Rechtsprofessor Marcel Niggli fordert gesellschaftspolitische Diskussion im Umgang mit US-Sanktionen

rechtsprofessor marcel niggli fordert gesellschaftspolitische diskussion im umgang mit us-sanktionen

Marcel Niggli, Strafrechtsprofessor an der Universität Freiburg, warnt vor einer generellen Hetze gegen Russen in der Schweiz. Christoph Ruckstuhl / NZZ

Am kommenden Mittwoch berät der Nationalrat in einer Sondersession über eine parteiübergreifende Motion, welche den Beitritt der Schweiz zur multinationalen Task-Force Repo befürwortet. Repo steht für «Russian Elites, Proxies and Oligarchs» und wurde am 17. März 2022 von den G-7 und Australien ins Leben gerufen. Der Zweck von Repo ist das Aufspüren und Blockieren von russischen Vermögenswerten, um so die Finanzsanktionen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin umzusetzen. Bisher hat Repo russische Vermögenswerte von mehr als 58 Milliarden Dollar blockiert.

«Umsetzung ist nebulös»

Der Fall von Vladislav Osipov sollte Anlass für die Schweizer Politik sein, noch einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, wie sie bei der Jagd von ausländischen Behörden auf Putins vermutete Schergen in der Schweiz vorgeht. Osipov war sich sicher, dass die Umsetzung der massgeblichen 50-Prozent-Sanktionsregel bei seinem Kunden Viktor Vekselberg korrekt war. Das bestätigten ihm damals renommierte Gutachter.

Auf Anfrage kritisiert Professor Marcel Niggli von der Universität Freiburg diese 50-Prozent-Regel als «unscharf». Diese besagt, dass eine sanktionierte Person die Kontrolle über alle ihre geschäftlichen und privaten Vermögenswerte auf unter 50 Prozent senken muss. «Es ist eigentlich ein simples Konzept», so Niggli, «nur leider in der konkreten Umsetzung völlig nebulös.»

Das zeigt sich anschaulich am Beispiel von Luxusjachten. Mehrere Anwälte bestätigen, dass auch sanktionierte Personen eine Jacht unter Einhaltung enger Auflagen weiter benutzen dürfen. So dürfen beispielsweise im Rahmen der US-Sanktionen dann weder für die Crew noch für das Schiff Dienstleistungen und Produkte aus den USA bezogen werden. Zudem, so besagt die Regel, darf die sanktionierte Person keine Kontrolle mehr über das Schiff ausüben. Nur: Was heisst das genau? Hat am Schluss nicht doch die sanktionierte Person, die damit herumschippert, die wirkliche Kontrolle über die Jacht?

Die rechtlichen Verhältnisse rund um Besitzverhältnisse seien schon ausserhalb des Sanktionsrechts kompliziert, sagt Niggli. Sicher sei aber, dass die Unschärfe der 50-Prozent-Regel bei den Sanktionen den Amerikanern in die Hände spiele. Niggli fordert daher schärfere Regeln, die nicht rückwirkend anders interpretiert werden können. Ein Rechtsstaat brauche Rechtssicherheit und damit Regeln, auf die man sich als Bürger verlassen könne.

«Die Regeln sind klar»

Ganz anderer Meinung ist ein Anwalt, der nicht namentlich genannt werden möchte. Die 50-Prozent-Regel sei eigentlich ganz klar, meint er. Die Unschärfe komme von den Bemühungen der Oligarchen, durch verschachtelte Strukturen ihren Aktienanteil von 50 Prozent und mehr zu verschleiern. Nach Erhebung der Sanktionen hätten Betroffene weltweit Vermögenswerte in Stiftungen und Sitzgesellschaften versteckt. Es seien oft noch kompliziertere Strukturen aufgebaut worden, um die wahren Besitzverhältnisse zu verschleiern, so der Anwalt. Westlichen Unternehmen habe er damals geraten, aufgrund der Sanktionen sehr genau hinzuschauen, mit wem sie Geschäfte tätigen. «Es war klar, dass es nicht einfach reichte, die Besitzverhältnisse unter 50 Prozent zu senken, sondern dass auch wirklich die Kontrolle abgegeben werden musste», so der Anwalt.

Das Hauptproblem für den Westen seien aber die sekundären Sanktionen der USA. Diese würden allen Nichtamerikanern drohen, die sanktionierte Russen unterstützen. Dort seien bewusst Unschärfen eingebaut worden, um eine möglichst grosse Abschreckung zu erzielen, sagt der Anwalt. Mitleid mit den Helfern der Oligarchen habe er nicht, die hätten viel Geld genommen für das bewusste Risiko, sich mit diesen einzulassen. Niggli leitet am 21. Mai im «Park Hyatt» Zürich eine Tagung zum Thema Sanktionsregime, bei der solche Fragen diskutiert werden.

Aufpassen vor einer generellen Hetze gegen Russen

Rund um die Sanktionen reagieren Schweizer Banken heute sehr rasch, vor allem wenn es sich dabei um US-Sanktionen handelt. Betroffene Kunden werden sofort aufgefordert, ihre Konten zu saldieren . Niggli verurteilt dieses Verhalten nicht: «Es leuchtet mir ein, dass eine Schweizer Bank sofort reagiert, wenn es um US-Sanktionen geht.» Die wirtschaftliche Macht der USA sei dermassen gross, dass es für die Banken ein viel zu grosses Risiko wäre, hier nicht sofort zu handeln.

Ohne Online-Banking kann heute nicht am gesellschaftlichen Leben in der Schweiz teilgenommen werden.

«Nur, wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Hetze ganz generell gegen russischstämmige Menschen kommt», meint Niggli weiter. Denn russischstämmige Menschen haben es heute generell schwer in der Schweiz, auch solche mit einem Schweizer Pass. Unabhängig davon, ob sie für oder gegen den Krieg seien, kündigten Banken Kundenbeziehungen, nur weil der Vater aus Russland stamme oder jemand dort studiert habe, das sei sehr heikel.

Niggli fordert, dass die Politik jetzt Verantwortung übernimmt. Denn es gehe hier auch um gesellschaftspolitische Fragen und darum, ob und wie hiesige Bürger am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Ohne Bankbeziehung und Online-Banking sei das heute nicht möglich, konstatiert Niggli. So sei es doch heute schon umständlich, ein Paket vom Postboten bar zu bezahlen oder den Kaffee an der Bar.

Osipov erlebt diese Einschränkungen nun am eigenen Leib, wie er im Interview ausführt. Mehrere Anwaltskanzleien bestätigen, dass sie niemanden aus dem Umfeld russischer Oligarchen als Kunden annehmen. David Zollinger, der Osipov in der Schweiz vertritt, verurteilt dieses Verhalten und stellt klar: «Der Beizug anwaltlicher Unterstützung in einer Notsituation ist ein fundamentales Recht. Lässt man dies nicht mehr zu, kann man auch gleich die Strafverteidigung verbieten. Das bedeutet aber in keiner Weise, dass man zweifelhafte Geschäftspraktiken gutheissen würde – weder auf Klienten- noch auf Anwaltsseite.»

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