Teletext: Saltburn

Teletext: Saltburn

Dass sich jede Generation eine bestimmte Geschichte dringend auch erzählen muss, die sich schon die Generation davor erzählt hatte und die davor auch und die davor genauso und immer so weiter – das ist ein Lebensnerv der Kunst. Etwas scheint da noch nicht genug ausbuchstabiert, ins Bild gesetzt zu sein. Da muss ein Gefühl unter den allerneuesten herr­schenden Bedingungen der Gefühle erforscht werden. Da können sexuelle und soziale Beziehungen zum ersten Mal überhaupt frei gezeigt oder beschrieben werden. Und falls ältere Updates dieser Geschichte dann Spuren im neuesten Update hinterlassen haben, dann erhöht das nur den Spaß. Es ist sicher nicht der Beweis dafür, dass die Jüngeren den Kanon der Älteren einfach noch nicht verstanden haben. Oder alle Fragen längst beantwortet sind.

Kaum eine Geschichte ist häufiger auf den neuesten Stand gebracht worden als die vom Erwachsenwerden. Die englischen Begriffe dafür sind griffiger, coming of age oder rites of passage, und weil diese Geschichte ja selbst einen Prozess erzählt, eine unabgeschlossene Bewegung in der Zeit, passt es auch formal, dass der Prozess des Erzählens nicht abgeschlossen sein kann, sondern immer neue Auflagen erleben, weitergehen muss. Die neueste Auflage ist jetzt „Saltburn“, als Kinofilm in Deutschland direkt auf Amazon Prime Video gelandet: die Geschichte eines sehr reichen und sehr schönen jungen Mannes auf dem College in Oxford, Felix, der sich mit einem weniger reichen und schönen jungen Mann namens Oliver anfreundet, ihn auf seinen Landsitz einlädt, weil Sommer ist und der weniger schöne und reiche Mann nicht zu seiner Familie heim will, aber dann nimmt das Verhängnis seinen Lauf.

Als ich so alt war wie Felix und Oliver, wäre ich ausgerastet wegen eines Films wie „Saltburn“ (Regie Emerald Fennel). Ich verstehe alle, die es auch gerade tun (um das zu erleben, muss man nur Tiktok öffnen, die Kanon-Maschine der Gen Z), und ich weiß auch, dass ich etwas zu sehr dem Schatten der älteren Adaptionen dieser Boy-meets-Boy-with-a-Castle-Geschichte nachjage, wenn die sich in den Ecken von „Saltburn“ zeigen. Es sind die Schatten von „Wiedersehen mit Brideshead“ und „The Go-Between“, beides Sommerlandsitzgeschichten, deren queeres Geheimnis aber verklausuliert bleiben musste.

„Saltburn“ dagegen ist sexuell explizit. Oliver (Barry Keoghan) liebt Felix (Jacob Elordi) oder einfach nur die Idee, so reich zu sein. Angeblich mangelt es dem Film an Klassenbewusstsein. Kann sein. Vielleicht spielt der Film aber auch nur damit, politisch zu sein, spielt mit Neid, Begierde und Begehren, noch ein Lebensnerv der Kunst. Die Unruhe, die „Saltburn“ jetzt ausgelöst hat, spricht jedenfalls für sich.