Familien: Kaum Fortschritt bei der Gleichstellung von Männern und Frauen
Kinder, Kochen, Waschen, Putzen: Unbezahlte Sorgearbeit hält Frauen vom Arbeitsmarkt fern. Immerhin gab es in der Pandemie nur einen kurzfristigen Rückfall in alte Rollenmuster, zeigt eine neue Studie.
Bei der Aufteilung von unbezahlter Care-Arbeit ist Deutschland von einer Gleichstellung weit entfernt – mit entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt. Noch immer übernehmen hierzulande Frauen in sehr viel höherem Ausmaß Aufgaben wie Kinderbetreuung, Hausarbeit oder die Pflege von Angehörigen als Männer. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Das wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus: „Wenn wir in Haushalten beobachten, dass Mütter für einen Großteil der Kinderbetreuung und der Hausarbeit zuständig sind, dann kann es für diese Mütter deutlich schwieriger sein, wieder voll ins Erwerbsleben zurückzukehren“, erklärte Jonas Jessen.
Das DIW verweist darauf, dass es die Familiengründung ist, die wesentlich dazu beiträgt, dass die Sorgearbeit so ungleich aufgeteilt wird. So leisten erwerbstätige Frauen im Alter von 35 bis 39 Jahren doppelt so viel Care-Arbeit wie Männer.
Die Forscher bezogen sich bei ihrer Analyse auf Daten aus dem Beziehungs- und Familienpanel „pairfam“.
Derzeit stehen die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen verstärkt im Fokus. Das liegt am Internationalen Frauentag am 8. März und am Equal Pay Day, der symbolisch die Verdienstunterschiede zwischen den Geschlechtern markiert und in Deutschland in diesem Jahr auf den 6. März fällt. Theoretisch arbeiten Frauen bis zu diesem Datum umsonst, während Männer schon seit dem 1. Januar für ihre Arbeit entlohnt werden.
///Gender-Pay-Gap liegt bei 18 Prozent // .
Konkret verdienten Frauen laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr, gemessen an den Bruttostundenlöhnen und -gehältern, im Schnitt 18 Prozent weniger als Männer. Der bereinigte Gender-Pay-Gap, also der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern mit vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Lebensläufen liegt bei sechs Prozent.
Der Equal Care Day wiederum macht alle vier Jahre am 29. Februar auf den Gender-Care-Gap, also den geschlechtsspezifischen Unterschied in der Aufteilung unbezahlter Sorgearbeit, aufmerksam.
Zugleich zeigen die DIW-Zahlen zumindest eine positive Entwicklung. So hat die Corona-Pandemie nicht dazu geführt, dass Frauen dauerhaft mehr unbezahlte Sorgearbeit leisten.
Der Gender-Care-Gap hat sich demnach wieder auf das Niveau von vor der Pandemie zurückbewegt, nachdem sich zu Beginn der Corona-Zeit oft ausschließlich die Mütter um Kinder und Haushalt kümmerten. Es habe „letztlich keine starke Retraditionalisierung“ gegeben, sagte Studienautor Jessen.
///Frauen arbeiten mehr als Männer // .
Das Statistische Bundesamt hat die „Sorgearbeitslücke“ gerade konkret beziffert: Frauen leisten im Schnitt knapp 30 Stunden pro Woche unbezahlte Arbeit, Männer knapp 21 Stunden. Damit lag der sogenannte Gender-Care-Gap bei knapp 44 Prozent.
Die Befunde stammen aus der „Zeitverwendungserhebung 2022“. In dieser Umfrage geben repräsentativ ausgewählte Haushalte alle zehn Jahre detailliert Auskunft darüber, wie viel Zeit sie für die unterschiedlichen Lebensbereiche aufwenden.
Bei der vorigen Umfrage 2012/2013 hatte der Gender-Care-Gap noch bei 52,4 Prozent gelegen. Statistikamts-Präsidentin Ruth Brand erklärte: „Die Lücke zwischen Frauen und Männern bei der unbezahlten Arbeit wurde im Zeitvergleich kleiner, sie ist aber nach wie vor beträchtlich.“ Die amtlichen Daten für 2022 belegen auch: Wenn bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammen betrachtet werden, arbeiten Frauen mehr als Männer. Im Schnitt verbrachten sie fast 45,5 Stunden pro Woche mit Arbeit, bei Männern waren es knapp 44 Stunden.
Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung präsentierte ebenfalls frische Befunde. Demnach gibt es keine „dauerhaften Fortschritte“ bei der Kinderbetreuung. „Die Hauptlast liegt immer noch bei den Frauen“, resümierte WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch.
///Politik kann es besser machen // .
Die Befragung beleuchtet unter anderem das Thema „Mental Load“. Dabei geht es um die Organisation von Sorgearbeit im Alltag und die Verantwortung dafür, also zum Beispiel darum, an das Geschenk für den nächsten Geburtstag, den Elternabend oder Vorsorgetermine zu denken. Während nur 33 Prozent der Frauen meinen, dass diese Arbeit gleich verteilt sei, sind es 66 Prozent der Männer.
Frauen fühlen sich durch den Mental Load auch deutlich stärker belastet als Männer – was laut WSI „darauf hindeutet, dass auf sie tatsächlich der größere Teil dieser Arbeit entfällt“.
Laut Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) bedeute das Mehr an unbezahlter Care-Arbeit „ein geringeres Gehalt, weniger berufliche Chancen und eine prekäre Alterssicherung“. Frauen sollten wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen können, meint Paus und erklärte: „Daher investieren wir weiter in den Ausbau und die Qualität der Kindertagesbetreuung.“ Eine bessere Betreuung von Kindern bedeute auch: mehr Fachkräfte.
In der DIW-Analyse heißt es: „Wenn die Politik arbeitsmarktbezogene geschlechtsspezifische Ungleichheiten wie den Gender-Pay-Gap schließen oder vermindern möchte, dann muss sie auch am Gender-Care-Gap ansetzen.“
///Reform des Ehegattensplittings angemahnt // .
DIW-Ökonomin Katharina Wrohlich sieht zahlreiche politische Handlungsoptionen, um Anreize für eine gleichere Aufteilung der Erwerbs- und der unbezahlten Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern zu setzen: „Eine Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld könnte die starke Zunahme der Ungleichheit in der Sorgearbeit nach der Geburt eines Kindes verringern.“
Eine Reform des Ehegattensplittings hin zur Individualbesteuerung mit doppeltem Grundfreibetrag sowie eine Reform der steuerlichen Behandlung der Einkünfte aus Minijobs könnten zudem die finanzielle „Teilzeit-Falle“ für verheiratete Frauen reduzieren, ist die Leiterin der Forschungsgruppe Gender-Economics überzeugt. Auch das würde zu einer gleicheren Aufteilung bei Paaren führen.