SPD-Abgeordnete über AfD: „Der Protest ist letztlich wichtiger als ein Verbot“

spd-abgeordnete über afd: „der protest ist letztlich wichtiger als ein verbot“

Demonstration gegen Rechtsextremismus vor dem Bundestag am 21. Januar 2024 in Berlin

Frau Abgeordnete, der erste Bürgerrat des Bundestags hat gerade Vorschläge für eine bessere Ernährung gemacht. Sie haben sich dessen Arbeit aus der Nähe angeschaut. Was ist Ihr Fazit?

Bürgerräte sind ein sehr gutes Instrument, um den Menschen Politik zugänglicher zu machen. Uns Politikern bieten sie die Chance, die Stimmungen und Einstellungen unter den Bürgern besser zu verstehen – über die Grenzen unserer Wahlkreise hinaus. Der Bürgerrat hat auch gezeigt, dass die Bevölkerung an einigen Stellen veränderungsbereiter ist, als wir Politiker annehmen.

Woran machen Sie das fest?

Wir glauben manchmal, dass bestimmte Entscheidungen nicht zumutbar sind – auch weil in der öffentlichen Debatte immer wieder Einzelinteressen nach vorn gespielt werden. Der Bürgerrat hat sich jetzt für eine Tierwohlabgabe oder auch für ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder ausgesprochen. Die Bürger haben also das Gemeinwohl und die Frage nach einer lebenswerten Zukunft in den Mittelpunkt gestellt. Das ist ein großartiges Ergebnis.

Die Union hat ihre Kritik an dem Format erst vor ein paar Tagen erneuert. Der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, nannte derartige „Nebengremien“ eine „Gefahr für unseren Staat“. Hat er recht?

Aus dieser Äußerung spricht die Furcht vor dem eigenen Bedeutungsverlust. Der Bürgerrat steht im gleichen Rang wie andere Expertengremien, die ihre Vorschläge in den parlamentarischen Prozess einbringen.

Viele Bürgerratsteilnehmer fürchten, dass ihre Vorschläge nicht umgesetzt werden, weil sie nicht bindend sind. Es gibt bisher auch kein festes Verfahren für den Umgang mit ihnen, obwohl der Bundestag schon einen zweiten Bürgerrat plant. Ist ihre Sorge also berechtigt?

Zumindest die Regierungsparteien werden sich gründlich mit den Vorschlägen auseinandersetzen. Viele Abgeordnete haben mich schon darauf angesprochen. Und es muss in den kommenden Monaten eine gute Rückkopplung geben: Was wurde umgesetzt, was nicht und warum? Einige Ideen des Bürgerrats werden seit Jahren im Parlament diskutiert. Mit der Rückendeckung der Bürger gibt es jetzt vielleicht eher die Möglichkeit, zu einem Abschluss zu kommen – ob das ein verpflichtendes Label für Lebensmittel ist oder eine Tierwohlabgabe.

Genau da setzt die AfD mit ihren Vorwürfen an. Deren ernährungspolitischer Sprecher Peter Felser äußerte, die Ampel versuche, über den Bürgerrat ihre eigenen Ideen „mit dem moralischen Argument des vermeintlichen Bürgerwillens“ umzusetzen.

Die Kritik der AfD ist lächerlich. Wenn Bürger, die per Zufall und nach repräsentativen Gesichtspunkten aus der gesamten Republik ausgewählt wurden, Vorschläge machen, die der AfD nicht passen, spricht das eher dafür, dass sie mit ihren Vorstellungen auf dem falschen Pfad ist. Das sehen wir auch an den Reaktionen auf die Recherchen von Correctiv zu einem rechten Geheimtreffen, bei dem massenhafte Abschiebungen auch deutscher Bürger geplant wurden. Die Mehrheit will anders über unser Zusammenleben in Deutschland sprechen als die Rechtsextremen. Die Positionen der AfD haben in der Debatte keinen Platz.

Die AfD findet in der Bevölkerung aber immer mehr Unterstützer für ihre Positionen. Haben die dann auch keinen Platz in der Diskussion?

In meinem Wahlkreis höre ich immer wieder Sätze wie: „Wir sind nicht rechts, wir sind nur gegen das, was die Politik gerade macht.“ Mit diesem Unmut oder auch dem Gefühl, dass die gesellschaftlichen Leitplanken nicht mehr zum eigenen Leben passen, müssen wir sehr sensibel umgehen. Aber wir dürfen nicht an den Punkt kommen, dass wir glauben, die Rechtspopulisten seien schon die Mehrheit, nur weil sie lauter sind als andere Teile der Gesellschaft.

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Ariane Fäscher (SPD) sitzt für den brandenburgischen Wahlkreis Oberhavel – Havelland im Bundestag. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement.

Sind Sie für ein AfD-Verbot, wie es gerade diskutiert wird?

Ich bin dafür, gründlich zu prüfen, ob ein Verbot durchsetzbar wäre. Wichtig ist, dass es am Ende keine Bauchlandung wird, dass die AfD nicht vom höchsten Gericht attestiert bekommt, eine demokratische Partei zu sein. Insgesamt halte ich es aber für wichtiger, dass die demokratische Mehrheit jetzt aufgewacht ist und sich gegen diese rechtsextremen Ideen stellt. Der Protest und das Mitwirken der Zivilgesellschaft sind letztlich wichtiger als ein Verbot, das zwar Strukturen schwächen kann, aber kein Gedankengut verändert.

Kommt dieser Protest nicht zu spät? Ist es rechtsextremen Kräften nicht schon längst gelungen, den Diskurs und die Stimmung in der Gesellschaft nachhaltig zu verändern?

Wir müssen jetzt die Chance nutzen, die sich bietet und breit diskutieren: Wie wollen wir leben, welche Werte teilen wir? Wie kann uns Integration gelingen? Die demokratischen Parteien bestreiten ja gar nicht, dass es da Probleme gibt. Wir haben nur andere Lösungsvorschläge als die AfD. Bürgerräte können ein wichtiges Instrument für diese Diskussionen sein, genau wie die Stärkung der Zivilgesellschaft durch die neue Engagementstrategie, an der wir arbeiten.

Was ist das Ziel dieser Strategie, die bis zum Ende des Jahres vorliegen soll?

Ein engagierter Mensch ist ein Mensch, der andere Perspektiven einnehmen kann, der in Aushandlungsprozessen geübt ist, der sich verantwortlich fühlt für die Gemeinschaft – also ein demokratisch denkender Mensch. Eine gute Engagementpolitik ist deshalb zu hundert Prozent Demokratiepolitik.

Viele Vereine klagen, dass kaum noch jemand langfristig Verantwortung übernehmen will, gleichzeitig leiden immer mehr Menschen unter Einsamkeit. Wie passt das zusammen?

Seit Corona sind tatsächlich viele Menschen einsam, junge und alte. Das hat nicht nur negative Folgen für sie selbst, sondern auch für die Gesellschaft. Zwischen Einsamkeit, der Anfälligkeit für Verschwörungstheorien, Rechtsextremismus und Gewaltbereitschaft gibt es nämlich eine statistische Korrelation. Andersherum gilt: Wenn Menschen ihr Umfeld mitgestalten, dann erleben sie Gemeinschaft, Wertschätzung und Selbstwirksamkeit. Sie merken, dass sie politischen Entscheidungen nicht ausgeliefert sind.

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