichens“ zurück. Im Internet wurden unter entsprechendem Hashtag die kuriosesten Beispiele gesammelt, darunter etwa die Lehrwerke „Deutsch Unterricht“ und „Allgemein Bildung“, die Beschriftung „ZUGANG ZUM BEHINDERTEN WC“ eine Infotafel vor dem „Klein Gärtner Verein“ und sogar ein Tetrapak mit einer „Kuh Voll Milch“. Auch Bastian Sick mokierte sich in seiner populären Kolumne „Zwiebelfisch“ – die er zu diesem Anlass passend in „Zwiebel Fisch“ umtaufte – über die allzu ehrliche Werbung „24 Stunden ohne Grund Gebühr“.
Doch bei solcherart ausgefallenen Exekutionen, denen zumeist Titel, Markennamen und Beschilderungen zum Opfer fielen, sollte es leider nicht bleiben. Mit der neuen deutschen Rechtschreibung wollte man orthographischen Ausnahmen beikommen, was allerdings nur – wie sonst? – ausnahmsweise gelang. Zu diesen raren Glückstreffern der Reformer zählten die neuen Regeln für die Zusammenschreibung mitnichten. Sie bescherten uns nebst vielen anderen faszinierenden Neuheiten manch eine zuvor unbekannte Aktivität: Während man ehedem nur schlafend rüttelte, durfte man nun endlich auch „wach rütteln“; die seinerzeit mit aller Milde behandelten Eier wurden jetzt erbarmungslos „hart gekocht“; und wer sich früher bisweilen auch ohne Drogen bester Laune zu erfreuen wähnte, konnte nunmehr immer nur „gut drauf sein“.
Indem aber die Sprachneuerer etwa „durcheinanderbringen“ erst zu „durcheinander bringen“ und dann doch wieder zu „durcheinanderbringen“ änderten, wollten sie uns – was sonst? – endgültig durcheinanderbringen. Dieses Vorhaben nun war tatsächlich von Erfolg gekrönt; der Einfluss des Englischen und die Effekte digitaler Sprachkorrektur taten das Ihre. In der Folge beobachtet man heute zumal bei Schülern und Studenten eine enorme Unsicherheit in der Frage, was getrennt geschrieben und was zusammengeschrieben wird. Die auf diesem Gebiet vorherrschenden irreführenden Vorstellungen führen regelmäßig zu solchen Verirrungen wie „irre führend“, aber auch „herunter laden“, „statt finden“, „voll tanken“, ferner zu „äußerst Gewinn bringenden Investitionen“, „Hitze beständigen Materialien“ und „richtig gestellten Fehlern“.
Durch die Leerräume dieser Wortfugen fühle ich den eisigen Luftzug sprachlicher Indifferenz dringen; ich erschaudere, und albtraumhafte Visionen überkommen mich: Ein kalter, blutiger, kaltblütiger Separatismus scheint hier am Werk, der nicht nur Köpfe der Wörter abtrennt, sondern auch ein Symptom sein mag für die Abtrennung unserer Köpfe von der Pulsader des Sprachflusses, vom Rhythmus seines Herzschlags, vom Nerv grammatikalischer Feinfühligkeit. Handelt es sicher gar um die agrammatische Manifestation der allenthalben beklagten Polarisierung des Diskurses unter Menschen, die nicht zueinanderfinden?
Entsetzen fasst mich, und schon schwindet auch meine Widerstandskraft, schon gebe ich nach, schon sehe ich mich in einem glücklosen letzten Versuch der Auflehnung niederschreiben: Niemand soll trennen, was zusammen gehört.