In Zürich verkümmert, in Mainz wieder aufgeblüht: Der Trainer Bo Henriksen hält in der Bundesliga, was er verspricht
Gibt Mainz 05 mit seiner Art viel Energie: der dänische Coach Bo Henriksen. Kai Pfaffenbach / Reuters
Der FSV Mainz 05 hält sich seit 2009 in der Bundesliga. Und kämpft gegen den Abstieg. Vor dem Fussballspiel gegen den 1. FC Köln bilden sich am letzten Sonntag vor Verkaufsständen beim Stadion Schlangen. Da werden weder Eintrittskarten noch Tranksame feilgeboten, sondern Stapel roter T-Shirts, auf denen in weissen Buchstaben «Niemals aufgeben» steht. «10 Euro das Stück», sagt die Verkäuferin.
Drei Stunden später, der turbulente Match gegen Köln (1:1) ist vorbei und das Stadion leer. Der Mainz-Trainer Bo Henriksen steht nach dem Interview-Parcours vor dem Kabinengang. Zuvor hat er gelitten, geschrien und immer wieder in sein langes Haar gegriffen. Einmal ist er sogar vor lauter Aufregung an der Seitenlinie in die Knie gesunken. Er lebt die emotionale Nähe zu den Spielern und kann es nicht unterlassen, hinterher dem Schiedsrichter auf dem Rasen seine Meinung kundzutun.
Henriksen saugt die Atmosphäre in der vollen Arena mit den 33 000 Zuschauern in sich auf. Er arbeitet mittlerweile in einer Liga, in der die Speaker vor den Spielen die Stimmung anheizen («Ihr seid die besten Fans der Welt»). Geschmackssache. Das Bundesliga-Spiel ist vorbei, die Mainzer und ihr Trainer haben auf ihrer Aufholjagd einen kleinen Rückschlag zu verdauen.
Der FC Zürich ist für Henriksen sehr weit weg
Henriksen wirkt abgekämpft und wird gefragt, wie weit weg für ihn in dem Moment Zürich sei. Also nicht die geografische Distanz, sondern sein Gefühl zum FC Zürich, von dem er sich entfremdet und den er im Februar verlassen hat. «Ich verfolge den Klub und weiss, dass er dieses Wochenende nicht gespielt hat», lässt er verlauten, «was soll ich sonst dazu sagen?» Ein Klaps an die Schulter des Gesprächspartners, und weg ist der Trainer.
Er taut wieder auf, als er sich beim Verlassen des Stadions unter «Bo, Bo»-Rufen zahlreichen Fans für Autogramme und Selfies zur Verfügung stellt. Ein nahbarer Mensch des Volkes.
Solche Szenen zeigen, wie gern Bo Henriksen in Mainz gesehen ist, zumindest in diesen Tagen, die im Ringen um den Ligaerhalt von Emotionen und Durchhalteparolen geprägt sind. Mit wem auch immer man spricht in Mainz: Die Leute loben den fröhlichen Dänen, dessen «Energie und Positivität», wie Martin Schmidt sagt. Der Walliser ist Sportdirektor in Mainz, trägt Jeans und das rote T-Shirt («Niemals aufgeben») unter einer Lederjacke. Er wirkt mit seinen langen Haaren und seinem Bergführergesicht wie ein Rockstar.
Schmidt ist der Kontrast zum Sportvorstand Christian Heidel, der kein rotes T-Shirt trägt, im Hintergrund die Macht bündelt und als Entdecker der Trainer Klopp und Tuchel in dieser Stadt über Gebühr Achtung und Handlungsspielraum geniesst. Schmidt kommt nach dem Match im Gegensatz zu Heidel offensiv auf die Medien zu und wiederholt den Satz: «Mainz passt zu Henriksen, und Henriksen passt zu Mainz.»
Der Däne ist der Impuls von aussen
In der Momentaufnahme ist dem vorbehaltlos beizupflichten, die Statistik spricht für sich: Der Däne hat die zuvor strauchelnde Mannschaft in zehn Spielen stabilisiert und aus einer nahezu hoffnungslosen Lage fast am Ende der Tabelle in eine Position geführt, von der aus wieder Land zu sehen ist. Schmidt sagt, dass das blockierte Team «Impulse und Frische von aussen» gebraucht habe. Henriksen löst geradewegs ein, was er mit seiner fidelen Art verspricht.
Vielleicht hält er Mainz sogar in der Bundesliga, diesen im deutschen Spitzenfussball überschaubaren Klub, der mit seinem Jahresertrag von 115 Millionen Euro knapp den SC Freiburg und Werder Bremen sowie deutlicher die Klubs aus Augsburg, Bochum, Heidenheim und Darmstadt hinter sich lässt.
Mainz ist ein Überlebenskünstler und auf diesem Weg bekannt dafür, dass die Trainer intern in die Chefposition aufsteigen. Das war mit Jürgen Klopp so, mit Thomas Tuchel, mit Martin Schmidt, mit Sandro Schwarz und zuletzt mit den Henriksen-Vorgängern Bo Svensson und Jan Siewert. Nach zwei erfolgreichen Jahren geriet das Team mit Svensson vom Weg ab, woraufhin sich der Däne mit Tränen und den Worten «Einmal Mainz, immer Mainz» verabschiedete. Mit Siewert trudelte Mainz weiter abwärts – also musste Bo Henriksen mit seiner guten Laune ran. Für einmal keiner aus dem eigenen Haus.
Nicht alle Trainer verglühen schnell
Er arbeitete früher in Dänemark sechs Jahre lang für Horsens und führte Midtjylland in einer Saison auf den zweiten Tabellenplatz, bevor er entlassen und ab Herbst 2022 den damals arg notleidenden FC Zürich stabilisierte und vom Tabellenende wegführte. Henriksen begleiten Fragezeichen. Kann sein Tun im Spitzenfussball an einem Ort von Dauer sein? Droht der Muntermacher mit den saloppen Sprüchen emotional nicht zu schnell zu verglühen? Schmidt hält den Fragezeichen kraft seiner Funktion eine Art Ausrufezeichen entgegen: «Es gibt Trainer, die nicht schnell verglühen.»
Das Wesen Bo Henriksens schliesst den «Bo-Slang» mit ein. Vor allem in englischer Sprache, in Mainz bisweilen auch auf Deutsch. Als er in Mainz vorgestellt wurde, nannte er sich einen «old bastard». Vor dem Match gegen Köln heizte er die Stimmung wie ein Kriegsherr an, indem er verlangte, dass seine Spieler «wie eine Armee» aufs Spielfeld gehen müssten. Er hat auch schon gesagt, dass Fussballer auf dem Rasen «füreinander sterben sollen».
Ein Fussballspiel wird in dieser Terminologie naheliegend zur «Schlacht» («battle»). In Zürich liess sich Henriksen an einer Medienkonferenz vor einem Super-League-Spiel einmal zu der folgenden Steigerung verleiten: Aus einem «fight» wurde eine «battle» und am Ende sogar ein «war». All dies geschah im Beisein einer Gruppe Jugendlicher, die den Ablauf einer Medienkonferenz verfolgen durfte.
Henriksen pflegt ungeniert die «Kabinensprache»
So ist Bo. So bleibt Bo. Fraglich nur, weshalb er der unangebrachten und überflüssigen Kriegsrhetorik nicht Einhalt gebietet. Und weshalb Vorgesetzte nicht einschreiten. Schmidt spricht von der «Kabinensprache». Auch er habe seinerzeit kräftige Worte benutzt, «aber vielleicht haben sie hier den Walliser Dialekt nicht verstanden». Bo ist Bo. Authentizität, in der Kabine – und ausserhalb. Anstachelung. Angst nehmen, Kraft aufbauen. Niemals aufgeben.
«Wir müssen aufpassen, dass wir ihm nicht Stärken nehmen», sagt Schmidt.
An der Medienkonferenz nach dem Köln-Spiel verhält sich Henriksen professionell, da er nicht auf die Schiedsrichterpolemik eingeht, die einige Medienvertreter lostreten wollen. Auch der Köln-Trainer Timo Schultz sagt: «Vieles ist Ermessenssache. Schiedsrichterschelte werdet ihr von mir nicht hören.» Schultz trainierte zu Saisonbeginn den FC Basel, wurde Ende September 2023 freigestellt und übernahm Anfang 2024 die fallenden Kölner.
Henriksen war im FC Zürich, dem diese Saison der Start glückte, der aber im Zuge von inflationären Personalwechseln immer mehr aus den Fugen geriet. Im Februar flüchtete er aus dem Zürcher Unruheherd nach Mainz. So sehen sich die beiden Trainer wieder. Kampf gegen den Abstieg in der Bundesliga statt Super League. Der Henriksen-Effekt ist viel spür- und messbarer als jener in Köln, wo Schultz den Punkteschnitt seines Vorgängers Steffen Baumgart nur leicht erhöht.
Auf jeden Fall ist Henriksen dem Klassenerhalt näher als Schultz. Längerfristige Zielsetzungen müssen hintenanstehen. Einmal Mainz, immer Mainz? Es passt in diesen Alles-oder-nichts-Zeiten ganz gut. Henriksen stösst in Mainz auf breite Akzeptanz. In Zürich war das in dieser Saison anders. Schleichende Entfremdung. Dort bleibt in der Organisation weiterhin kein Stein auf dem anderen, sind unlängst seine zwei Nachfolger Murat Ural und Umberto Romano bereits wieder verabschiedet worden.
Es kann schnell gehen. Bo Henriksen weiss das.