„Jobturbo“ für Flüchtlinge? Die fragwürdige Bilanz des Arbeitsministers
Arbeitsminister Hubertus Heil nennt es „Jobturbo“: Ukrainer, Afghanen, Syrer und andere sollen in Deutschland Arbeit finden. Er sieht die Bemühungen als Erfolg. Bisherige Zahlen und eine Einschätzung des Bundesrechnungshofes lassen Zweifel aufkommen.
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„Erfolgsgeschichte Jobturbo“ – dazu ein Raketen-Emoji. Zum wiederholten Male luden Daniel Terzenbach und Hubertus Heil die Presse dieser Tage zu einem Termin ein, der untermauern soll: Der sogenannte Jobturbo, mit dem möglichst viele Flüchtlinge in Arbeit kommen sollen, er läuft.
„Viele Unternehmen haben eine hohe Bereitschaft, Menschen mit Fluchtgeschichte einzustellen“, so Terzenbach, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA) und Sonderbeauftragter für das Jobprogramm. Gemeinsam mit einer ukrainischen Friseurin, die durch eine Jobmesse in Berlin Arbeit gefunden hat, wurde für Fotos posiert. „Der Jobturbo läuft auf Hochtouren“, gab sich Arbeitsminister Heil zuversichtlich.
Aber tut er das tatsächlich? Knapp ein halbes Jahr nach Start des Programms ist der Effekt schwer messbar. Die Datenlage ist dünn und die Zahlen, die vorliegen, belegen bislang noch keinen klaren Erfolg. Bei der BA wird auf Nachfrage von WELT relativiert. Die Einordnung als „Erfolgsgeschichte“ im entsprechenden Post auf „X“ habe sich auf den konkreten Fall der Ukrainerin bezogen, die nun als Friseurin arbeitet.
Das Gelingen oder Scheitern des Jobturbos ist aus zwei Gründen von Bedeutung. Zum einen geht es Heil und Co. darum ein Zeichen zu setzen: Anders als in der Vergangenheit wird bei Flüchtlingen jetzt genauer hingeschaut, die erfolgreiche Arbeitsmarktintegration von möglichst vielen Menschen soll der AfD den Wind aus den Segeln nehmen.
Zum anderen geht es ums Geld. Nach wie vor streitet die Ampel um den Haushalt, Heil verwaltet den mit Abstand größten Topf – und droht seine Sparvorgaben zu verfehlen. Etwa eine halbe Milliarde Euro an Sozialleistungen soll durch das Jobprogramm eingespart werden: Ein Ziel, das angesichts der bisher fehlenden Bilanz, verfehlt werden könnte.
Dementsprechend gedämpft soll die Stimmung gewesen sein, als Daniel Terzenbach dieser Tage vor den Haushaltsausschuss des Bundestags trat, wie aus dem politischen Berlin zu hören ist – die gewünschte Erfolgsbilanz des Jobprogramms konnte er den Abgeordneten nicht liefern. In einem ersten Zwischenbericht des Arbeitsministeriums (BMAS) hingegen stehen zwei Zahlen, die zumindest Hinweise geben.
Dort heißt es, die „Kontaktdichte“ der Geflüchteten mit den Jobcentern sei erhöht worden. Demnach gab es von November bis Februar 225.000 zusätzliche Gespräche im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch habe sich die Zahl der bei der BA gemeldeten Stellen, die durch Zuwanderer besetzt werden können, von November bis Februar fast verdoppelt.
Aufschluss darüber, wie viele Flüchtlinge nun tatsächlich seit Herbst in Arbeit gekommen sind und immer noch sind, gibt das nicht. Konkrete Zahlen sucht man im Zwischenbericht vergeblich. „Statistische Daten zur Arbeitsmarktintegration liegen erst mit zeitlichem Verzug vor und sind daher Teil des Berichts Ende September 2024“, lautet die Begründung.
In Arbeit gebracht worden seien seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen Kiew etwa 160.000 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer, heißt es auf Nachfrage beim Arbeitsministerium – das sind aber größtenteils diejenigen, die selbst Arbeit gefunden haben oder vor Start des Jobturbos vermittelt wurden.
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Im Vergleich zu anderen Ländern ist der Anteil derjenigen, die in Arbeit sind, hierzulande deutlich niedriger als anderswo. 25 Prozent waren es im Januar. Insgesamt arbeiten in Deutschland 215.400 Menschen aus der Ukraine, wovon viele aber schon vor Kriegsbeginn hier gelebt haben. Das entspricht einem Anstieg um 36 Prozent oder 56.774 Personen seit Januar 2023, also knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn.
Weitere Unklarheit im Daten-Nebel: Der Ministeriumsbericht gibt keinen Aufschluss darüber, wie nachhaltig die neu begonnenen Beschäftigungsverhältnisse sind und wie viele der Flüchtlinge wiederholt arbeitslos werden. Aus Statistiken ist jedoch bekannt: Knapp die Hälfte derjenigen, die vom Jobcenter in Arbeitsplätze vermittelt werden, sind nach nur drei Monaten wieder auf staatliche Leistungen angewiesen.
Insgesamt hat sich die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse von Flüchtlingen aus den Hauptasylherkunftsländern laut BMAS im vergangenen Jahr allerdings deutlich gesteigert: von 598.028 im Dezember 2022 auf 660.200 im Dezember 2023. Allerdings gab es im selben Zeitraum auch mehr als 350.000 neue Asylanträge. Der Anteil derjenigen, die in Arbeit sind, dürfte also eher gesunken anstatt gestiegen sein.
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Und tatsächlich: Aus dem „Migrationsmonitor“ der BA geht hervor, dass die Beschäftigungsquote unter den Menschen aus den Asylherkunftsländern im Januar bei 41,9 Prozent lag. Langfristig betrachtet ist das ein klarer Anstieg; Mitte 2017 etwa war die Quote nur halb so hoch.
Jedoch erreichte die Beschäftigung im Oktober mit 43 Prozent ihren bisherigen Höchststand und ist zuletzt wieder gesunken. Was die Sache noch komplexer macht: Die Menschen aus der Ukraine sind in dieser Statistik gar nicht erfasst, weil sie kein Asyl beantragen müssen. Ihre Beschäftigungsquote liegt, wie erwähnt, bei 25 Prozent.
Immerhin einen konkreten Erfolg kann die BA belegen: Im März 2024 nahmen gut 5400 bisher Arbeitslose aus der Ukraine eine Beschäftigung auf. Ein klarer Anstieg, immerhin – aber ohne den vergleichbaren Anteil sowie die Abgangsrate in Arbeitslosigkeit ein nur begrenzt aussagekräftiger Wert. „Gleichwohl sehen wir in den letzten Monaten deutlich mehr Abgänge in Beschäftigung im Vergleich zum Vorjahr“, heißt es bei der BA etwas unkonkret.
Spracherwerb und Integration in den Arbeitsmarkt laufen nicht parallel
„Heils Jobturbo ist keine Erfolgsgeschichte, sondern ein stotternder Motor“, urteilt Stephan Stracke, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der CSU-Fraktion. „Derzeit werden pro Monat nur etwas über 5000 Ukrainer in den Arbeitsmarkt vermittelt.
Zugleich sind rund 850.000 Ukrainer im erwerbsfähigen Alter gemeldet“, so Stracke zu WELT. „Lahmt die Integration weiter so, würde es deutlich über zehn Jahre dauern, nur um die jetzt gemeldeten Ukrainer in den Arbeitsmarkt zu vermitteln.“
Der CSU-Mann spricht von „Versäumnissen“ des Arbeitsministers. „Heil hat den Ukrainern den Arbeitsmarktzugang eröffnet, ohne sie beim Weg in Arbeit intensiv zu begleiten. Erst mussten die Ukrainer viel zu lange auf Sprachkurse warten. Dann wurden sie in den Sprachkursen nur geparkt. Qualifikationen wurden in dieser Zeit kaum von den Jobcentern erfasst.“
Genau das müsse nun nachgeholt werden, damit zielgenau in Arbeit vermittelt werden könne. „Die Zeit während der Sprachkurse wurde auch nicht für Bewerbungen und Praktika genutzt“, kritisiert Stracke. „Spracherwerb und Arbeitsmarktintegration müssen aber Hand in Hand gehen. Es braucht beides zeitgleich und nicht zeitversetzt.“
Ebenfalls auffällig beim Jobturbo: Heil fokussiert sich fast ausschließlich auf Flüchtlinge aus der Ukraine. In den vergangenen Monaten absolvierte der Arbeitsminister immer wieder Termine mit ukrainischen Frauen, die in Arbeit gekommen sind – ein anderes Herkunftsland war bei keinem der Gesprächspartner dabei.
Dabei ist das Potenzial genauso hoch, wie BA-Vorstand Daniel Terzenbach im Herbst klargemacht hat. Etwa 400.000 Teilnehmer stünden demnach vor dem Abschluss ihrer Sprachkurse – rund die Hälfte aus der Ukraine, die andere Hälfte aus den Hauptasylherkunftsländern wie Irak, Syrien und Afghanistan.
Dass alle die Kurse erfolgreich absolvieren, scheint jedoch unwahrscheinlich. So haben im ersten Halbjahr 2023 nur 54,6 Prozent der Teilnehmer das Sprachniveau B1 bestanden, wie die sogenannte Integrationskursgeschäftsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zeigt – ein Jahr zuvor waren es immerhin noch 62 Prozent.
Bis Ende September 2023 erreichten sogar weniger als die Hälfte von insgesamt 135.000 Ukrainern das Niveau B1, das unter vielen Arbeitgebern als „Eintrittskarte“ für den Arbeitsmarkt gilt. „Trotz der hohen Ausgaben sind die Ergebnisse ernüchternd“, kritisiert der Bundesrechnungshof im entsprechenden Bericht.
Die Jobcenter würden nun allerdings verstärkt Arbeitgeber dabei unterstützen, Menschen mit geringen Deutschkenntnissen einzustellen, sagt der Sonderbeauftragte Terzenbach. Außerdem seien allein in diesem Jahr von den Arbeitsagenturen und Jobcentern etwa 2500 Veranstaltungen zum Jobturbo geplant. Herausforderungen seien allerdings nach wie vor die Sicherstellung der Kinderbetreuung, die Dauer der Anerkennungsverfahren, der Spracherwerb sowie die schwächelnde Konjunktur. Die Einstellung von Menschen mit Fluchtgeschichte sei weiterhin „ein komplexer Vorgang“, so Terzenbach.