High-Tech statt Cannabis – die ZSC Lions ernten meisterliche Früchte des Zornes
Die ZSC Lions erspielen sich den Meisterpuck.
Die ZSC Lions sind eine verschworene Gemeinschaft wie nie mehr seit dem letzten Titelgewinn von 2018. Sie besiegen Lausanne 3:0 und brauchen noch einen Sieg für die Meisterschaft. Die Romantik der alten Tage ist zurück.
Eine Meisterfeier wäre eigentlich der logische Saisonschluss für die ZSC Lions. Sie sind im letzten Spätsommer als himmelhohe Favoriten gestartet und haben die Qualifikation gewonnen. Sie sind als eher noch himmelhöhere Favoriten in die Playoffs eingestiegen. Also wäre auch der Titelgewinn logisch. Aber die Zürcher sind noch nicht Meister. In einem Final, der in jeder Partie eine neue Überraschung bereithält, führen sie erst 3:2. Am Samstag können sie in Lausanne Meister werden. Oder im Falle eines Falles am nächsten Dienstag auf eigenem Eis.
So logisch der Sieg (3:0), so dramatisch das Spiel. Von allem Anfang an. Mit Yannick Weber fällt der beste Verteidiger früh aus (4. Min.) und vier Minuten später gibt es die beste Sturmformation (Rudolf Balcers, Denis Malgin, Sven Andrighetto) nicht mehr: Rudolf Balcers fällt ebenfalls durch Verletzung aus. Für die ZSC Lions geht es erst einmal darum, im ersten Drittel ungeschoren davonzukommen. Lausanne prägt das Spiel mit 12:10 Abschlüssen.
Simon Hrubec war gestern ein grosser Goalie.
Wenigstens ist die bange Frage nach der Verfassung von Simon Hrubec rasch beantwortet. Er hat seine Magie wiedergefunden. Er ist also ein grosser Goalie. Grosse Goalies stehen nach einem missglückten Abend sogleich wieder auf. Bei der 2:5-Niederlage in Lausanne hatte der Tscheche am Dienstag zwei haltbare Treffer kassiert. Nun wird er erstmals im Final alle Pucks stoppen. Damit ist die wichtigste Voraussetzung für den Sieg gegeben.
Seine Vordermänner sind auf einen grossen Torhüter angewiesen. Weil sie lange Zeit keinen Puck ins gegnerische Tor bringen. Lausanne ist bis über die Spielmitte hinaus bissiger und hat in einem Drama, das auf Messers Schneide steht, leichte Vorteile. Es ist eine intensive, hochstehende Partie und es gibt zwei Möglichkeiten, um den Bann zu brechen: Die Hockey-Götter würfeln oder einem Spieler gelingt eine Heldentat.
Die Hockey-Götter würfeln: Die Waadtländer verlieren nämlich die Partie, als sie die Hand nach dem Sieg ausstrecken. Einer der wenigen Fehlentscheide der guten Schiedsrichter zu ihren Gunsten wird ihnen zum Verhängnis: Lausannes Nationalverteidiger Andrea Glauser spielt nach einer Stockberührung den «sterbenden Schwan» und Derek Grant wird zu Unrecht auf die Strafbank verbannt. Andrea Glauser wird für diesen Schelmenstreich gebüsst werden.
Glausers Schauspieleinlage motivierte den ZSC und seine Fans so richtig.
Dieses erschlichene Powerplay beim Stande von 0:0 ist kurz vor «Halbzeit» (28. Minute) eine goldene Gelegenheit für Lausanne, die wankenden ZSC Lions über die Klippe zu stürzen. Oder zumindest an den Rand der Klippe zu drängen. Und nun wirkt sich dramatisch und spektakulär wie noch nie in der neuen, im Herbst 2022 eröffneten Arena der Heimvorteil aus.
Auf dem riesigen Videowürfel (der grösste in Europa) ist Andrea Glausers schlaues Theaterspiel in der Wiederholung deutlich zu sehen. Das Publikum rockt und tobt. Die Energie dieses Zornes überträgt sich auf die Spieler: Sie bekommen durch die heftige Reaktion auf dieses Unrecht einen Energieschub und dominieren das Mitteldrittel mit 15:1 Torschüssen. Trainer Marc Crawford wird nach dem Spiel sagen, er habe im Stadion noch nie diese Energie gespürt.
Die ZSC Lions überstehen den Ausschluss, werden immer dominanter und Juho Lammikos 1:0 in der 38. Minute ist die logische Folge dieses Adrenalinstosses. So lange hatten sie im Final noch nie auf das erste Tor warten müssen. Connor Hughes hätte diesen Treffer allerdings verhindern müssen. Es ist sein erster Fehler in diesem Final. So ist es eben, wenn die Hockey-Götter würfeln. Die grosse Frage lautet nun: Ist auch er ein grosser Goalie, der sofort wieder aufstehen und am Samstag zu seinem besten Hockey zurückfinden wird?
Die aufgeputschten ZSC Lions haben die Klasse, um den gegnerischen Frust nur 51 Sekunden nach dem 1:0 zum zweiten Treffer zu nützen: Vinzenz Rohrers 2:0 ist die Entscheidung. Diese zwei Treffer sind die Früchte des Zornes über den Schiedsrichterentscheid.
Vinzenz Rohrer macht das 2:0 für den ZSC.
Die Romantik der alten Tage, die nach dem Auszug aus dem Hallenstadion im Frühjahr 2022 nach dem verlorenen Final gegen Zug für immer verloren schien, ist in dieser fünften Finalpartie nun auch in der neuen Arena spürbar.
Es ist einerseits die Romantik der verschworenen Gemeinschaft: Die Art und Weise, wie die ZSC Lions die Ausfälle von Yannick Weber und Rudolfs Balcers wegstecken und in der kritischen Phase des Spiels über sich hinausgewachsen, haben wir zuletzt in den meisterlichen Playoffs von 2018 gesehen. Statistisch waren die Zürcher im Final von 2022 nach dem 3:0 gegen Zug dem Titel näher und wurden doch nicht Meister. Aber gefühlt sind sie jetzt bei einer 3:2-Führung der Meisterfeier näher. Vieles spricht dafür, dass die Früchte des Zornes meisterliche Früchte sind.
Zur Romantik gehört andererseits auch die Kraft, die vom Publikum kommt. Diese Kombination aus Leidenschaft und High-Tech (Videowürfel, Soundanlage) erzeugt Hühnerhaut. So laut, so voller Energie wie bei diesem 3:0 war das Hallenstadion auch in den wildesten Zeiten nie. Der Unterschied zum Hallenstadion lässt sich auf eine einfache Formel bringen: mehr High-Tech (optisch und akustisch) und weniger Cannabis.
Ein meisterlicher Triumph wäre logisch: Die grössere Ausgeglichenheit und die breitere Basis müssten sich eigentlich auszahlen. Aber bisher hatte jede Partie eine neue Überraschung parat. Logik sollte in einem unberechenbaren Spiel auf rutschiger Unterlage sowieso nicht erwartet werden. Schon gar nicht in einem Final.
Nach der Partie hat kein einziger Spieler der ZSC Lions gesagt, der vierte und entscheidende Sieg sei der schwierigste. Das ist ein gutes Zeichen. Alle wissen, dass das so ist. Also muss es nicht auch noch gesagt sein. Dass es schwierig wird, wissen sie besser als 2022 nach dem 3:0.