Die Kunst im Technozän

die kunst im technozän

Interaktive Videoinstallation: „Faces of ImageNet“ von Trevor Paglen aus dem Jahr 2022

Oben, im zweiten Stockwerk dieser großen Berliner Ausstellung zur Kunst im Digitalzeitalter, tritt man vor einen Bildschirm, auf dem viele Gesichter zu sehen sind – und wundert sich, denn mittendrin sieht man sich selbst, umspült von seltsamen Begriffen. Eine Künstliche Intelligenz, die mit der Bilddatenbank ImageNet arbeitet, versucht anhand der gefilmten Besuchergesichter zu identifizieren, um wen es sich handeln könnte, die Ergebnisse sind Digital-Dada: Es tauchen die Worte „Psychiater“, „Leiter einer Firma“ und „Rheumatologe“ auf. Man kann vor dem Kunstwerk lustige Gruppenspiele mit Freunden machen: Bei einem spuckt die KI Gemeinheiten aus („Person ohne Einfluss“), andere werden geadelt („Baron“). Das Gesichtserkennungsprogramm, das für dieses interaktive Kunstwerk von Trevor Paglen genutzt wurde, ist aber weniger lustig – denn es zeigt auch, wie sehr in die Programmierung Künstlicher Intelligenzen Klischees oder rassistische Vorurteile einfließen und wie intransparent die Grundlagen sind, nach denen private Anbieter ihre KIs trainieren. Wozu das führen kann, zeigt die Tatsache, dass mit „police predicting tools“ arbeitende Polizisten überproportional häufig Menschen mit dunkler Hautfarbe verdächtigen.

Die Arbeit von Paglen, der für seine Kameraarbeit in dem oscarprämierten Film „Citizenfour“ über Edward Snowden und mit seinen Fotos von NSA-Rechenzentren bekannt wurde, ist noch bis zum 26. Mai in den Berliner Kunst-Werken in einer großen Ausstellung zu sehen, die den Titel „Poetics of Encryption“ trägt. Encryption, also Verschlüsselung, ist eine übliche Sicherheitsmaßnahme, andererseits macht man etwas „kryptisch“, verbirgt es, um es der Kritik zu entziehen und so Macht auszuüben. Jeder benutzt Apps, kaum jemand weiß, wie sie funktionieren. Jeder verlässt sich auf Suchmaschinen, kaum jemand weiß, wer entscheidet, welche Informationen sie wie sortieren und weitergeben. Digitalkonzerne schützen ihre Technik, dadurch wird es denen, die sie benutzen und mit ihnen Entscheidungen treffen, unmöglich, nachzuvollziehen, wie etwa eine Künstliche Intelligenz operiert. Wir nutzen digitale Instrumente, wissen aber nicht, wer sie programmiert hat, welche Daten sie sammeln und was sie mit diesen Daten tun. Welche Gesundheitsdaten geben Health Apps an wen weiter, welche Daten sammeln aktuelle Autos über ihre Fahrer?

Unwissenheit und Machtlosigkeit

Mit der Digitalisierung haben sich die modernen Gesellschaften in ein schwarzes Loch gesteuert: in die Hände von Digitalkonzernen oder autoritären Regierungen, die Zugriff auf diese Daten haben, wie in China. Überwachungskameras machen Bilder von Menschen, die von Algorithmen ausgelesen und interpretiert werden und die kein menschliches Auge je sieht – eine ganz neue Form von unsichtbarer Bildproduktion, wie es sie in der Geschichte der Kunst noch nie gab.

Vielleicht wird das Digitalzeitalter als die Epoche in die Geschichte der Menschheit eingehen, in der die reale Macht und das Wissen über sie weiter als je zuvor auseinanderklaffen. Die Nutzer von Apps und Künstlichen Intelligenzen, schreibt der Kurator Nadim Samman in seinem Buch „Poetics of Encryption. Art and the Techno­cene“, nachdem auch die von ihm eingerichtete Gruppenausstellung benannt ist, sind so zu „Unwissenheit und Machtlosigkeit verdammt“. Kann Kunst mit ihren Mitteln aufdecken und entschlüsseln, wie diese Technologien „im Verborgenen wirken“, und so die Macht der Apps und anderer technologischer Bewusstseinsmaschinen mit ihrem Wissen um Bild- und Emotionalisierungsstrategien brechen?

Dass Digitales auch eigene „Poesie“ im Sinne der griechischen Poiesis als einer „Kunst der Hervorbringung hat“, zeigen die Schimären, die diese Ausstellung bevölkern; Eva und Franco Mattes lassen eine ausgestopfte sechsbeinige Katze durch den Raum balancieren, wie man sie sonst nur auf verzerrten Panoramafotos sieht, und John Rafman zeigt in seinen Videoarbeiten, wie ein moderner Orpheus versucht, in die digitale Unterwelt, ins Schattenreich der Daten einzudringen, um dort zu retten, was zu retten ist. Die Frage, die sich bei all diesen Werken stellt, ist grundlegend für die Rolle der Kunst im „Technozän“: Könnten die kritischen Bildwelten der Kunst die Einlullungsmaschinen der Digitalkonzerne explodieren lassen, so wie es Paglen versucht?

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