Nach Thyssen-Knall: Die ungewisse Zukunft von Stahl Made in Germany

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Druck aus Asien: Thyssen-Stahl will Kapazitäten reduzieren und Stellen abbauen, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren.

Deutschlands größtes Stahlunternehmen Thyssenkrupp Steel stellt sich auf harte Zeiten ein. Die installierte Kapazität sei zu hoch, das Produktionsnetzwerk strukturell ausgelastet. Deshalb müsse der Konzern seine Kapazitäten reduzieren und Stellen abbauen, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren. Wie viele Arbeitsplätze dem Umbau zum Opfer fallen werden, bezifferte der Konzern nicht, er dürfte aber erheblich sein.

In seiner Stahlsparte beschäftigt Thyssenkrupp 27.000 Menschen, davon 13.000 an den beiden Hauptstandorten in Duisburg. Stahlchef Bernhard Osburg hat die Betriebsräte am Freitag auf harte Verhandlungen eingestimmt, zugleich zugesichert, betriebsbedingte Kündigungen wenn möglich zu vermeiden.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte der F.A.Z., er bedauere die Entscheidung, die „insbesondere vor dem Hintergrund der schwierigen globalen Wettbewerbssituation aufgrund von weltweitem Überangebot und Überproduktionen gefällt worden“ sei. Umso wichtiger sei es, dass die Bundesregierung die Stahlbranche bei der Transformation hin zu grünem Stahl unterstütze. „Wir erleben seit mehreren Jahren eine deutliche Überproduktion von Stahl – jetzt auch noch gepaart mit einem Rückgang der Nachfrage aufgrund der durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hervorgerufenen weltweiten eingetrübten Wirtschaftslage.“

Förderbescheid über zwei Milliarden Euro

Die Nachricht aus Duisburg ist auch deshalb brisant, weil das Unternehmen erst im Juli 2023 von Habeck und seiner nordrhein-westfälischen Kollegin Mona Neubaur (beide Grüne) einen Förderbescheid über zwei Milliarden Euro erhalten hat. Die Fördermittel sollen einen Teil der Kosten der Transformation hin zur politisch gewünschten klimafreundlichen Stahlproduktion abdecken. Neubaur zeigte sich am Freitag enttäuscht: Es handele sich um eine „enttäuschende Nachricht – für den Stahlstandort Deutschland und Nordrhein-Westfalen, in erster Linie aber für die vielen Beschäftigten“, sagte sie. Auch angesichts der staatlichen Zuschüsse gelte es jetzt, „für die Betroffenen faire und tragfähige Lösungen zu finden“.

Die Zuschüsse kann Thyssenkrupp wahrscheinlich behalten, wenn das Unternehmen das konkret geförderte Projekt – ein Teil der Produktion in Duisburg soll klimaneutral umgebaut werden – weiter wie geplant umsetzt. Die zugesagten Fördermittel unterscheiden sich damit von anderen staatlichen Hilfen wie den Energiepreisbremsen. Diese waren daran geknüpft, dass 90 Prozent der Arbeitsplätze am Standort erhalten bleiben. Im Fall eines Verkaufs des Stahlkonzerns würde der Förderbescheid an den Käufer übergehen – der dann aber auch die mit der Politik vereinbarten Bedingungen einhalten müsste.

Grüne Transformation läuft weiter

Nach Angaben von Thyssenkrupp soll es an der „bereits eingeleiteten Umsetzung der grünen Transformationen“ keine Änderungen geben. Der Bau der ersten Direktreduktionsanlage in Duisburg werde weiter wie geplant umgesetzt. Ziel bleibe, bis spätestens 2045 klimaneutral zu produzieren.

Insgesamt hat der Bund etwa sieben Milliarden Euro Hilfen für die Transformation der Stahlindustrie bewilligt. Die beiden saarländischen Stahlkonzerne Saarstahl und Dillinger Hütte, deren Umbau mit 2,6 Milliarden Euro gefördert wurde, haben nach eigenem Bekunden keine Pläne für einen Stellenabbau. „Das ist für uns kein Thema“, sagte ein Sprecher der Stahlholding Saar.

Auch Salzgitter plant nach eigener Darstellung keinen Stellenabbau. Der zweitgrößte deutsche Stahlhersteller hatte als erstes Unternehmen der Branche eine Förderzusage bekommen, knapp eine Milliarde Euro. Insgesamt bis zu 2,4 Milliarden Euro will er in den klimaneutralen Umbau der Werke stecken. „Wir sind mittendrin“, sagte Salzgitter-Chef Gunnar Groebler vor wenigen Wochen und bekräftigte: Aus der geförderten Anlage werde 2026 grüner Stahl auf den Markt kommen. Neben den deutschen Herstellern hat der Bund auch dem Stahlriesen Arcelor Mittal für die Dekarbonsierung seiner Produktionsstandorte in Bremen und Eisenhüttenstadt 1,3 Milliarden Euro Förderung zugesagt.

Nur ein „Aufräumen“ vor dem Verkauf?

Der deutsche Branchenprimus Thyssenkrupp Stahl hat seit langem Probleme. Der Verbleib der ehemaligen Kernsparte im Thyssenkrupp-Konzern gilt als ungewiss. Seit längerem schon verhandelt die Muttergesellschaft über einen Verkauf, konkret soll der tschechische Investor Daniel Kretinsky mit seiner Holding EPH an einem Einstieg interessiert sein. Dass das jetzt angekündigte „Aufräumen“ vor dem Verkauf stattfindet, wäre nicht ungewöhnlich.

Im vergangenen Geschäftsjahr hatten milliardenschwere Abschreibungen auf die Stahlsparte dem Mutterkonzern Thyssenkrupp einen Fehlbetrag von zwei Milliarden Euro eingebracht. Auch intern ist der Konzern zerstritten. Die Gewerkschaft IG Metall hat vor der Hauptversammlung sowohl den Vorstand des Mutterkonzerns als auch dessen Aufsichtratsvorsitzenden, BDI-Präsident Siegfried Russwurm, scharf kritisiert und der Führungsetage „Ziellosigkeit“ vorgeworfen. Fehlende Investitionen und unklare Strategien gefährdeten die Zukunft des Konzerns.

In den kommenden Wochen will der Vorstand der Stahlsparte seine lang erwartete neue Strategie offiziell vorstellen. Dass der Konzern nun davor schon Belegschaft und Öffentlichkeit auf Stellenstreichungen einstimmt, ohne konkrete Zahlen zu nennen, sei den vielen Lecks im Unternehmen und der Unruhe in der Belegschaft geschuldet, heißt es.

Chinesische Konkurrenten gewinnen Marktanteile

Thyssen Stahl geht zwar nach eigenem Bekunden davon aus, dass der Stahlmarkt in Europa weiter langsam wächst. Die deutschen Stahlkocher verlören aber Marktanteile vor allem an chinesische Unternehmen. Der Aufsichtsratsvorsitzende Sigmar Gabriel hatte schon zuvor von einer „existenzbedrohenden“ Konkurrenz aus Fernost gesprochen. Etwa die Hälfte des Thyssen-Stahls wandert nach Angaben des Unternehmens in die Autoindustrie, weitere wichtige Absatzkanäle sind demnach die Energiewirtschaft, Verpackungen und Bau.

Der Umbau der Autoindustrie hin zur Elektromobilität wird die Nachfrage nach Stahl nach Einschätzung von Thyssen nicht drücken, der Stahlbedarf pro Auto werde nicht sinken. Allerdings rechnet Thyssen mit strukturellen Veränderungen im Markt. So soll die erste europäische Autofabrik des chinesischen Elektroautokonzerns BYD in Ungarn nur ein Montagewerk werden. Die Bleche würden aus China importiert.

Das von der EU beschlossene „Grenzausgleichssystem“ CBAM – das Importeure von 2026 an vereinfacht gesagt zu einer Kompensationszahlung für nichtgrüne Produkte verpflichten soll – wird die deutschen Stahlindustrie nach Einschätzung von Thyssen kaum schützen. Zu einen sei es de facto schwer zu kontrollieren, unter welchen Bedingungen importierter Stahl tatsächlich produziert worden sei, heißt es aus dem Umfeld.

Zum anderen seien viele Stahlwerke in China schon jetzt hochmodern, und sie könnten zudem mit deutlich niedrigeren Energiekosten produzieren. Der Umbau in Deutschland werde hingegen noch einige Zeit dauern. China produziert etwa eine Milliarde Tonne Stahl, rund die Hälfte des Weltmarktes. Thyssenkrupp verfügt nach eigener Darstellung über eine Produktionskapazität von 11,5 Millionen Tonnen – sie soll im Zuge der Sanierung auf 9 bis 9,5 Millionen Tonnen reduziert werden.

Der Betriebsrat kündigte eine Betriebsversammlung im Duisburger Fußballstadion an. An der für den 30. April geplanten Veranstaltung werde ein Großteil der 27.000 Beschäftigen kommen. IG Metall und Betriebsrat wollen nach eigener Darstellung nur dann über den geplanten Kapazitätsabbau sprechen, wenn vorher betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden. „Unsere Voraussetzung für Verhandlungen über eine Neuaufstellung des Unternehmens ist ein harter Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen über März 2026 hinaus“, sagte der IG-Metall-Vertreter und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Stahlsparte, Detlef Wetzel.

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