Jetzt müssen Christian Lindner und die FDP liefern
Berlin . Der FDP-Chef will seine Partei als Antreiberin innerhalb der Ampel profilieren: mit einer Wirtschaftswende, einem Mix aus Steuersenkungen, Einschnitten bei Rente und Bürgergeld sowie Bürokratieabbau. Das Programm ist riskant, doch Teile davon könnte Lindner im Ringen mit SPD und Grünen tatsächlich durchsetzen.
FDP-Chef Christian Lindner auf dem Bundesparteitag am Samstag in Berlin.
Die FDP hat richtig erkannt, dass die deutsche Politik mehr tun muss zur Steigerung des Wirtschaftswachstums. Denn Ökonomen haben ausgerechnet, dass die deutsche Wirtschaft nur noch in der Lage ist, im Jahresdurchschnitt um ein halbes Prozent zu expandieren – das ist zu wenig, um den Wohlstand zu erhalten, den Weg in die Klimaneutralität, Investitionen in Bildung und Infrastruktur, hohe Sozialausgaben, Herausforderungen bei innerer und äußerer Sicherheit zu finanzieren. In der Wachstumsschwäche sieht FDP-Chef Christian Lindner eine Chance für die Liberalen, weil er jetzt – besser spät als nie – seine Partei als Antreiber innerhalb der Ampel profilieren will. Die Delegierten auf dem Berliner Parteitag am Samstag sind dankbar für diesen Aufschlag: Sie applaudieren Lindners Wirtschaftswende-Rede vier Minuten lang.
Im Leitantrag, der auf dem Parteitag am Samstagnachmittag debattiert wird, fordert die FDP die Abschaffung der Rente mit 63, härtere Sanktionen für Jobverweigerer im Bürgergeld, ein generelles Moratorium für Sozialausgaben, den kompletten Wegfall des Solis, weitere Steuerentlastungen, den Stopp der Förderung erneuerbarer Energien und ein jährliches Bürokratieabbaugesetz. Für SPD und Grüne ist es eine Provokation, vor allem die SPD reagierte empört. Sie warnt die FDP davor, Zweifel an der Stabilität des Regierungsbündnisses zu säen. Dabei wissen die Bündnispartner, dass sich die FDP aus der Ampel nicht davonschleichen wird, denn der Ausstieg wäre für die Fünf-Prozent-Partei riskanter als der Verbleib.
Richtig ist, dass Bürokratiedickicht, hohe Energie- und Arbeitskosten, der Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel die Investitionsbedingungen der Unternehmen verschlechtert haben. Daran zu drehen, macht also ökonomisch viel Sinn. Um aber das Wachstum wirklich noch in dieser Legislaturperiode spürbar anzukurbeln, müsste Lindner im zweiten Schritt den Weg für eine Reform der Schuldenbremse freimachen – unter der Bedingung, dass sich die Ampel im ersten Schritt tatsächlich auf strukturelle Reformen einigt.
Das FDP-Programm birgt für die Partei ein politisches Risiko: Setzt sie keinen oder zu wenige Punkte durch, hat sie in den Augen ihrer Anhänger versagt. Lindner allerdings kennt seine Koalitionspartner und ist ganz guten Mutes, Teile seines Programms in Verhandlungen mit SPD und Grünen tatsächlich durchzusetzen. Die SPD könnte sich beim Bürgergeld beweglicher zeigen, schließlich empfinden auch viele SPD-Wähler die Lockerung der Bürgergeld-Regeln als ungerecht gegenüber denen, die das Bürgergeld erwirtschaften.
Bei der Rente könnte Lindner die Grünen auf seine Seite ziehen, die ebenfalls auf mehr Arbeitsanreize für ältere Menschen pochen. Die SPD allerdings mauert bei keinem Thema so sehr wie bei der Rente: eine Abschaffung der Rente mit 63 wird mit ihr nicht zu machen sein. Allerdings könnte die Koalition neben der Haltelinie beim Rentenniveau von 48 Prozent auch wieder eine Haltelinie bei den Beitragssätzen vereinbaren. Auch Steuerentlastungen, die über den Abbau der kalten Progression hinausgehen, wird Lindner wegen der knappen Haushaltsmittel wohl nicht durchsetzen können.
Immerhin einig sind sich alle drei Koalitionspartner, beim Bürokratieabbau voranzukommen. Allerdings können sie damit beim Wähler keinen besonders großen Blumentopf gewinnen. Wenn nur dieser eine Punkt übrig bliebe vom ambitionierten FDP-Programm, wäre das für Lindner zu wenig.
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