Die Welt wächst wieder – und Deutschland fällt noch weiter zurück

Der Internationale Währungsfonds (IWF) senkt seine Wachstumserwartung für Deutschland noch einmal ab. In anderen Ländern läuft die Konjunktur deutlich besser – den Krisen zum Trotz. Bei allem grundsätzlichen Optimismus warnt der IWF vor drei Wachstumsbremsen.

die welt wächst wieder – und deutschland fällt noch weiter zurück

Bevor die Finanzminister und Notenbank-Chefs zur Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds in Washington überhaupt alle da sind, erhalten sie schon Noten – und zwar in Form einer Prognose für das Wirtschaftswachstum ihres Heimatlandes.

Den deutschen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesbank-Präsident Joachim Nagel, die in der Nacht zu Mittwoch anreisen, erwarten keine guten Nachrichten. Der IWF senkt in seinem World Economic Outlook die Wachstumserwartungen 2024 noch einmal gegenüber der Januar-Prognose: Statt 0,5 Prozent Wachstum trauen die Experten Deutschland nur noch 0,2 Prozent zu.

„Das Erholungstempo wird für Deutschland für 2024 und 2025 um jeweils 0,3 Prozentpunkte nach unten korrigiert, da die Verbraucherstimmung nach wie vor schwach ist“, schreiben die Experten der Sonderorganisation der Vereinten Nationen zur Förderung der Finanzstabilität. Für 2025 gehen sie nun von einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1,3 Prozent aus.

Die Zahlen dürften Lindner und Nagel nicht überraschen. Die Bundesregierung selbst war es, die bereits im Februar in ihrem Jahreswirtschaftsbericht ein erwartetes Wachstum von 0,2 Prozent für 2024 erwähnte. Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute reduzierten ihre Erwartungen Ende März in der sogenannten Gemeinschaftsdiagnose sogar auf 0,1 Prozent.

Doch der World Economic Outlook bestätigt nicht nur die trüben Wachstumsaussichten für Deutschland. Er bietet vor allem einen internationalen Vergleich. Und da wird deutlich, dass es andernorts trotz aller weltweiten Krisen besser läuft. Von den großen Industrienationen muss nur das Nachbarland Frankreich ebenfalls einen Abschlag von 0,3 Punkten gegenüber der Schätzung aus dem Januar hinnehmen.

Positiver gestimmt als noch im Januar sind die Experten des IWF dagegen für die Vereinigten Staaten mit einem erwarteten Wachstum in diesem Jahr von nunmehr 2,7 Prozent. Das ist ein Plus von 0,6 Punkten gegenüber Januar. Auch für Brasilien (plus 0,5 Punkte), Spanien (plus 0,4 Punkte) und Indien (0,3 Punkte) sind sie mittlerweile optimistischer. Unverändert ließ der IWF seine Prognosen unter anderem für China, Japan und Italien.

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Unter dem Strich sieht der Internationale Währungsfonds die Entwicklung der Weltwirtschaft etwas optimistischer. „Trotz düsterer Vorhersagen bleibt die Weltwirtschaft bemerkenswert widerstandsfähig, mit stetigem Wachstum und einer Inflation, die sich fast so schnell verlangsamt, wie sie angestiegen ist“, kommentierte IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas die Ergebnissse.

Für dieses Jahr erwartet der IWF weltweit nun ein Wachstum der Wirtschaftsleistung von 3,2 Prozent nach 3,1 Prozent im Januar. Der Wert für 2025 blieb mit ebenfalls 3,2 Prozent unverändert. Schon in der Vorwoche hatte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa auf die robuste Konjunktur in den Vereinigten Staaten und in vielen Schwellenländern verwiesen. Man könne aufatmen. „Wir haben eine globale Rezession vermieden und auch eine Phase der Stagflation“, sagte Georgiewa, deren Amtszeit an der Spitze der Finanzinstitution gerade um weitere fünf Jahre verlängert wurde.

Es gebe allerdings noch viele Dinge, die Anlass zur Sorge geben würden. Die Bulgarin verwies unter anderem auf geopolitische Konflikte. Die Welt kämpfe mit häufigeren Schocks und einer hohen Unsicherheit. Im langfristigen Vergleich sind 3,2 Prozent für die Weltwirtschaft ein schwacher Wert, in der Vergangenheit waren es im Durchschnitt eher vier Prozent.

Zudem könnten auch die Inflationsraten wieder steigen. Der IWF verweist zum einen auf die zuletzt wieder gestiegenen Ölpreise, zum anderen auf weitere Handelsbeschränkungen für chinesische Exporte – sprich Strafzölle, wie sie beispielsweise gerade für Elektrofahrzeuge aus der Volksrepublik diskutiert werden.

Der Währungsfonds gibt den Finanzministern und ihren Regierungen eine Reihe von Hausaufgaben auf. „Die politischen Entscheidungsträger sollten Maßnahmen für eine größere wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit, wie die Stärkung der Staatsfinanzen und die Wiederbelebung der wirtschaftlichen Wachstumsaussichten, Vorrang einräumen“, schreibt Chefvolkswirt Gourinchas.

Nach Jahren gestiegener Schulden müssten wieder Puffer in den Haushalten aufgebaut werden. Eine Konsolidierung sei nie einfach, aber es sei besser, als zu warten, bis die Kapitalmärkte die Bedingungen diktierten, so Gourinchas. Mit Blick auf die Steigerung der mittelfristigen Wachstumsmöglichkeiten verweist er zudem auf einen möglichen Produktivitätsschub durch Künstliche Intelligenz, kurz KI.

Auch hier müsse die Politik jetzt Vorarbeiten leisten. „Um das Potenzial der KI für alle nutzbar zu machen, müssen die Länder ihre digitale Infrastruktur verbessern, in Humankapital investieren und sich auf globale Spielregeln einigen“, schreibt er.

Noch ein dritter Punkt bereitet dem IWF mit Blick auf die fehlende Wirtschaftsdynamik Sorgen: nämlich die Folgen der geopolitischen Spannungen und möglicher Handelskriege. „Die mittelfristigen Wachstumsaussichten werden auch durch die zunehmende geoökonomische Fragmentierung und den Anstieg der handelsbeschränkenden und industriepolitischen Maßnahmen beeinträchtigt“, heißt es. Das könne dazu führen, dass die Weltwirtschaft nicht widerstandsfähiger, sondern weniger widerstandsfähig wird.

Es sind Hausaufgaben, die Finanzminister Lindner durchaus gerne mit zurück nach Deutschland nehmen dürfte. In seinem Ministerium fühlt man sich durch die IWF-Analyse zumindest bestätigt, das es mit ein paar Maßnahmen zur Konjunkturbelebung nicht getan ist, um Deutschland wieder voranzubringen, sondern tiefergehende, strukturelle Reformen unvermeidbar sind. Niedrigere Steuern, zusätzliche Arbeitsanreize für Fachkräfte, weniger Bürokratie gehören zu den Eckpunkten, die Lindner in den nächsten Wochen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verhandeln will.

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