Kunsthistoriker Kurt W. Forster tot: Mäander der Kunst

kunsthistoriker kurt w. forster tot: mäander der kunst

Die Titel „Künstlerischer Leiter“ und „Managing Director“ durfte man bei ihm wörtlich nehmen: Der Kunsthistoriker Kurt W. Forster (1935-2024) bei der Eröffnung der von ihm kuratierten Architekturbiennale 2004 in Venedig.

Vermutlich fehlt zu keiner Person des öffentlich-kulturellen Interesses ein Wikipedia-Eintrag so schmerzlich wie zu dem Züricher Kunst- und Architekturhistoriker Kurt W. Forster. Der könnte auch kurz ausfallen, würde er nur die renommierten Professuren und Ämter auflisten, die Forster nicht bekleidete. Allen voran war er von 1984 bis 1992 erster Direktor des Getty Center in Los Angeles, wo er bald weit über das Verwalten eines Museums hinausging, indem er mit seinem Research Center nach dem Vorbild Princeton die Grenzen der Kunstgeschichte in die Kulturwissenschaft warburgscher Prägung ausdehnte und gezielt die Archive deutscher Künstler und Gelehrter sammelte – ein kalifornisches Marbach der Kunsthistoriker und breit Interessierten. Schon seit 1960 aber hatte Forster an der Yale University unterrichtet, ab 1967 in Stanford, ab 1982 am MIT, hatte Gastprofessuren in Berkeley und Harvard; von 1992 bis zur Emeritierung 1999 war er Professor für Kunst-​ und Architekturgeschichte der ETH Zürich, eine Ballung von Eliteuniversitäten wie eine noble Briefmarkensammlung mit Blauer Mauritius und Schwarzem Einser. Von 1975 bis ​1977 leitete er das Schweizerische Institut in Rom und ab 1980 das Stanford Study Center in Berlin. Er ist zudem Ehrendoktor der New School for Social Research in New York. Wie nebenher, dennoch profund, kuratierte er bleibende Ausstellungen wie die Architekturbiennale 2004 in Venedig.

Forsters Projekte wie das Getty gingen stets weit über die eigentlichen Institute hinaus

Seine Publikationen zur Baukunst erstrecken sich über die gesamte Architekturgeschichte: von den Urhütten-Anfängen und den Renaissance-Heroen Leon Battista Alberti, Andrea Palladio und Giulio Romano über das 18. und 19. Jahrhundert vor allem mit Karl Friedrich Schinkel bis hin zu Ludwig Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon und den Zeitgenossen Frank O. Gehry, Peter Eisenman oder Daniel Libeskind. Als Berater des Berliner Stadtentwicklungssenators begleitete er eng das Werden der Topographie des Terrors und des Jüdischen Museums der beiden Letzteren. Auch als Architekturforscher legte er den Kunsthistoriker nie ab; sein brillantes Gehry-Buch aus dem Jahr 1998 lebt in der Beschreibung der gewandartig schwerelosen Schleiertänze dieser Bauten von einem Füllhorn der Rückgriffe auf frühere Kulturen und mäandernden Analogien von der Antike über Borromini bis zu den Ballettchoreographien Merce Cunninghams.

Mit nicht minder großer Sinnlichkeit der Anschauung und stets vom Objekt aus schrieb er über die Maler Pontormo und John Armleder, über Aby Warburg und W. G. Sebald, zur frühen Fotografie William Henry Fox Talbots und der aktuellen An­dreas Gurskys.

Ein immer positiv eingestellter und mitreißender Kopf wie Forster hat mit dieser Lebendigkeit des Denkens und seiner Begeisterungsfähigkeit auch Generationen von Schülern geprägt. Die ihm gewidmete Festschrift „Art History on the Move“ könnte mit ihrem energiegeladen kinetischen Titel den unbändig lebendigen Wanderer zwischen den Welten nicht besser wiederspiegeln.

Wie erst jetzt bekannt wurde, ist dieser die Sterne und alles darunter deutende Wanderer am Dreikönigstag im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein letzter, auf dem Krankenbett verfasster Aufsatz widmete sich im Caspar-David-Friedrich-Jahr 2024 der deutschen Romantik.

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