In einem Keller in Bern träumen ein paar Kommunisten von der Revolution

in einem keller in bern träumen ein paar kommunisten von der revolution

«Wir wollen von den Besten lernen»: Ein Lenin-Darsteller inszeniert die Zugfahrt von Zürich nach Petrograd, hundert Jahre danach (2017). Christoph Ruckstuhl / NZZ

In einem Keller in Bern arbeiten Kommunisten im Adidas-Pullover an der Revolution in der Schweiz. Am Samstag lancieren sie «die grösste Rekrutierungskampagne seit 1921» (Eigenbeschrieb). Zwar sei die Mehrheit der Bevölkerung «noch nicht bereit, für den Kommunismus zu kämpfen». Aber es brauche jetzt eine sogenannte Revolutionäre Kommunistische Partei, um «ausgebildete Kader» zu haben, wenn es so weit sei. «Lange, mühsame Jahre der Vorbereitung» erwarten die Revolutionäre, bis überall «kommunistische Zellen» errichtet, bis die Kader «in revolutionärer Theorie und Praxis gestählt» wurden. Knapp dreihundert Genossen seien sie bereits, sagt Caspar Oertli, der Kampagnenleiter, «aber das Potenzial ist extrem, es schreiben uns Hunderte von Leuten, die kämpfen wollen – jetzt!» Oertli ist ein Mittdreissiger, der früher bei den Juso war. Ein Typ mit ruhiger Stimme, der von «Massenunruhen» spricht.

Vorerst existiert die revolutionäre Stimmung vor allem theoretisch, in weitschweifigen Traktaten im Internet oder in der neuen Parteizeitung «Der Kommunist». Die Lektüre führt in eine wie von Sergei Eisenstein errichtete Parallelwelt: «In der quälenden Glut der kapitalistischen Krise wird eine neue Generation von Revolutionären geschmiedet» – so beginnt ein Aufsatz mit dem Titel «Wie die kommunistische Revolution siegen wird». Alles führt immer zurück zu Lenin, Trotzki oder Marx, zur Oktoberrevolution. «Wir wollen von den Besten lernen», sagt Oertli. Die Bezugspunkte der Texte liegen weit in der Vergangenheit. Jeder Satz klingt, als sei er mit Hammer und Amboss geschmiedet: «Das Leben im heutigen Krisen- und Katastrophen-Kapitalismus wird die gesamte Arbeiterklasse, eine Schicht nach der anderen, schmerzhaft lehren: (. . .) Wenn wir leben wollen, muss der Kapitalismus sterben.»

Vorbild Lenin

Das Vorbild der Kommunisten ist die Russische Oktoberrevolution von 1917, «die purste Machtübernahme der Arbeiterklasse in der Geschichte» (Caspar Oertli). Lenin, der Anführer der Bolschewisten, war aus den Studierstuben der Zürcher Zentralbibliothek aufgebrochen, um sich in Russland an der Spitze von Revolution und Rotem Terror wiederzufinden. Gab es Aufstände gegen ihn, konnte er seine Leute anweisen: «Organisiert umgehend Massenterror.» In der «Sonntags-Zeitung» erklärten die Kommunisten von Bern die Repression von Lenin neulich mit den Umständen des Bürgerkriegs.

Jetzt soll Lenin in der Schweiz auferstehen. Die Partei, die er bereits RKP nennt, müsse zu einer «revolutionären Kampforganisation» werden, sagt Caspar Oertli: «Wir sind nicht die, die warten, sondern die, die kämpfen.» Was das bedeutet? Er nennt die Pro-Palästina-Demonstrationen, an denen sich die Kommunisten beteiligten. «Intifada bis zum Sieg», schrieben sie auf ihre Plakate – ein Aufruf zur Gewalt. Universitäten belegten die Kommunisten mit Sanktionen, und die Plakate führten zu innerlinken Abgrenzungskämpfen. Die Juso distanzierten sich. Oertli sagt: «Wir waren die einzigen Linken, die nicht eingeknickt sind.» An einer Demonstration in Zürich habe ihm «ein palästinensischer Arbeiter dreihundert Stutz getwintet». Das ist die revolutionäre Stimmung, die er spürt.

«Kapitalismus muss gestürzt werden»

In der Schweiz ist die Revolution kein einträgliches Geschäft, die Partei der Arbeit (entstanden aus der Kommunistischen Partei der Schweiz, die 1940 verboten wurde) war immer eine linke Kleinstpartei, im Herbst hat sie ihren letzten Sitz im Nationalrat verloren. Aber Caspar Oertli sagt: «Es stehen Massenunruhen bevor.» Was er konkret damit meint? «Es ist etwa nur eine Frage der Zeit, bis die Zauberformel obsolet wird.» Wenn sie nicht aufpassen, klingen in diesem Land auch Revolutionäre wie Mitte-Nationalräte aus dem Berner Oberland.

Oertli sagt, die Schweiz brauche «eine Arbeiterregierung», auch in diesem Land werde es zu «Enteignungen von Banken» kommen.

Die Kommunisten marschieren in eine Bank hinein – und dann . . .?

«Die Kapitalisten werden durch die Arbeiterklasse enteignet werden.»

Mit Gewalt?

«Kapitalismus beruht auf Gewalt und Unterdrückung. Er muss gestürzt werden.»

Gewalt ist ein legitimes Mittel?

«Unterdrückte dürfen sich gegen ihre Ausbeutung auch mit Gewalt wehren.»

Caspar Oertli fordert auch die Enteignung der NZZ durch die Arbeiter, um sich kurz darauf für eine Frage zu bedanken. Diese Kommunisten wirken teilweise wie Historienfilmdarsteller, die noch einmal das Vokabular von 1917 eingeübt haben, und dann wieder wie agitatorische Apokalyptiker. Sie sehen sich als einzige oppositionelle linke Kraft, sie gendern nicht, weil das insinuiere, dass die Realität der Unterdrückten mit Sprache verändert werden könne. Nachdem Oertli darüber gesprochen hat, wie die Schweiz umgestürzt werden soll, der Bundesrat ab- und die Arbeiterklasse eingesetzt, fragt er, ob er die Zitate gegenlesen dürfe, bevor der Text erscheine. Das ist der Stand der Revolution.

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