Kiew braucht keinen kriegsmüden Verbündeten
Die Ukraine steht in ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Aggressoren seit Monaten unter hohem Druck und musste mehrere Ortschaften im Donbass räumen. Ein nächstes militärisches Hilfspaket aus Deutschland ist unterwegs, doch die Lieferung kann bestenfalls etwas Luft verschaffen. Was das Land dringend braucht, sind Flugabwehr und Munition. Putin will unbedingt die Städte Charkiw und Odessa. Von Odessa hätte er dann leichten Weg in die Republik Moldau
Die von russischen Truppen schwer beschädigte Antoniwka-Brücke, die der Hauptübergang über den Fluss Dnipro in der südukrainischen Stadt Cherson ist.
Noch kämpft die Ukraine nicht mit dem Rücken zur Wand, aber sie kämpft mit dem Rücken zum Dnipro. Den Raum von der heutigen Frontlinie im Osten des Landes hin zum größten Fluss der Ukraine muss die Ukraine unbedingt verteidigen, will sie als Staat weiter bestehen. Doch dieser Raum droht zunehmend kleiner zu werden. Wegen des Mangels an Munition und an Luftabwehrsystemen müssen die ukrainischen Streitkräfte, auch zum Schutz der eigenen Soldaten, einzelne Ortschaften im Osten ihres Landes räumen. Ein zunächst taktischer Rückzug. Doch sollten es die russischen Angreifer tatsächlich schaffen, den Dnipro zu überqueren, wäre die Ukraine aller Voraussicht nach verloren. Denn Kreml-Diktator Wladimir Putin verfolgt weiter sein Ziel: Er will das Ende der Ukraine als unabhängiger Staat. Dafür opfert er Zehntausende junger Männer in seinem wahnwitzigen Krieg. Er setzt freigelassene Kriminelle mit dem Versprechen ein, wenn sie sechs Monate an der Front durchhielten, wären sie danach frei. Putins Versprechen sind wie der Rauch über den Schlachtfeldern. Vom Winde verweht.
Das Schicksal des eigenen Volkes ist ihm egal, erst recht das der Ukrainer, solange er sein Ziel eines russisches Riesenreiches post-sowjetischen Zuschnitts erreicht. Die Ukraine ist auf dem Weg dorthin ein Element, ein geographisch großes und psychologisch wichtiges. Niemand darf bei einer Figur wie Putin darauf hoffen, dass er sich mit der Ukraine wirklich zufriedengeben würde. Sein Landhunger ist groß.
Im mittlerweile dritten Jahr dieses verbrecherischen Angriffskrieges Russlands gegen seinen Nachbarn Ukraine hat sich ein Abnutzungskampf entwickelt, bei dem (noch) keine der beiden Seiten einen wirklichen Durchbruch geschafft hat. Doch die Ukraine muss mit ihren Kräften (auch denen ihrer Soldatinnen und Soldaten) haushalten, während Putin immer neue und zusehends schlecht ausgebildete Truppen an die Front schickt und dort verheizt. Der Kriegsherr aus Moskau will unbedingt Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine, erobern, ebenso die Schwarzmeer-Perle Odessa, die er gleichfalls als russische Stadt betrachtet. Von Odessa hätte er dann freien Weg in die nahe Republik Moldau, die von Russland mühelos geschluckt würde. Womöglich greift er auch noch dem Baltikum.
Ein Sieg Russlands in der Ukraine käme Europa und dem Westen teurer als alle bisherige Militärunterstützung zusammen. Das jüngste Waffenpaket aus Deutschland ist eine nächste Hilfe, verschafft der unter Druck stehenden ukrainischen Armee aber bestenfalls eine Atempause und einige Optionen mehr gegen den Feind. Dauerhaft hilft nur, wenn der Westen deutlich mehr Luftabwehrsysteme aus eigenen Beständen liefert oder auf dem Weltmarkt kauft. Dass Putin bereit wäre, die bereits besetzten Gebiete im Donbass oder gar die Krim wieder aufzugeben, gilt als extrem unwahrscheinlich. Unabhängig davon, wie der nächste Präsident der Nato-Führungsmacht USA heißt: Kriegsmüde Freunde helfen der Ukraine nicht weiter. Viel hängt deshalb vom nächsten Nato-Gipfel im Juli in Washington ab. Das Bündnis feiert dann seine Gründung vor 75 Jahren. Ein Land im Krieg wird die Nato nicht aufnehmen. Aber das Bündnis muss zumindest das Signal auch an Moskau senden, dass die Ukraine der Nato sehr nah ist.
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