Italien: Giorgia Meloni macht die Europawahl zum Votum über sich
Will zeigen, dass sie mit den Wählern auf Du und Du ist: Giorgia Meloni am 28. Juni 2023 in Pescara
Die italienische Mitte-rechts-Koalition unter Führung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni könnte zu den großen Gewinnern der Europawahlen im Juni zählen: Für die Parteienfamilien aller drei Bündnispartner in Rom werden Stimmen- und Mandatszugewinne prognostiziert.
Meloni selbst darf unter allen Regierungschefs der 27 EU-Staaten mit dem höchsten Zuwachs an politischem Gewicht in der Union rechnen: Ihre seit Oktober 2022 amtierende Koalition ist stabil, die Zustimmungswerte in Umfragen sind gut, die Europawahlen werden die Führungsposition von Koalition und Regierungschefin wohl bestätigen.
Die Wähler sollen einfach nur „Giorgia“ auf die Wahlzettel schreiben
Beim Wahlparteitag ihrer rechtkonservativen Partei Brüder Italiens am Wochenende in Pescara hat Meloni als Ziel ausgegeben, in Europa zu erreichen, was ihrem Bündnis aus Brüder Italiens, rechtsnationaler Lega und christdemokratischer Forza Italia in Italien bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im September 2022 geglückt war: „Wir wollen eine Mehrheit schaffen, die die rechten Kräfte zusammenbringt und die Linke endlich in die Opposition schickt.“
Das ist ein überaus ehrgeiziges Ziel. Denn seit der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments von 1979 haben die Parteienfamilien der Christdemokraten und der Sozialdemokraten stets zusammengewirkt – wenn auch nicht in einem formalen Bündnis. 2019 hat die Parteienfamilie der Liberalen diese große Koalition komplettiert. Ausweislich aller Umfragen dürfte der Machtblock in der Mitte dem verstärkten Angriff von Rechts- und Linkspopulisten standhalten – auch wenn dieser Machtblock bröckeln dürfte.
Meloni hat die Europawahlen in Italien zu einem Referendum über sich selbst gemacht. Die Parole ihrer Partei lautet: „Mit Giorgia. Italien verändert Europa.“ Die Wähler rief sie auf, auf die Zeile für die Vorzugsstimme für bestimmte Kandidaten einfach nur „Giorgia“ zu schreiben.
Auf den Wahlzetteln wird die Kandidatin wie folgt aufgeführt: „Giorgia Meloni, genannt Giorgia“. Damit will sie zeigen, dass sie mit dem Wahlvolk auf Du und Du steht, dass sie auch im höchsten Regierungsamt die Frau aus einfachen Verhältnissen im Süden Roms geblieben ist.
In ihrer Parteitagsrede hob sie hervor, dass sie „nicht nur die Vorsitzende der Brüder Italiens“ sei, sondern auch der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), „die eine entscheidende Rolle bei der Veränderung des Kurses der europäischen Politik spielen“ würden.
Italiens Wähler sind es gewöhnt, dass sich Politiker um ein Mandat in Straßburg bewerben, ohne dieses tatsächlich anzustreben – und sie nehmen es ihnen offenbar auch nicht weiter übel. Mit ihrer Spitzenkandidatur bringe Meloni ihrer Partei zwei bis drei zusätzliche Prozentpunkte ein, sagen die Demoskopen. Derzeit führen die Brüder Italiens mit 27 Prozent die Umfragen an.
Die Forza Italia wirbt mit dem verstorbenen Berlusconi
Matteo Salvini, Parteichef der rechtsnationalen Lega und im Kabinett Meloni Verkehrsminister, kandidiert nicht, obschon sein Name im Logo der Partei steht und sein Foto auf den Wahlplakaten prangt. Denn beim Kampf um Vorzugsstimmen würde ihn Meloni haushoch überflügeln.
Die Lega wirbt mit der Parole „Mehr Italien. Weniger Europa“. Die Meinungsforscher rechnen mit einem Stimmenanteil von neun Prozent für die Lega. Dies würde zwar einen Absturz um 25 Prozentpunkte gegenüber dem Triumph bei den Europawahlen 2019 und einen Verlust von 17 ihrer derzeit 23 Mandate bedeuten. Weil aber andere Kräfte der rechtspopulistischen Parteienfamilie Identität und Demokratie (ID), namentlich aus Frankreich, den Niederlanden und Deutschland mit Zugewinnen rechnen können, wird selbst die stark dezimierte Lega zum Lager der Gewinner gehören.
Wie weit das politische Spektrum – zumal mit Blick auf die EU – in der Mitte-rechts-Koalition Melonis gespannt ist, zeigt der Wahlslogan der christdemokratischen Forza Italia unter Führung von Außenminister Antonio Tajani. Wie Meloni kandidiert auch Tajani als Spitzenkandidat, wird aber gleichfalls nicht nach Straßburg gehen. Tajani bewirbt die Forza Italia, die zur Europäischen Volkspartei (EVP) gehört, als „beruhigende Kraft in der Mitte Europas“.
In jüngsten Umfragen liegt die Partei, die bei den Europawahlen 2024 nochmals mit dem Namen und dem Konterfei des vor knapp einem Jahr verstorbenen Parteigründers Silvio Berlusconi wirbt, bei acht Prozent. Bei den Europawahlen 2019 hatte Forza Italia knapp neun Prozent erreicht, Tajani strebt diese Mal ein zweistelliges Ergebnis an.
Tajanis Bekenntnis zu Ursula von der Leyen, der EVP-Spitzenkandidatin für das Spitzenamt in der EU-Kommission, ist halbherzig. Salvini und die Lega werden ihr unter keinen Umständen zu einer zweiten Amtszeit verhelfen, weil sie 2019 mit Unterstützung der Linken in ihr Amt gekommen ist. Meloni hält sich alle Optionen offen. Seit ihrem Amtsantritt vor anderthalb Jahren hat sie mit Brüssel pragmatisch, mit von der Leyen sogar freundschaftlich kooperiert. Eine Garantie für die Stimmen der Meloni-Koalition aus Italien sowie der EKR für die Wiederwahl der EU-Kommissionspräsidentin ist das nicht.
Meloni wird einen hohen Preis fordern können für eine zweite Amtszeit von der Leyens – einen Schlüsselposten in der Kommission für einen Kandidaten ihrer Wahl etwa. Oder sie wird gar einem neuen Kommissionschef ins Amt verhelfen. So oder so: Mit Giorgia verändert Italien Europa.