Das Internet könnte 2026 ausgelesen sein. Das wird für KI zum Problem. Für den Menschen ist das auch eine gute Nachricht

das internet könnte 2026 ausgelesen sein. das wird für ki zum problem. für den menschen ist das auch eine gute nachricht

Beim «KI-Inzest» ;verkommt das einst Neue zur Wiederauflage des Immergleichen: Das Bild von Papst Franziskus’ Verhaftung wurde mit einem Remix von bereits bestehenden Fake-Bildern generiert. KI-generierte Bildcollage Simon Tanner / NZZ

Viele Male tippen wir derzeit den Begriff «künstliche Intelligenz» (KI) in unsere Mobiltelefone. Man muss nicht glauben, dass Apples Siri den Zusammenhang zwischen den beiden Wörtern inzwischen gelernt hätte. Siri schlägt nach «künstliche» konsequent «Grüsse», «Liebe» oder «Claudia» vor. Was immer eine «künstliche Claudia» sein mag, sie ist sicher kein Zeichen für herausragende Intelligenz.

Wenn das so ist, dann können wir uns ja gemütlich zurücklehnen. Dann ist es mit der KI ja doch nicht so weit her, und wir brauchen uns um das Alleinstellungsmerkmal des menschlichen Denkens keine Sorgen zu machen. Diese Schlussfolgerung wäre naiv. Der Fortschritt ist auf dem KI-Kontinent als rasender Zug unterwegs.

Während viele KI-Anwendungen wie Spam-Filter und Empfehlungsalgorithmen schon seit Jahren in unseren Alltag integriert sind, sorgt die generative KI nun mit ihrer Leistungsfähigkeit, Geschwindigkeit und Imitationsfähigkeit für eine Disruption unserer Kulturgeschichte: Die Zeit der kulturellen Co-Kreation hat begonnen. Mensch und Maschine schreiben die Geschichte gemeinsam fort. Das kann zu grossartigen neuen Ideen und Entwicklungen führen, wenn es uns gelingt, den Unterschied zwischen Original und Abbild, zwischen menschlichen und maschinellen Kreationen, weiterhin klar zu erkennen.

Wie das gehen kann, hängt auch davon ab, ob es in Zukunft noch ein Original geben wird. Wenn KI schönere Picasso-Bilder produzieren kann als Picasso selbst, wenn sie grössere Pop-Hits erschaffen kann als Taylor Swift oder Adele, was wird dann aus dem Konzept kreativer Einzigartigkeit?

Konkurrenz für Taylor Swift

Generative KI ist eine grosse Komprimierungsmaschine für all das, was wir Menschen kulturell produziert und während Jahrzehnten im Internet gespeichert haben. Wann immer Chat-GPT, Bard oder Midjourney einen Text oder ein Bild erstellen, wird dabei der digitale Wissensfundus der Menschheit komprimiert. Dabei gehen viele Details verloren, und manchmal gibt es auch «Bildfehler», wenn die verwendeten Informationen das Gesamtbild, die Aussage eines Textes oder den inhaltlichen Zusammenhang verändern.

Wir betreten nun die bislang höchste Entwicklungsstufe einer «remix culture», die die grundlegenden Muster kreativer Inhalte vielfach kopiert, manipuliert und weiterverarbeitet. Oft begeistern uns die Ergebnisse, wie man an dem KI-Song «Heart on My Sleeve» hören konnte. Das Werk, vermeintlich von den US-Künstlern Drake und The Weeknd, wurde millionenfach gestreamt, bevor das Musiklabel Universal es von allen Plattformen löschen liess.

Das Stück ist schlicht ein Remix der Klangmuster von anderen vorhandenen Songs der beiden Künstler – und doch klingt es für uns neu. Genau das ist das Prinzip von KI: die Inhalte im Internet nutzen, um daraus einen nie mehr endenden Strom von Remixes zu machen. Das Internet schreibt sich nun also selbst fort, immer mehr ohne Zutun von Menschen.

Die KI-Tools schicken die Inhalte aus dem Netz in einem irren Tempo durch den virtuellen Mixer ihrer neuronalen Netzwerke mit mehr als einhundert Schichten. Wie lange dauert es also noch, bis die generative KI das gesamte Internet ausgelesen hat? Wie lange noch, bis wir den Tipping-Point, den Kipppunkt, erreicht haben, an dem von Menschen geschaffene Original-Inhalte zur unbedeutenden Restgrösse werden?

Willkommen im Remix-Turbo

Forscher bei Google Books schätzen, dass die Menschheit seit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks um 1440 etwa 125 Millionen Titel hervorgebracht hat – Romane, Vertragswerke, Gedichtbände, historische Abhandlungen und vieles mehr. Davon ist bislang allerdings noch nicht einmal ein Viertel digitalisiert, also für KI-Tools lesbar gemacht worden. Wenn man zugrunde legt, dass ein grosses Sprachmodell mit Hunderten von Milliarden Wörtern trainiert wurde, dann sind die digital verfügbaren Originaltexte bereits nahezu ausgelesen.

Genau zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie einer schottisch-deutschen Forschungsgruppe. Demnach ist der Fundus an neuen hochwertigen Textdaten für die KI bereits 2026 erschöpft. Spätestens 2026 haben KI-Modelle alles gelesen, was es digital zu lesen gibt. Bei den Bildern haben wir etwas mehr Zeit, da sollen die originären visuellen Vorräte im Internet erst Mitte dieses Jahrhunderts erschöpft sein.

Im Jahr 2026? Das ist sehr bald. Wenn die mit menschlicher Kreativität geschaffenen Originale erschöpft sind, wo sollen die weiteren Inhalte für das Training der neuronalen Netzwerke herkommen? Zum einen werden dann womöglich deutlich mehr qualitativ wertlose Inhalte zu Trainingszwecken genutzt werden. Damit dürfte auch die Qualität der durch KI neu geschaffenen Inhalte schlechter werden. Zum anderen liessen sich synthetische Daten für die Lernphase verwenden. Das sind Daten, die überhaupt erst durch KI hergestellt werden, um dann fürs Training genutzt und weiterverarbeitet zu werden – willkommen im Schleudergang eines sich perpetuierenden Remix-Turbos.

Es droht ein KI-Inzest

In diesem Prozess verkommt das einst Neue zur abgehalfterten Wiederauflage des Immergleichen. Mittelmässigkeit wird automatisiert. Der Remix wächst, und die Originalität schrumpft, so lange, bis nur noch die durch KI geschaffenen Inhalte «neu» sind. Das ist Textinzest und in diesem Falle kein moralisches, sondern ein intellektuelles Problem.

Es gibt gute Gründe dafür, warum wir uns im biologischen Leben nicht mit nahen Verwandten reproduzieren sollten. Wenn Geschwister Kinder bekommen, also biologischen Inzest begehen, wächst die Wahrscheinlichkeit von Erbkrankheiten beträchtlich. Der KI-Inzest ist das technische Pendant dazu. Eine Studie mit dem programmatischen Titel «Der Fluch der ewigen Wiederkehr» zeigt, dass KI-Modellen diese exponentielle Selbstverdauung nicht guttut. Sie kollabieren.

Dieser Kollaps wird dadurch hervorgerufen, dass die Sprachmodelle im Verlauf der Zeit die Originaldaten unwiederbringlich «vergessen», so dass die Modelle schlechter werden darin, gute und wirklichkeitsgetreue Inhalte zu produzieren, und immer mehr Fehler machen. «So wie wir die Ozeane mit Plastikmüll übersät und die Atmosphäre mit Kohlendioxid gefüllt haben, sind wir dabei, das Internet mit Blabla zu füllen», sagt ein Autor der Studie.

Wenn das so kommt, erleben wir die Sinnkrise der Datengesellschaft, und das erinnert an die jüngste Geschichte. Wie strukturierte Produkte an den Finanzmärkten zum Crash 2008 und zu einer über Jahre andauernden Krise beigetragen haben, so könnte generative KI auf einen Schmelzpunkt origineller Kommunikation zusteuern. Die KI schafft komplex strukturierte Derivate des Denkens – in so vielen Ableitungen, dass weder sie selbst noch wir Menschen das Original mehr erkennen können.

Denken ist ein Handwerk

Das klingt schlimm und ist doch eine gute Nachricht für uns Menschen. Wir werden nämlich gebraucht: mit unserem Denken, unseren Gefühlen, unserer Intuition und Kreativität. KI braucht uns als Quelle der Originalität, der Überraschung, um nicht zu kollabieren und unsere Kultursysteme in eine Abwärtsspirale der Mittelmässigkeit hinabzureissen.

Seit Jahrhunderten bringen Menschen physisch Einzigartiges hervor. Wir nennen es Handwerk. «Bei jedem guten Handwerker stehen praktisches Handeln und Denken in einem ständigen Dialog», schreibt der Soziologe Richard Sennett in seinem Buch «Handwerk» (2008). «Durch diesen Dialog entwickeln sich dauerhafte Gewohnheiten, und diese Gewohnheiten führen zu einem ständigen Wechsel zwischen dem Lösen und dem Finden von Problemen.» Genau diesen Ansatz können wir nun aufs Denken übertragen.

Menschliches Denken bleibt ein wesentlicher Wertschöpfungsfaktor unserer Zivilisation – wir brauchen es ebenso wie die KI-betriebenen Maschinen. Europäische Regulierung fordert, KI-generierte täuschend echte Deep-Fakes mit einer Kennzeichnung zu versehen. Das ist richtig so, aber warum nur die KI-generierten Inhalte? Vielleicht sollte es auch ein «Biosiegel» des menschlichen Denkens und Schaffens geben. Und vielleicht sind wir sogar bereit, mehr zu zahlen für Texte und Bilder, wenn sie menschengemacht sind, weil wir das Original und die Authentizität des menschlichen Denkwerks in Zeiten ihrer Verknappung besonders schätzen.

Wenn man Apples Siri mit dem Wort «Menschen» füttert, schlägt die KI als Fortführung «menge» und «würdig» vor. Vielleicht können wir der KI beibringen, dass die zweite Alternative die wichtigere ist.

Miriam Meckel ist Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, Léa Steinacker dort Lehrbeauftragte. Soeben ist ihr Buch «Alles überall auf einmal» über künstliche Intelligenz erschienen (Rowohlt-Verlag, 400 S., Fr. 38.90).

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