Interview mit Jakob Springfeld: "Neue Dimension? Das ist brutale Normalität im Osten!"
Nach dem Überfall auf den SPD-Politiker Ecke ist das Entsetzen groß. Für den sächsischen Aktivisten Jakob Springfeld, Mitglied der Grünen, ist die Tat kein Einzelfall. “Dass ein brutaler Gewaltakt dieser Art nun auch in Dresden, einer Großstadt, möglich ist, zeigt den Ernst der Lage”, sagt er.
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Nach dem brutalen Überfall auf den SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden ist das Entsetzen groß. Für den sächsischen Aktivisten Jakob Springfeld, Mitglied der Grünen, ist die Tat jedoch keinesfalls ein Einzelfall. “Dass ein brutaler Gewaltakt dieser Art nun auch in Dresden, einer Großstadt, möglich ist, zeigt den Ernst der Lage”, sagt er im Interview.
Jakob Springfeld: Nein, das Gegenteil ist der Fall, was auch damit zu tun hat, dass ich jetzt viel bekannter bin als damals. Via Mail oder soziale Medien bekomme ich üble Gewaltdrohungen, mal offen, mal verkappt. Mich schützt, dass ich inzwischen nicht mehr so häufig in meiner Heimatstadt Zwickau bin und in Halle an der Saale studiere. Die Angst aber ist da, ein ständiger Begleiter. Und sie betrifft nicht nur mich, sondern schließt Freunde und alle anderen ein, die sich gegen rechts positionieren. Die Gefahr ist real, wie die Gewaltfälle in Dresden zeigen.
Die Gefahr ist generell Alltag in Sachsen, wo extrem rechtes Gedankengut in weiten Teilen der Bevölkerung etabliert ist. Hasserfüllte Hetze gegen Mitglieder linker Parteien erfährt selten offenen Widerspruch, gerade im Privaten. Die Bedrohungslage für Geflüchtete und “linke Zecken”, wie AfD-Mitglieder und Neonazis uns Grüne nennen, ist fortwährend hoch. Freundinnen und Freunde, auch ich selbst, mussten es erleben, auf der Straße bedroht, beschimpft, angespuckt oder attackiert zu werden. Die Angst ist nur dann weg, wenn ich mich im Freundeskreis bewege. Aber sobald ich in Zwickau oder einer anderen Kleinstadt im Osten bin, ist sie da. Deshalb treffe ich Maßnahmen zu meinem Schutz.
Vor jeder einzelnen Lesung in Kleinstädten, ganz besonders in Sachsen und Thüringen, organisiere ich, dass mich mindestens ein Mensch am Bahnhof oder der Bushaltestelle abholt und mich zurückbringt. Theater, Klubs und andere Einrichtungen informieren vor meinen Auftritten die Sicherheitsbehörden. Veranstaltungen mit mir als Gast werden häufig von der Polizei oder privater Security geschützt, wofür ich dankbar bin. Im Wahlkampf ist Vorsicht angebracht. Aber es ist unmöglich, sich komplett zu schützen, wie wir am Überfall auf Matthias Ecke sehen.
Kennen Sie den Sozialdemokraten?
Ja, was es umso schmerzvoller macht. Ich lernte ihn 2021 bei einer Online-Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung über “Zukunfts(t)räume Ostdeutschlands” kennen. Damals ging es um die zunehmende Radikalisierung in der Gesellschaft, die Zuspitzung des politischen Wettstreits und rechte Gewalt. Wir waren uns in der Runde einig, dass es – zumindest in Kleinstädten Sachsens – gefährlich ist, Parteiplakate allein aufzuhängen. Dass ein brutaler Gewaltakt dieser Art nun auch in Dresden, einer Großstadt, möglich ist, zeigt den Ernst der Lage.
Neue Dimension? Das ist brutale Normalität im Osten! Die Neonazi-Partei “Dritter Weg” hatte vor der Bundestagswahl 2021 in Zwickau Plakate mit der Aufschrift “Hängt die Grünen” angebracht. Es ist überhaupt nichts Neues, dass Mitglieder demokratischer Parteien Angst haben müssen, wenn sie sich im Wahlkampf engagieren. Denken Sie an den NSU, Hanau oder den Mord an Walter Lübcke im Juni 2019. Ich frage mich, in der wievielten Dimension wir mittlerweile leben. Faeser und Finanzminister Christian Lindner, der den Anschlag auf Ecke ebenfalls verurteilt hat, sollen lieber viele Millionen in zivilgesellschaftliche Projekte investieren und ein AfD-Verbot prüfen. Ich fürchte sonst, dass es zur Normalität wird, die achselzuckend hingenommen wird, wie es jetzt schon bei Anschlägen auf Geflüchtete der Fall ist.
Einige Stunden vor dem Überfall auf Matthias Ecke wurde eine Unterkunft für Geflüchtete im Landkreis Zwickau mit Steinen angegriffen. Das ist nur noch eine Randnotiz in Lokalmedien, niemand empört sich. Dazu haben sich weder Faeser noch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer geäußert. Die Gesellschaft hat sich an diese Vorfälle gewöhnt, weshalb sich Normalisierung eingestellt hat.
Der rechte Mob kriegt uns nicht klein
Zum Angriff auf Ecke hat sich Kretschmer erklärt. Er hat ihn als “durch nichts zu rechtfertigen” bezeichnet und vor einem Verfall des demokratischen Wettbewerbs gewarnt.
Ich will nicht sagen, dass er das heuchelt. Aber ganz glaubwürdig ist es auch nicht. Die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften “Freien Sachsen” hetzen in Telegram-Gruppen gegen “linksextreme Plakatabreißer” und bieten ein “Kopfgeld” von 100 Euro: “Wer abends ein bisschen Zeit über hat, schnappt sich ein paar Freunde, versteckt sich in den Büschen und beobachtet unsere Wahlplakate!” Das ist ein Aufruf zur Gewalt. Warum äußert sich der Ministerpräsident nicht dazu? Weil er es sich mit dem rechten Rand nicht verderben will.
“Die progressive Zivilgesellschaft ist nicht verschwunden”
Sie sagten vor drei Jahren dem “Spiegel”: “Ich bin in Sorge, dass zivilgesellschaftliche Initiativen, die es gibt und gerade dringend braucht, früher oder später aufgeben und gar nichts mehr passiert.” Ist es so?
Nach der Debatte über die Pläne der AfD zur massenhaften Vertreibung von Migranten formiert sich endlich auch in ostdeutschen Kleinstädten Widerstand gegen rechte Umtriebe. Es wurde Zeit. Ich spüre deutlich, dass der Mut wächst. Klar aber ist auch: Überfälle wie der auf Matthias Ecke verbreiten Angst. Umso wichtiger ist es nun, dass die Bewegung nicht zum Erliegen kommt und die demokratische Gesellschaft zusammensteht.
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