Neuer BVG-Chef Henrik Falk: „Die Revolution ist auch in Berlin näher als wir denken“

neuer bvg-chef henrik falk: „die revolution ist auch in berlin näher als wir denken“

„Von meinem Büro sehe ich Orte, die in meiner Kindheit und Jugend eine Rolle spielten.“ Henrik Falk ist in Friedrichshain aufgewachsen. Seit Anfang Januar ist er der neue Chef der BVG.

In der Chefetage der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) gibt es einiges zu entdecken. „Man fährt besser mit der BVG schwarz“, steht auf einem Bild. Auch der große Papiertiger, der hinter einer Zimmerpflanze lauert, ist ein Geschenk. Drei desillusioniert dreinschauende Fahrgäste, die der Fotograf Harald Hauswald zu DDR-Zeiten in der U-Bahn aufgenommen hat, schauen von der Wand in den Raum. Henrik Falk, der seit Beginn dieses Jahres im zwölften Stock in der Holzmarktstraße arbeitet, hat sich eingerichtet.

Dem neuen Vorstandsvorsitzenden des größten kommunalen Verkehrsunternehmens in Deutschland fehlt jedoch die Zeit, sich in die Zimmerdekoration zu vertiefen oder gar am Tischkicker zu spielen, den er ebenfalls mitgebracht hat. Im Interview mit der Berliner Zeitung erinnert sich der BVG-Chef an seine Jugend in einem Ost-Berliner Neubau und seine Zeit als Hochbahner in Hamburg. Falk erklärt auch, welche Herausforderungen in Berlin anstehen und wie er sich die Zukunft der Mobilität vorstellt.

Herr Falk, nach acht Jahren als Chef der Hamburger Hochbahn sind Sie nach Berlin zurückgekehrt. Wie ist es, wieder in der Heimatstadt zu leben?

Es ist total toll, wieder hier zu sein. Trotzdem ist es für mich nicht einfach, all das zusammenzubringen, was ich gerade erlebe. Vor drei Wochen wurde ich in Hamburg sehr emotional verabschiedet, vor zwei Wochen hat man mich in Berlin ebenfalls sehr emotional begrüßt. In meinen ersten Tagen habe ich vor allem viele motivierte und großartige BVGer:innen getroffen. Privat ziehe ich in dieselbe Wohnung in Tiergarten, in der ich mit meiner Familie bis 2015 gewohnt habe. Zurück in die Zukunft!

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Beste Aussichten auf die Stadtbahn und den Fernsehturm: Das sieht der BVG-Chef, wenn er im zwölften Stock des Trias-Gebäudes in der Holzmarktstraße in Richtung Westen aus dem Fenster schaut.

Es gab mal den Werbespruch „Berlin tut gut“. Hat es Ihnen gutgetan, so viele Jahre nicht in Berlin zu leben?

Auf jeden Fall. Die Haupterkenntnis für mich und meine Familie ist: Eine neue Stadt kennenzulernen, hat uns freier gemacht. Wir haben gelernt, dass es nicht vom Ort abhängt, ob wir glücklich sind. Und wir haben erlebt, dass man offener wird, wenn man sich in einer anderen Stadt zurechtfinden muss. In Hamburg bin ich anders auf die Menschen zugegangen als in Berlin. Die Erfahrungen, die ich dort und bei der Hochbahn gemacht habe, will ich nicht missen. Hamburg hat mich weitergebracht. Jetzt habe ich viele enge Freunde in Hamburg und Berlin.

Was ist der wesentliche Unterschied zwischen Hamburg und Berlin?

Hamburg ist eine Kaufmannsstadt, die seit Jahrhunderten weiß, dass ihr Lebensstandard davon abhängt, wie es der Wirtschaft geht. Dementsprechend werden die Schwerpunkte gesetzt. Das ist anders als in Berlin. Berlin definiert sich nicht über die Wirtschaft, sondern über andere Themen: als Zentrum Deutschlands, als Kulturstadt. In Berlin muss sich nicht immer alles sofort rechnen. Beide Sichtweisen haben ihre Vorteile. Zusammen hätten Hamburg und Berliner eine Superpower. Wenn es möglich wäre, diese beiden Städte zusammenzulegen, würde das sehr gut passen.

Hamburger gelten als distanziert, kühl und nicht besonders offen für Menschen, die neu in ihre Stadt kommen. Mit welchen Erwartungen sind Sie in die Hansestadt gezogen?

Ich habe erwartet, dass ich auf eine geschlossene Gesellschaft stoße, auf Menschen, die zweireihige Anzüge mit Goldknöpfen tragen und mich skeptisch beobachten. Ich habe erlebt, dass es nicht so ist. Schritt für Schritt konnte ich meine Vorurteile ablegen. Sicher ist es so, dass in Hamburg eine bestimmte DNA zum Tragen kommt. Hamburg ist eine reiche Stadt, der es gut geht, in der die Abläufe eingespielt sind, die eine gewisse Beharrlichkeit entwickelt hat. Doch was die Mobilität anbelangt, hat Hamburg eine Kraft entwickelt, die andere Städte in den Schatten stellt.

Sie sind in der DDR aufgewachsen. War oder ist Ihre ostdeutsche Herkunft für Sie ein Problem?

Nein, im Gegenteil. Für mich ist es eine wertvolle Erfahrung und ein großer Vorteil, dass ich zwei unterschiedliche Systeme kennengelernt habe.

Ihr Geburtsort ist Berlin, Hauptstadt der DDR. Was war Ihr erster Heimatbezirk?Aufgewachsen bin ich in Friedrichshain, hinter dem damaligen und heutigen Ostbahnhof. Von meinem Büro bei der BVG sehe ich Orte, die in meiner Kindheit und Jugend eine Rolle spielten.

Wo haben Sie gewohnt?

Ich bin einem Plattenbau groß geworden. In Friedrichshain hatten wir warmes Wasser aus dem Hahn, Heizung und anderen Komfort. Vorher wohnten meine Eltern in einem Altbau in Prenzlauer Berg. In den Neubau in der Singerstraße zu ziehen, war ihre große Errungenschaft. Doch je älter ich wurde, desto cooler fand ich Altbauten. Ich fragte meine Eltern, warum sie so wahnsinnig waren, aus Prenzlauer Berg wegzuziehen.

Jetzt leben Sie in Moabit. Waren Sie in letzter Zeit mal wieder in Friedrichshain?

Vor kurzem habe ich das BVG-Team besucht, das sich mit Elektromobilität und autonomem Fahren beschäftigt. Die Büros befinden sich an der Weberwiese. Dort erzählte mir ein Mitarbeiter aus Süddeutschland, dass er sehr glücklich darüber ist, dass er eine tolle Wohnung in einem Neubau in der Singerstraße gefunden hat. In der Singerstraße bin ich aufgewachsen.

Wissen Sie noch, in welchem Haus? In der Singerstraße 51 ist der Film „Die Legende von Paul und Paula“ gedreht worden. Er kam 1973 heraus, da waren Sie schon auf der Welt.

So ein Zufall! Genau in diesem Haus, in der Singerstraße 51, haben wir gewohnt. Im dritten Stock habe ich meine Kindheit und Jugend verbracht. An die Dreharbeiten kann ich mich allerdings nicht erinnern, damals war ich wohl noch zu klein. Aber ich werde mal meine Eltern fragen.

In Ost-Berlin hieß die BVG BVB. Können Sie sich noch an Fahrten mit der BVB erinnern?

Als Kind, Schüler und Auszubildender war ich in Ost-Berlin viel mit Bus und Straßenbahn unterwegs. Kürzlich bin ich mit der M4 nach Weißensee gefahren, das war damals eine meiner Strecken. Ich habe eine Berufsausbildung zum Maschinenbauer absolviert. Mein Lehrbetrieb, die Werkzeugmaschinenfabrik Niles, war in Weißensee.

Ich habe die Fahrten dorthin damals allerdings verflucht, weil sie so früh am Morgen stattfanden. Um 4.59 Uhr musste ich den Bus nehmen, um 5.45 Uhr in Weißensee anfangen zu können. Das werde ich mein Leben nicht vergessen. Vor Frühaufstehern habe ich bis heute einen Heidenrespekt. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass mir die Lehre viel Spaß gemacht hat. Aber im Nachhinein hat sie mir geholfen. Wenn ich in eine Werkstatt komme, habe ich auch heute noch ein Gefühl dafür, was da passiert und wie es ablaufen sollte. Um handwerkliche Dinge zu Hause kümmert sich jetzt allerdings meine Frau.

Sie haben aber dann doch andere Fächer studiert, erst Rechtswissenschaften in Berlin, dann Wirtschaft in St. Gallen in der Schweiz.

Meine Eltern sind Ingenieure, sie hätten es gut gefunden, wenn ich wie sie Maschinenbau studiert hätte. Aber nach dem Abitur passierte dann doch etwas anderes.

Als sie 19 Jahre alt waren, fiel die Mauer.

Normalerweise folgt meine Definition von Glück einem asiatischen Sprichwort: Glück ist das Zusammentreffen von guter Vorbereitung und Gelegenheit. Viele denken, dass Glück einfach so vom Himmel fällt, aber das stimmt nicht. 1989 war es allerdings anders. Dass die Mauer aufging, als ich 19 war und gerade eine Berufsausbildung mit Abitur abgeschlossen hatte, war nichts, worauf ich mich zielstrebig vorbereitet hatte. Es war aber trotzdem ein großes Glück für mich. Der Fall der Berliner Mauer hat mein Leben geprägt.

Wie haben Sie die neuen Möglichkeiten genutzt?

Im April 1990 gehörte ich zum ersten Ost-Jahrgang, der anfing, im Westen zu studieren. Anfangs gab es auf der Oberbaumbrücke noch einen DDR-Grenzübergang. Dort musste ich morgens meinen Ausweis zeigen. Am Schlesischen Tor stieg ich dann in die U-Bahn, um zur Freien Universität nach Dahlem zu fahren.

1990 habe ich übrigens auch meine ersten Erfahrungen mit dem anderen Wirtschaftssystem gesammelt. Ich hatte einen Studi-Job, bei dem ich netto mehr ausgezahlt bekam, als brutto auf dem Lohnzettel stand. Grund war die Berlin-Zulage, die es damals in West-Berlin noch gab. Das Bafög bekam ich von Anfang an in D-Mark.

neuer bvg-chef henrik falk: „die revolution ist auch in berlin näher als wir denken“

Beim Gespräch mit dem neuen BVG-Chef Henrik Falk: Auf dem Trinkglas prangt das BVG-Logo – ein gelbes Herz.

Welche Themen sind gerade wichtig für Sie als neuer BVG-Chef?

Führung bedeutet, eine klare Linie vorzugeben. Und diese klare Linie umfasst bei der BVG zwei Themen: Stabilität und Fokus.

Was bedeutet das?

Betriebliche Stabilisierung ist der absolute Hauptfokus. Wir müssen wieder Ruhe in den Busbetrieb bekommen. Angesichts der Diskussion über Fahrtausfälle und Leistungskürzungen, mit der die BVG seit längerem konfrontiert wird, wäre alles andere auch eine Überraschung. Andere Dinge müssen da vorübergehend in den Hintergrund treten, auch Themen, die ich in Hamburg mit großer Leidenschaft angefasst habe – etwa das autonome Fahren. Wir können nicht alles gleichzeitig in Angriff nehmen. Wir müssen die richtigen Prioritäten setzen und dann auch liefern.

Die BVG arbeitet sich schon lange an diesem Thema ab, doch die Lücken im Angebot wurden immer größer. Inzwischen hat das Unternehmen die Leistung im Busverkehr um sechs Prozent verringert. Und auch Sie können sich keine Busfahrer backen.

Das stimmt, auch ich kann mir keine Busfahrenden backen. Was ich jetzt sage, soll nicht dazu dienen, die Kritik zu relativieren, als Power-User bin ich selbst viel mit Bussen der BVG unterwegs. Um die Situation realistisch einzuschätzen, müssen wir uns auch sehr genau die Zahlen anschauen.

Welche Zahlen meinen Sie?

Trotz der Kürzungen, die wir zwischenzeitlich vornehmen mussten, bieten wir unseren Fahrgästen heute immer noch mehr Busfahrten an als vor Corona. Die Verkehrsleistung, die unsere Busse im vergangenen Jahr auf Berlins Straßen gebracht haben, ist um rund zwei Prozent größer als 2019. Bei der Straßenbahn haben wir das Angebot sogar um zehn Prozent erweitert. Anders formuliert: Obwohl die BVG noch nicht wieder so viele Fahrgäste wie vor der Pandemie befördert, bieten wir unseren Kunden mehr Leistung an als früher. Das ist erst einmal eine gute Botschaft für Berlin. In anderen Städten geht es in der Hinsicht anders zu.

Trotzdem muss die BVG viele neue Mitarbeiter einstellen.

Allein im vergangenen Jahr haben sich rund 30.000 Menschen auf einen Arbeitsplatz bei der BVG beworben. Auch im Bus-Fahrdienst, der besonders im Fokus steht, haben wir mehr Bewerbungen als offene Stellen. Die BVG ist ein attraktives Unternehmen, die Menschen wollen zu uns. Ich finde das grandios.

In Ihrem Unternehmen wird aber berichtet, dass nicht wenige BVG-Novizen bald wieder wegwollen. Zu den Bereichen mit hoher Fluktuation gehört auch der Fahrdienst.

Es geht nicht nur um Löhne und Gehälter. Menschen verlassen Menschen, und das hat Gründe. Daran müssen wir denken, wenn wir uns über hohe Fluktuationsraten unterhalten.

Was meinen Sie damit?

Was wir gerade erleben, sind Wachstumsschmerzen. Die große Herausforderung ist, dieses Wachstum zu managen. Im vergangenen Jahr hat die BVG rund 1800 Menschen eingestellt, das entspricht einem nicht ganz kleinen mittelständischen Unternehmen. Man kann sich ausmalen, was es bedeutet, die Prozesse darauf einzustellen, die neuen Mitarbeitenden willkommen zu heißen und zu integrieren. Das ist eine große Herausforderung. Offensichtlich ist da schon einiges geschehen, sonst wäre es der BVG nicht gelungen, so viele Arbeitsplätze zu besetzen.

Doch klar ist auch, dass wir noch an vielen Themen arbeiten müssen. Wie werden die Neuen auf den Betriebshöfen aufgenommen? Wie ist es um die Willkommenskultur, um die Unternehmenskultur bestellt? Die BVG ist in vielen Prozessen immer noch zu langsam, zu viele Verfahren sind bürokratisch. Mit meinen Kolleg:innen im BVG-Vorstand bin ich mir darin einig, dass es da noch einige große Handlungsfelder gibt.

Wenn sich so viele Menschen bewerben: Braucht die BVG also keine längeren Pausen und keine anderen Entlastungen, wie sie die Gewerkschaft Verdi gerade fordert?

Zu den anstehenden Verhandlungen über einen neuen Manteltarifvertrag, die im Januar beginnen, werde ich mich nicht vorab äußern. Doch solange ich mich mit solchen Themen befasse, gilt: In jedem guten Unternehmen geht es kontinuierlich darum, Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die BVG hat schon viel dafür getan, um die Mitarbeitenden zu entlasten. So wurde beispielsweise schon 2019 vereinbart, bis 2024 die Arbeitszeit schrittweise auf 37,5 Stunden zu verkürzen. Bei der Thematik kann sicher noch einiges geschehen, aber richtig ist auch, dass die BVG in vielerlei Hinsicht schon sehr weit vorne ist.

Trotzdem: Das Personalproblem bleibt, das gefahrene Angebot ist kleiner als das, was die BVG dem Senat versprochen hat. Wann will die BVG die Lücke schließen?

Natürlich so schnell wie möglich. Es wäre aber vermessen und unseriös zu sagen, dass uns das rasch gelingen wird.

Immer wieder wird berichtet, dass es auch bei U- und Straßenbahn nicht rundläuft.

Wenn ich mir unsere internen Zahlen anschaue, dann entnehme ich ihnen, dass U- und Straßenbahn Stand heute stabil unterwegs sind. Meine Wahrnehmung aus Fahrgastsicht ist aber manchmal eine andere. Mir ist es durchaus auch schon passiert, dass ich mehrere Minuten auf dem Bahnhof stand und keine Bahn kam. Es ist klar, dass ich mir auch diesen Bereich anschauen werde.

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Großer Bahnhof am Olympiastadion: Am 11. Januar 2024 wird die Übergabe der ersten vier Wagen der neuen U-Bahn-Generation für Berlin gefeiert. Die Fahrzeuge der Baureihe JK werden jetzt getestet.

Vor kurzem wurden der BVG die ersten Wagen der neuen U-Bahn-Generation übergeben. Es gab allerdings Zeiten, in denen kaum in die U-Bahn-Flotte investiert wurde – zum Beispiel, als sie von 2008 bis 2015 Vorstand der BVG für Finanzen und Vertrieb waren. Sind Sie an der Misere, unter der die Fahrgäste bis heute leiden, mitbeteiligt?

Nein. Im Gegenteil: Die Grundlagen, die diese große U-Bahn-Beschaffung jetzt ermöglichen, wurden vor zehn Jahren geschaffen, und ich war daran beteiligt. Damals ging es darum, mit dem Land Berlin einen verbindlichen Plan zu erarbeiten, wie die BVG die U-Bahn-Flotte erneuert. Das ist uns gelungen, seitdem ist allen klar, dass massiv in den Fuhrpark investiert werden muss. Ich fand es toll zu sehen, dass das jetzt Früchte trägt und die ersten neuen U-Bahn-Wagen übergeben wurden.

Sie müssen sich auch um die Einnahmen kümmern. Doch da wird der BVG von der Politik viel vorgegeben. Im vergangenen Mai wurde das Deutschlandticket eingeführt, mit dem man für 49 Euro pro Monat bundesweit den gesamten Nahverkehr nutzen darf. Zum 1. Juli 2024 kommt das neue Berlin-Abo, das für Berlin gilt und 29 Euro pro Monat kostet.

Ich bin ein großer Fan des Deutschlandtickets. Das ist für mich die größte Revolution, die ich im öffentlichen Verkehr erlebt habe. Das 49-Euro-Ticket hat die Lücken, die Corona bei den Fahrgastzahlen gerissen hat, zu einem großen Teil ausgeglichen. Nachdem die Pandemie unserer Branche eine große Krise beschert hatte, war es auch nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll, einen Anreiz zu geben, um die Menschen für den öffentlichen Verkehr zurückzugewinnen. Schließlich ist es kein Naturgesetz, dass sie mit uns fahren.

Doch die Finanzierung des Deutschlandtickets ist erst einmal nur bis Ende April 2024 gesichert. Und es gibt Kritik – zu wenig Neukunden, Investitionen in Gleise und Bahnhöfe wären viel wichtiger.

Natürlich müssen der Bund und die Länder die Finanzierung auf eine langfristig sichere Grundlage stellen. Deshalb ist es auch für mich absehbar, dass der Preis des Deutschlandtickets steigen wird. Aber klar ist, dass es auch weiterhin dazu beitragen wird, dass wir immer mehr Menschen in unser System bekommen.

Manche Kritik verstehe ich nicht, zum Beispiel das Argument, dass die Infrastruktur aus dem Blick gerät. Dieses Thema ist doch schon durch das 9-Euro-Ticket viel stärker in den Fokus gekommen als früher. Durch den Druck, den die gestiegenen Fahrgastzahlen erzeugt haben, kann die Branche gegenüber der Politik ganz anders argumentieren. Bund und Länder wissen, dass sie sich mit dem öffentlichen Verkehr befassen müssen. Das 9-Euro-Ticket und das Deutschlandticket haben ihm zudem einen gewaltigen Digitalisierungsschub beschert.

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In der BVG-Chefetage in Mitte: Ein Geschenk, das Henrik Falk bekam, steht an einem Fenster der Chefetage.

Jetzt möchte ich noch einmal auf Hamburg zurückkommen, weil ich dort spannende Dinge sehe. Während die BVG den beliebten Berlkönig eingestellt hat und mit dem Fahrdienst Muva nur einen kleinen Teil des Stadtgebiets abdeckt, gibt es in der Hansestadt flächendeckend Ridesharing mit Moia. Wäre das nicht ein Modell für Berlin?

Wichtig ist hier die strategische Zielsetzung. In Hamburg haben die Stadt und die Hochbahn gemeinsam mit vielen anderen Akteuren eine Strategie entwickelt. Wir haben aufgezeigt, wie die Mobilität 2030 aussehen sollte. Mein Ziel ist es, ein solches Zielbild gemeinsam mit allen Akteuren auch für Berlin zu erarbeiten – Mobilität 2035. In Berlin stehen große Ereignisse an: 2035 die Expo, 2036 oder 2040 vielleicht die Olympischen Spiele, die Internationale Bauausstellung. Die ersten Gespräche haben begonnen, und ich freue mich darüber, dass ich auch hier auf viele undogmatische Gesprächspartner:innen treffe. Das ist gut, denn Dogmen tragen nicht dazu bei, die beste Lösung zu finden.

Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.

Wenn ich gegen Dogmen bin, dann meine ich, dass Menschen Gründe dafür haben, warum sie Auto fahren. In vielen Fällen gibt es eine Notwendigkeit, und das akzeptiere ich. Es ist Unsinn zu denken, dass alle ihre Autos abschaffen werden, nur weil man den öffentlichen Verkehr ausbaut. Bahnen und Busse sind zwar in der Lage, große Menschenmengen zu bewegen. Doch im individuellen Bereich können sie private Autos nicht vollständig ersetzen.

Mein Ziel ist es, die Lücken mit digitaler Technologie zu schließen. Autonome On-Demand-Shuttles könnten den öffentlichen Verkehr auch in Berlin ergänzen. Die Nutzer wären mit autoähnlichen Vehikeln unterwegs, sie müssten sie aber nicht steuern und auch nicht besitzen. Sharing ist für unsere Branche von großer strategischer Bedeutung. Es muss Teil des Lifestyles der Menschen werden, damit wir die Mobilitätswende hinbekommen.

2035 könnte Hamburg Berlin längst überholt haben. Das Projekt Alike sieht vor, dass 2030 bis zu 10.000 autonome E-Shuttles durch Hamburg fahren. Vorausgesetzt, es gibt eine Zulassung.

Von solchen Wettbewerbsgedanken habe ich mich inzwischen frei gemacht. Jetzt geht es an erster Stelle darum, dass wenigstens ein autonomes Fahrzeug in Deutschland zugelassen wird. Und da ist es nicht entscheidend, ob dieses Fahrzeug zuerst in Hamburg, Berlin oder Paderborn unterwegs ist. Doch klar ist auch: Wenn dieser Schritt tatsächlich gelingt, folgen andere, und das wird bahnbrechend sein. Auch in Berlin wird sich die Mobilität grundlegend ändern. Da gehe ich jede Wette ein.

Seit Jahren wird versprochen, dass fahrerlosen Fahrzeugen die Zukunft gehört. Doch auch in Berlin ist bis auf kleine Projekte bislang keine solche Revolution in Sicht – anders als zum Beispiel in China.

Wir müssen raus aus der Ist-Welt. Die Revolution ist auch in Berlin näher, als wir denken. In diesem Zusammenhang zeige ich gern zwei alte Fotos. Auf einem Bild ist die Fifth Avenue in New York im Jahr 1907 zu sehen, schon damals eine der großen Stadtstraßen der Welt. Man sieht einen Stau von Pferdekutschen. Auch das zweite Foto wurde in der Fifth Avenue aufgenommen – aber rund zehn Jahre später. Keine Kutsche ist mehr zu sehen, dafür ein riesiger Autostau. Innerhalb von zehn Jahren fand ein gewaltiger Wechsel statt.

Auch Generationen vor uns haben erlebt, dass neue Technik großartige Revolutionen auf dem Gebiet der Mobilität ermöglicht. Meist gehen die Revolutionen schneller voran, als man denkt. Es wäre fahrlässig, wenn ich als Chef der BVG diese Zukunft nicht mitdenken würde. Wir müssen die Zukunft gestalten, und ich setze mich dafür ein, dass daraus eine Chance für die Mobilitätswende in Berlin wird.

Wieder zurück in die Gegenwart. Wie werden Sie heute Abend nach Hause kommen?

Ich bin heute Früh mit der S-Bahn zur Arbeit gekommen und werde mit ihr auch wieder nach Hause fahren. Ich wohne nicht weit vom S-Bahnhof Tiergarten entfernt. Auch in Hamburg habe ich für den Weg ins Büro die S-Bahn genutzt. Ich bin auch ein großer S-Bahn-Fan.

Das wird S-Bahn-Chef Peter Buchner sehr gern hören. Danke fürs Gespräch.

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