In Dresden eröffnet das „Archiv der Avantgarden“

in dresden eröffnet das „archiv der avantgarden“

Sichtbeton als Lichtbeton: Die Wendeltreppe im „Archiv der Avantgarden“ führt aus dem Ausstellungsbereich hinauf zur Forschungsplattform im Obergeschoss.

Blockhaus“ nennen die Dresdner die ehemalige Neustädter Wache direkt am Brückenkopf zur ältesten Elbquerung der Stadt. Dabei ist es ein massives Steingebäude im besten Stil des französischen Barocks, errichtet 1732 bis 1737 von dem in Paris geborenen Zacharias Longuelune. Aber zuvor hatte an derselben Stelle knapp fünfzig Jahre lang ein hölzerner Vorgänger gestanden, und da in Dresden die ­Liebe zur Vergangenheit übermächtig ist, ging die alte Bezeichnung auf den Neubau über und hängt ihm seit bald dreihundert Jahren an. Doch fortan trägt das Blockhaus seinen Namen endlich zu Recht. Und das ausgerechnet in dem Moment, wo es eine neue Funktion und auch einen neuen Namen bekommt.

Das Ungewöhnlichste ist gerade gut genug

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Das „Blockhaus“ rechts neben der Auffahrt zur Augustusbrücke

In dem im Februar 1945 beim Bombenangriff auf Dresden vollständig ausgebrannten und in den frühen Achtzigerjahren zum Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft umgebauten Gebäu­de eröffnet heute das „Archiv der Avant­garden – Egidio Marzona“, kurz ADA, und diesen Namen muss man sich merken. Damit steigt Dresden mit einem Schlag in eine kunstarchivalische Liga auf, die weltweit nur eine Handvoll Akteure umfasst: etwa das Getty Institute in Los Angeles oder das MoMA in New York.

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) erhielten 2016 von dem Ber­liner Sammler Egidio Marzona einen Großteil seiner seit einem halben Jahrhundert zusammen­getragenen Dokumentation zu den Avant­gar­de­­künsten des zwanzigsten Jahrhunderts geschenkt, sage und schreibe 1,5 Millionen Objekte, wovon nur ein halbes Prozent Kunst­werke im klassischen Sinne sind (aber das sind immerhin auch noch achttausend), während 99,5 Prozent das betreffen, was man Kunst-Werk nennen könnte: die Arbeit an und mit Kunst, also Konzeption, Herstellung und nicht zuletzt Vermarktung. Eine vergleichbare Sammlung gibt es weltweit nicht.

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Blick ins noch leere Ausstellungsgeschoss des ADA nach Beendigung des Umbaus: links der „schwebende Kubus“, rechts die Wendeltreppe zur Forschungsplattform

Dafür war das architektonisch Ungewöhnlichste gerade gut genug: Das in Madrid und Berlin residierende Büro Nieto ­Sobejano Arquitectos, das in den letzten Jahren mit Museumsum- und -neubauten Aufsehen erregte, hat hier sein Meisterstück vollbracht. In das komplett entkernte Gebäude (der Denkmalschutz galt nur den original barocken Fassaden) haben die beiden spanischen Architekten einen fast den gesamten dreigeschossigen Innenraum füllenden Betonquader eingehängt, auf desen drei Ebenen nun die Objekte des Archivs aufbewahrt werden. Das ist ein Block, der dem Namen „Blockhaus“ gerecht wird, ein technisches Wunderwerk durch seine Aufhängung an zwei jeweils seitlich errichteten Treppenhäusern in Stahlbauweise für das innere Tragwerk und an vier aus den oberen Gebäudeecken hervorragenden Konsolen aus Stahlbeton für das äußere. Die Wirkung ist geradezu magisch: Im Barockhaus scheint auf vier Metern Höhe ein massiver Kubus zu schweben, der wie in den schönsten Bauten von Peter Zumthor in Sichtbeton ausgeführt ist, der hier jedoch durch die Fenster ringsum und zusätz­liche Öffnungen im Dach zum Licht­beton wird.

Die weite freie Fläche unter dem Archivwürfel steht für Ausstellungen zur Verfügung, von denen es jährlich zwei geben wird. Zum Auftakt hat der polnische Kurator Przemisław Strożek anlässlich des hundertsten Jahrestages der Publikation von André Bretons „Surrealistischem Manifest“ eine Schau zusammengestellt, die sich Geschichte und Einfluss des Surrealismus (einem Schwerpunkt von Marzonas Kollektion) widmet. „Archiv der Träume“ heißt sie, und beim Betrachten gerät man selbst ins Träumen: darüber, was diese Sammlung wohl noch alles zu bieten haben wird, wenn jetzt schon neben all den faszinierenden Ephemera noch Gemälde von Max Ernst, Zeichnungen von Leonora Carrington oder Unica Zürn, rarste Zeitschriften von Breton oder Picabia sowie Fotos von Lee Miller zu sehen sind. Oder das Herzstück der Ausstellung, das zugleich ein Spiegelstück des ADA ist: Marcel Duchamps „Boîte en valise“ in der Ausführung von 1952, einem in einem Koffer installierten Miniaturarchiv eigener Arbeiten jenes Künstlers, den man wohl den Paten aller Avantgarden nennen darf. Marzona erwarb das Rarissimum vor knapp zwanzig Jahren in New York im Zuge eines der vielen Aufkäufe von ganzen Konvoluten und Nachlässen, aus denen sich seine Sammlung zusammensetzt.

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Max Ernsts Blatt aus seiner „Histoire naturelle“ ist Bestandteil des ADA und in der Ausstellung „Archiv der Träume“ zu sehen.

Forschen zwischen Kunstwerken

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Marcel Duchamps „La Mariée mise à nu par ses célibataires“ aus dem „Archiv der Avantgarden“

Eine Vorstellung vom Einsatz, den das für Marzona bedeutete, bekommt man noch für ein paar Tage auf der neben dem Kubus eingezogenen schmalen „Forschungsplattform“ im Obergeschoss des Blockhauses, die man über eine elegante Wendeltreppe erreicht – subtiles Zitat einer sächsischen Architekturtradition aus der Renaissance, die in den Wettiner-Schlössern von Torgau und Meißen ihre berühmtesten Beispiele hat. Im Blockhaus ist sie selbstverständlich auch aus Beton, und wenn man aus dem Zwielicht des unteren Ausstellungsbereich an deren oberes Ende kommt, tritt man nicht nur ins Helle, sondern auch vor eine zwanzig Meter breite Bücherregalwand, in der sich eine zu den aktuellen Ausstellungsvorhaben passende Auswahl aus der fast zweihunderttausend Titel umfassenden Bibliothek des ADA findet.

Mehrere von dem Berliner Designer Achim Heine entwickelte Leseplätze stehen hier den Besuchern zur freien Verfügung, jeweils eingefasst von Regalmodulen, in die kleine Vitrinen und Schubladen integriert sind, die Kunstobjekte und Archivalien zur Ansicht bieten. Benachbart gibt es zwei gläserne Leseräume im Kubus, in denen nach Anmeldung Originalmaterial eingesehen werden kann. Während der Eröffnungs­tage sind auf den Tischen Archivalien ausgebreitet, etwa Briefe der späten Siebzigerjahre von Meret Oppenheimer an Egidio Marzona. „Das Geld brauche ich jetzt unbedingt“, steht da zu lesen, aber auch: „Wie steht es mit unserem Unternehmen?“ Die Antwort kann heute nur lauten: blendend.

Zumal Marzona, mittlerweile achtzig Jahre alt, unermüdlich weitersammelt – für sich selbst, aber vor allem mit Blick auf sein Vermächtnis in Dresden. In einer zweiten Schenkung übereignete er 2018 bereits noch einmal 200.000 Objekte an die SKD, und bei den wenigen Werken, die in der Eröffnungsausstellung noch mit „Archiv Marzona“ ausgewiesen sind, ist die Übergabe dem Vernehmen nach schon beschlossene Sache. Darunter ist etwa eine Zeichnung von Yves Tanguy, die 1931 in der rumänischen Kunstzeitschrift „unu“ reproduziert wurde, die sich wiederum im ADA finden – ein schlagender Beleg für die welt­umspannende Wirkung der Avantgarden, die bei Marzona weit über die üb­lichen Zentren Paris, New York oder Berlin hinaus vertreten sind, Polen etwa, aber auch Südosteuropa oder Südamerika.

Der Bestand des ADA ist jetzt schon so umfassend, dass für „Archiv der Träume“ nur einige Avantgarde-Filme entliehen werden mussten; alles andere verdankt sich Marzona und seiner „Sammlung von Ideen“, wie er selbst es nennt. Und Przemisław Strożek kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus: „Wann immer ich etwas suche, ist es nicht nur da, sondern ich stoße dann auch zuverlässig auf etwas, das ich gar nicht gesucht habe, sich aber als noch interessanter erweist als das, was ich suchte.“ Wie es zusammengetragen wurde und was das ADA für die Künstler bedeutet, hat sich Marzonas Partnerin Monika Branicka in bislang 120 Gesprächen erläutern lassen, von denen jetzt bereits zwanzig online verfügbar sind. Wie auch die bereits digitalisierte Hälfte des ADA-Bestands.

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Blick entlang der Kanten des „schwebenden Kubus“ im Inneren des ADA

Knapp 29 Millionen Euro hat der sechsjährige Umbau des Blockhauses gekostet. Was Dresden damit gewonnen hat, ist nicht nur ein betörendes Museum und eine mustergültige Forschungsstätte (wenn man von den ungewöhnlichen Öffnungszeiten absieht), son­dern auch ein transelbisches architektonisches Bindeglied zur Attraktionenkette von Neuer Synagoge über Albertinum, Lip­siusbau. Kunstakademie, Ständehaus, Residenzschloss, Hofkirche, Landtag bis zum Erlweinspeicher auf der Altstadtseite. Nun liegt das Japanische Palais jenseits der Elbe nicht mehr isoliert, und durch das im Souterrain des Blockhauses eingerichtete Café mit dem Namen „451° Fahrenheit“ und einem Garten mit Traumausblick ­haben auch die Dresdner einen neuen Anlaufpunkt – selbst wenn sie sich nicht für Kunst interessieren sollten (aber welcher Dresdner würde das zugeben?).

Und Marion Ackermann, die General­direktorin der SKD, erhofft sich vom ADA eine alle Häuser ihres gigantischen Museumsverbunds inspirierende Wirkung. In der Tat: Das Blockhaus taugt zum Maschinenraum der Künste. Das Feuer, das die Eröffnung des von Rudolf Fischer geleiteten Archivs entfacht, muss nur bewahrt werden. An den reichen Archivalien wird es nicht scheitern.

Das Archiv der Avantgarden – Egidio ­Marzona im Dresdner Blockhaus öffnet heute Nachmittag, danach dienstags bis freitags von 15 bis 21 Uhr, am Wochenende von 11 bis 19 Uhr. Die Ausstellung Archiv der Träume – Ein surrealistischer Impuls läuft bis zum 1. September; der themenbedingt eher ­text- als bildmächtige Katalog, erschienen bei Spector Books, kostet 36 Euro.

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