In seiner ersten Profi-Saison rockt der Lausanne-Stürmer Théo Rochette die Liga – er ist die Entdeckung des Jahres
Den zweiten Meistertitel innert Jahresfrist? Théo Rochette strebt mit Lausanne seinen nächsten Coup an. Fabrice De Gasperis / Imago
Es ist noch nicht so lange her, da wuchtete der Eishockeyspieler Théo Rochette eine klobige Trophäe gen Himmel: Als Captain der Remparts de Québec gewann er im vergangenen Juni den Memorial-Cup, den bedeutendsten Wettbewerb im kanadischen Nachwuchshockey. Zu den Play-off-Heimspielen waren 15 000 Menschen herbeigeeilt. Und als das Team nach dem Gewinn der Trophäe in Québec landete, warteten 5000 Anhänger am Flughafen. «Ich musste mein Essen in den Restaurants danach nicht mehr bezahlen», sagt Rochette lachend. Und: «In der Stadt kennt dich eigentlich jeder, ich musste erst lernen, damit umzugehen.»
Das weit verästelte kanadische Junioren-Eishockey ist eine grosse Sache, die wichtigsten Spieler werden verehrt wie Pop-Stars. Nur: Sie verdienen entscheidend weniger, meist um die 100 Dollar pro Woche. Bei Rochette war das fünf Jahre lang der Fall. So lange bleibt kaum jemand in den drei Top-Ligen Ontario Hockey League (OHL), Québec Major Junior Hockey League (QMJHL) und Western Hockey League (WHL), sie dienen in erster Linie als Sprungbrett ins Profigeschäft, in dem zumindest in Nordamerika die Millionen sprudeln. Doch Rochette sagt: «Es hat sich gelohnt, zu bleiben. Wir hätten den Titel schon ein Jahr zuvor gewinnen sollen, ich hatte deshalb noch eine Rechnung offen.»
Den Titel «Youngster of the Year» hat Rochette eigentlich schon auf sicher
Es war der richtige Entscheid, er erlaubte es Rochette, als strahlender Champion in den Sonnenuntergang zu reiten. Und der ausgedehnte Aufenthalt in der QMJHL scheint für ihn auch die ideale Vorbereitung auf das Männer-Eishockey gewesen zu sein.
Rochette, 22, bekundete in seinem ersten Jahr als Profi keinerlei Anlaufschwierigkeiten. Bereits jetzt ist klar, dass Rochette im August die von Swiss Ice Hockey vergebene Auszeichnung «Youngster of the Year» gewinnen wird. Mit 12 Toren und 18 Assists war Rochette in der Qualifikation auf Anhieb die Nummer 19 der Schweizer Skorer. Und auch im Play-off brilliert er, mit 9 Punkten aus 15 Partien ist er der viertproduktivste Schweizer.
Der Trainer Geoff Ward schenkt Rochette viel Vertrauen: Der Jüngling ist Teil der Lausanner Paradelinie mit Antti Suomela und Jiri Sekac; er erhält durchschnittlich mehr als zwanzig Minuten Eiszeit pro Spiel. Rochette überzeugt mit Spielwitz, Tempo und teuflisch schnellen Händen.
In gewisser Weise löst Rochette in dieser Saison ein altes Versprechen ein. Als Teenager galt er als einer der talentiertesten Spieler seiner Generation – und als sicherer NHL-Erstrunden-Draft. Doch Rochette erkrankte an Pfeifferschem Drüsenfieber, was ihn arg zurückwarf. Scouts beschieden ihm, er sei zu klein, zu schmächtig. «Ich hoffte, dass die Scouts und Manager meine Situation verstehen und ich vielleicht in den Runden 5 bis 7 gedraftet werde», sagt er.
Es blieb beim Wunsch: Zwei Jahre in Folge wurde er übergangen. «Das war nicht einfach zu verarbeiten. Ich verlor mein Selbstvertrauen und schaffte es nicht sofort, die Enttäuschung als Motivation nutzen zu können. Mein Coach Patrick Roy hat mir dabei sehr geholfen, er war für mich mehr als ein Trainer und eine sehr wichtige Bezugsperson», sagt Rochette.
Roy, 58, gewann als Nummer-1-Goalie mit Colorado den Stanley-Cup, er gilt als Feuerkopf mit kurzer Zündschnur. Doch Rochette sagt: «Er ist ganz anders als sein öffentliches Image. Ein feiner, sehr humorvoller Mensch, der sich wirklich um seine Spieler kümmert. Ja, er wird manchmal laut, aber das ist bei jedem Trainer so. Er ist der beste Coach, den ich je hatte.»
Die Wertschätzung ist durchaus gegenseitig. «Théo hat sich so sehr verbessert. Wenn ich mir Spieler anschaue, die gedraftet wurden, finde ich es entsetzlich, dass er nicht gedraftet wurde», sagte Roy. Die Scouts in Québec, zürnte er, würden ihren Job nicht richtig machen. Es lohnt sich, diese glühenden Komplimente im Hinterkopf zu behalten.
Denn Roy ist seit Januar Cheftrainer der New York Islanders. Man kann sich durchaus vorstellen, dass er sich an seinen Captain aus Québec erinnert, wenn es darum geht, den Kader der Islanders aufzuwerten. Rochettes Vertrag im Lausanne HC gilt bis 2026, erst kürzlich hat er ihn verlängert. Aber das Transferabkommen zwischen der Schweiz und der NHL würde gegen eine Entschädigung von 250 000 Dollar einen Wechsel schon im Sommer ermöglichen.
Nun könnte es schnell gehen mit der grossen Karriere, mit dem Geld, nachdem er fünf Jahre lang de facto für ein Taschengeld gespielt hat. Vom ersten Salär in Lausanne kaufte er sich ein Sofa und ein Auto.
Rochette hat gute Chancen, im Mai in Prag sein WM-Debüt zu feiern
Die NHL ist Rochettes grosses Ziel, immer schon; seit vielen Jahren arbeitet er beflissen an der Realisierung dieses Traums. Sein Vater, der ehemalige Spitzenschiedsrichter Stéphane Rochette, schenkte ihm schon im Alter von zwei Jahren das erste paar Schlittschuhe. Die Nachwuchsstufen durchlief er im Lausanne HC, doch als Teenager verbrachte er die Sommer in Québec, seiner zweiten Heimat, wo er in einer Gruppe um den Stürmer Jonathan Marchessault vom Stanley-Cup-Champion Vegas Golden Knights trainierte. Die Philadelphia Flyers und Toronto Maple Leafs luden ihn bereits zu Sichtungstrainings ein.
Eine Präferenz hat Rochette nicht, wobei das mit dem Zugehörigkeitsgefühl bei ihm ohnehin nicht so einfach ist: Er hat drei Pässe – den Schweizer, den kanadischen und den französischen –, für die beiden erstgenannten Nationen ist er im Nachwuchs bereits angetreten. Mittlerweile absolvierte er die ersten A-Länderspiele für die Schweiz. Und er hat gute Chancen, im Mai in Prag sein WM-Debüt zu feiern.
Vorher soll es mit dem zweiten Meistertitel innert Jahresfrist klappen. Dafür braucht Lausanne am Dienstag in der Vaudoise-Arena einen Sieg, der Aussenseiter liegt in der Play-off-Finalserie gegen die ZSC Lions 1:2 zurück. Vielleicht kann sich das Kollektiv an Rochette orientieren, einem jungen Mann, der früh lernen musste, dass im Leben nicht immer der direkte Weg ans Ziel führt.