Kommentar zu „No-go-Areas“: Die Angst im eigenen Viertel
Nur die Unsicherheit ist hier sicher: Im Frankfurter Bahnhofsviertel, aber auch in anderen Städten landesweit, bereiten „No go areas“ Sorgen. Die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik entkräftet die Entwicklung nicht; im Gegenteil.
Wer in Frankfurt lebt oder längere Zeit in der Stadt verbracht hat, dem kommt die Debatte, die in diesen Tagen wieder über das Bahnhofsviertel geführt wird, wie ein Déjà-vu vor. Man muss nur vom Hauptbahnhof aus in Richtung Innenstadt laufen. Dann begegnet einem ein Elend, von dem man nicht gedacht hätte, dass es so etwas in Deutschland gibt. Menschen hocken halb vor sich hin dämmernd auf dem Bürgersteig, die Spritze noch im Arm. Crackabhängige stolpern rastlos umher. Ihre Körper in einem stetigen Verfall.
Die Stadtregierung sollte sich Sorgen machen: einerseits über das Bild, das Frankfurt in Deutschland und inzwischen auch im Ausland abgibt. Andererseits darüber, was es bedeutet, wenn immer mehr Bürger ein Viertel in ihrer Stadt meiden, weil die Zustände dort für sie unerträglich geworden sind. Und nicht nur für sie. Jüngst äußerte eine Frau, sie habe eine mehrmonatige Fortbildung in Frankfurt deshalb nicht gebucht, um nicht durch die vom offenen Rauschgiftgebrauch gezeichneten Straßen laufen zu müssen. Ähnliche Beispiele gibt es aus anderen Städten. Es sind nicht zuletzt junge Frauen, die aus bestimmten Vierteln in Berlin, Duisburg, Essen oder Köln wegziehen, weil diese Orte für sie „Angsträume“ geworden sind oder weil sie schlicht nicht mehr Zeuge sein wollen, wie ihre Stadt verfällt.
Im Dauereinsatz: Auch die Polizei konnte im Frankfurter Bahnhofsviertel bislang nicht zu einer nennenswerten Minderung der Anzahl an Straftaten beitragen.
Mehr als nur ein vorbeiziehendes Phänomen
„No-go-Areas“? Geht es nach den Sicherheitsbehörden und nach der Politik, dann gibt es solche Orte in Deutschland nicht. Die Zustände hierzulande seien nicht vergleichbar mit denen in manchen Städten der Vereinigten Staaten, in denen sich selbst Polizeistreifen nicht mehr auf die Straße trauten, heißt es dann. Was allerdings in der Debatte zu kurz kommt, ist die Frage, wer solche „No-go- Areas“ definiert? Ist das überhaupt die Polizei? Sind es nicht vielmehr die Bürger? Geht es nicht um sie, wenn sie sagen, sie trauten sich nicht mehr auf die Straße, weil in ihrem Viertel die Kriminalität zugenommen habe?
Die Angst, Opfer von Gewalt zu werden, hat sich bei vielen Menschen festgesetzt. Und es scheint, als sei sie mehr als ein vorübergehendes Phänomen, das durch soziale Medien getriggert wird. In den meisten Fällen ist die Angst rein subjektiv. Nicht jede dunkle, verwahrloste Ecke einer Stadt ist gleich ein potentieller Tatort. Allerdings hat die jüngste Polizeiliche Kriminalstatistik gerade deutlich gezeigt, dass Gewaltkriminalität stark zugenommen hat. Das Bundeskriminalamt (BKA) führt dafür mehrere mögliche Gründe an.
Zum einen habe das vergangene Jahr nach dem gesellschaftlichen Stillstand in den Corona-Jahren wieder mehr Tatgelegenheiten geschaffen. Zum anderen schlage sich offenbar die inflationsbedingt angespanntere wirtschaftliche Lage in steigenden Fallzahlen nieder. Genannt wird aber auch das „aktuelle Migrationsgeschehen“ – ein Faktor, der politisch lange ignoriert worden ist. Das BKA hält in seinem Bericht nüchtern fest, es sei davon auszugehen, „dass viele Schutzsuchende mehrere Risikofaktoren für verschiedene Deliktbereiche aufweisen“. Gewalt sei vor allem bei Personen zu beobachten, die sich noch im Prozess der „Migrationsdynamik“ befänden, etwa in Erstaufnahmeeinrichtungen. Sie hätten oft selbst Gewalterfahrungen gemacht.
Wie immer sich die Entwicklung der Gewaltkriminalität erklären lässt – die Bürger nehmen diesen Unruhezustand wahr. Oft zeigt er sich in ihrem gewohnten Umfeld. Die Nachbarschaft setzt sich neu zusammen, Stadtteile verändern sich. Anwohner klagen darüber, dass Kommunen nur langsam reagieren, wenn auf Missstände hingewiesen wird.
In Hessen hat das Innenministerium reagiert. Bürger können auf einer Plattform melden, wenn irgendwo eine Laterne nicht funktioniert und eine dunkle Ecke entstanden ist, wenn Sachbeschädigungen begangen wurden, wenn ständig Müll auf den Bürgersteigen entsorgt wird oder alkoholisierte Personen Abend für Abend eine Grünfläche belagern. Die Kommune wird dann beauftragt, die Mängel zu beseitigen.
Die Polizei wird tätig, wenn es in ihre Zuständigkeit fällt. Damit soll das Sicherheitsempfinden der Bürger gestärkt werden. Das ist auch der richtige Weg, um Angsträume schnell wieder zum Verschwinden zu bringen. Wenn Vermüllung, Dreck und Vandalismus einmal um sich gegriffen haben, sind Zustände wie diese nur schwer wieder zu beseitigen.
Manchmal helfen unkonventionelle Lösungen. In Frankfurt ist vor einigen Jahren ein Viertel beinahe gekippt, weil „Problemfamilien“ hinzugezogen sind und den Anwohnern das Leben zur Hölle machten, indem sie die Straßen vermüllten, mit Rauschgift handelten und Nachbarn bedrohten. Am Ende trauten sich ältere Anwohner nicht einmal mehr allein mit ihrem Hund vor die Tür. In diesem Fall lag der Schlüssel bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Sie hat den Familien kurzerhand die Wohnungen gekündigt.