Kommentar: Rangnick-Korb zeigt bittere Bayern-Wahrheit
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Von Martin Volkmar
Man kann sich durchaus die Frage stellen, wie ausgeprägt die Menschenkenntnis in der Führungsetage des FC Bayern ist.
Dort war man sich eigentlich sicher, dass Ralf Rangnick dem gut dotierten Angebot zustimmen würde, den entthronten Meister im Sommer von Thomas Tuchel zu übernehmen.
Umso größer war demnach die Überraschung, als der 65-Jährige am Mittwochabend absagte. Zum vierten Mal in wenigen Wochen geht die Trainersuche nun wieder von vorne los.
Dabei sprach von Anfang an vieles gegen Rangnick.
FC Bayern: Das sprach gegen Rangnick
Seine Unbeliebtheit bei großen Teilen der Bayern-Fans wegen seiner Besserwisserei und seiner Red-Bull-Vergangenheit.
Sein Perfektionismus und sein Machtstreben bei einem Verein, der sich nie einem Trainer ausliefern wollte.
Der Fakt, dass Rangnick bis auf das erfolglose halbe Jahr bei Manchester United nie bei einem absoluten Topklub gearbeitet hat (und daher auch noch nie einen Meistertitel gewonnen hat).
Die erfolgreiche Arbeit als österreichischer Nationaltrainer, sein guter Ruf in der Alpenrepublik und die Tatsache, dass er einen noch bis 2026 gültigen Vertrag hat.
Der dringend nötige Kader-Umbruch bei Bayern, der in die Phase der unmittelbaren EM-Vorbereitung und der EM-Endrunde gefallen wäre.
Rangnicks taktischer Ansatz des Gegenpressings, der das komplette Gegenteil des unter van Gaal eingeführten bayrischen Ballbesitz-Fußballs ist.
Und trotzdem war man beim Rekordmeister offenbar total davon überzeugt, dass Rangnick nicht nur die beste Wahl sei, sondern auch zusagen würde.
So wie man zuvor mehr (Julian Nagelsmann) oder weniger (Xabi Alonso) zuversichtlich bei den ersten beiden Wunschkandidaten gewesen war.
Alonso und Nagelsmann ganz anders als Rangnick
Dabei gab es auch hier klare Anzeichen für eine Absage – unter anderem, dass beide ebenfalls noch unter Vertrag stehen und sich bei ihrem Arbeitgeber in der Pflicht sahen.
Beinahe müßig zu erwähnen, dass beide auch für eine andere Art Fußball stehen als Rangnick.
Aktuell ist also völlig unklar, welcher Trainer mit welchem taktischen Ansatz ab Juli einen Bayern-Kader trainieren wird, der angeblich komplett umgebaut werden soll. Doch wer soll das entscheiden?
Nach einem Plan hört sich das alles nicht an, im Gegenteil.
Eberl kann sich weitere Absage nicht leisten
Max Eberl muss gerade Lehrgeld zahlen.
Der für die Trainersuche Verantwortliche hat allem Anschein nach die Wucht und die Bedeutung des mit Abstand populärsten und erfolgreichsten deutschen Vereins unterschätzt, ebenso wie die permanenten Durchstechereien sämtlicher Wasserstandsmeldungen aus den Führungskreisen an die Medien.
Entsprechend groß ist der Druck nun auf den erst seit zwei Monaten amtierenden Sportvorstand, der sich eine weitere Absage eigentlich nicht mehr leisten kann.
Bayern: Der nächste Kandidat wird lange überlegen
Vielmehr muss Eberl nun auf dem öffentlichen Marktplatz einen Trainer finden, der sich die schwere Aufgabe bei Bayern zutraut – in dem Wissen, dass er nur die vierte Wahl ist, möglicherweise nur ein Übergangsjahr bis 2025 bekommt, wenn Alonso und Jürgen Klopp zur Verfügung stehen könnten, und daher bei Fans und Öffentlichkeit von Beginn an einen äußerst schweren Stand haben wird.
Ganz abgesehen von den regelmäßig wiederkehrenden, markigen Einmischungen des Vereinspatrons Uli Hoeneß.
Kein Wunder, dass der FC Bayern nun einer bitteren Wahrheit ins Gesicht schauen muss: Der Rekordmeister hat für Top-Trainer seine Attraktivität verloren und jeder Kandidat wird sich nun noch länger als Rangnick überlegen, ob er sich den Schleudersitz in der Allianz Arena (sieben Trainer in den vergangenen sieben Jahren) wirklich antun soll.
Schon jetzt ist das ein verheerendes Ergebnis und ein enormer Imageschaden für den langjährigen deutschen Vorzeigeklub.
Fraglich, wie der angekündigte Aufbruch in eine bessere und auch ruhigere Zukunft so noch gelingen soll.