Höcke gegen Voigt im Faktencheck – Was stimmt und was nicht?

Im Fernsehduell der Thüringer Spitzenkandidaten von AfD und CDU auf WELT TV fallen markige Aussagen. WELT macht den Faktencheck zu bemerkenswerten Behauptungen von Björn Höcke und Mario Voigt – ob zur Zuwanderung, dem Einsparpotenzial von Entwicklungshilfen oder Höcke als „Faschist“.

Kosten der Zuwanderung

Der Thüringer AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke sagte im Fernsehduell zu CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt und über die Migration nach Deutschland unter der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU): „Ab 2015 sind in den Folgejahren zehn Millionen Menschen zu uns gekommen, viele von denen illegal. Die Gesamtkosten dieser Zuwanderung belaufen sich laut Professor Raffelhüschen (Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen, d. Red.) auf 5,8 Billionen Euro – Billionen Euro, das ist die Nachhaltigkeitslücke. Diesen Schaden haben Sie verursacht.“

Tatsächlich gibt es ein Papier der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, Stefan Seuffert und Florian Wimmesberger für die „Stiftung Marktwirtschaft“ mit dem Titel „Ehrbarer Staat? Fokus Migration zur fiskalischen Bilanz der Zuwanderung“. In diesem Zusammenhang sagte Raffelhüschen der „Bild“-Zeitung: „Die Zuwanderung, wie sie bisher geschieht, kostet uns gesamtwirtschaftlich 5,8 Billionen Euro.“ Allerdings ist diese Studie unter Ökonomen höchst umstritten.

Schon im Januar, als das Papier von Raffelhüschen veröffentlicht wurde, kritisierte der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Jens Südekum von der Universität Düsseldorf im Kurznachrichtendienst X: Das Modell von Raffelhüschen sei so angelegt, dass nicht nur jeder Zuwanderer eine Belastung für das Sozialsystem Deutschlands sei, sondern auch jeder neue geborene Deutsche.

Tatsächlich schreiben die Autoren selbst auf Seite neun ihres Papiers: „Denn auch für neugeborene Inländer ergeben sich über den restlichen Lebenszyklus negative Nettozahlungen, sofern das derzeitige Abgaben- und Leistungsniveau in der Zukunft beibehalten wird.“ Ihre Diagnose ist daher nicht, dass ausschließlich Migranten die Sozialsysteme in Zukunft belasteten, sondern ohne Reformen jeder zusätzliche Mensch zu Mehrkosten führe. „Statt ‚Zaun um Deutschland‘ hätte man folglich auch sagen können: ‚Deutsche kriegt keine Babys mehr! Das ist zu TEUER!“, kritisiert Südekum.

Tatsächlich hatte Höcke im WELT TV-Duell gesagt, dass er statt auf Zuwanderung auf eine andere Familienpolitik setzen wolle, um die Geburtenrate in Deutschland zu erhöhen. Das würde in Raffelhüschens Modell das Problem aber nicht lösen, sondern ebenfalls zu höheren Kosten führen. Südekum weist zudem darauf hin, dass Raffelhüschen selbst zu dem Schluss komme, „dass richtig gesteuerte Migration sehr wohl positive Netto-Effekte haben kann. Denn für fertig ausgebildete Zugewanderte entfallen ja die Kosten für Schule, Ausbildung etc.“

Nutzung einer SA-Parole

Die Staatsanwaltschaft Halle hat Höcke wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß Paragraf 86 Strafgesetzbuch angeklagt. Auf einer AfD-Wahlkampfveranstaltung 2021 rief er Richtung Publikum: „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland.“

„Alles für Deutschland“ war eine Losung der nationalsozialistischen „Sturmabteilung“, kurz SA. Höcke behauptete bei WELT TV: Die Bedeutung der Losung habe er damals nicht gekannt. Die Behauptung von Unwissenheit per se schützt ohnehin nicht vor Strafverfolgung; Höcke müsste dem Gericht glaubhaft machen, tatsächlich völlig unbedarft ob seines Ausspruchs gewesen zu sein.

NS-Vokabular verwendet Höcke häufig, wie die „Zeit“ im vergangenen Jahr minutiös nachgezeichnet hat: Etwa den Begriff „Tat-Elite“, den auch die „SS“ zur Selbstzeichnung verwendete. Höcke argumentierte zudem, etwa Franz Beckenbauer habe die Wortfolge „Alles für Deutschland“ in der Vergangenheit benutzt – ein ganz normaler Ausspruch also, behauptete Höcke.

Im Internet ist ein Autorenbeitrag von Beckenbauer für die „Bild“-Zeitung zu finden. Dort steht nicht „Alles für Deutschland“, sondern es heißt in der Überschrift: „Gebt ALLES für Deutschland!“ Im Text selbst forderte Beckenbauer, der 2006 Chef des Organisationskomitees der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland war, „daß die Mannschaft alles gibt für Deutschland“. Es ging um die WM. Zudem ist zur Beurteilung der Verwendung der Parole der Kontext wichtig. In Beckenbauers Beitrag deutet nichts auf einen Bezug zu verfassungswidrigen Organisationen hin.

Das Oberlandesgericht Hamm schrieb 2006 in der Begründung eines Urteils über einen Angeklagten, der wegen Verwendung der Parole „Alles für Deutschland“ belangt worden war: „Der Angeklagte, der Mitglied einer nationalsozialistisch gesinnten Gruppe“ sei, bekenne sich „zu rechtem Gedankengut“. Sein „Äußeres“ habe er „dieser Gesinnung zumindest durch einen an die Frisur von Adolf Hitler erinnernden Haarschnitt angepasst“.

Wichtig außerdem: Die Parole sei am Ende der Rede vor einer Gruppe des „rechten Spektrums“ gefallen. Es sei „allgemein bekannt“, dass es sich dabei um eine SA-Losung handelt.

Äußerung über SPD-Politikerin Özoğuz

Auf eine Frage der Moderation nach einer Aussage von Höcke, wonach die SPD-Politikerin Aydan Özoğuz „in Deutschland nichts verloren“ habe, „weil sie jenseits der Sprache keine spezifisch deutsche Kultur“ erkenne, sagte Höcke, dass ihm nicht klar sei, „in welchem Kontext dieses Zitat steht“. Er glaube, dass sich Özoğuz „einige Male sehr abfällig über deutsche Kultur geäußert“ habe.

Auf Seite 198 des Höcke-Interviewbands „Nie zweimal in denselben Fluss“ aus dem Jahr 2018 sagt der AfD-Mann wörtlich: „Wer allerdings wie die Migrationsbeauftragte der letzten Bundesregierung, Aydan Özoğuz, jenseits der Sprache nicht einmal eine spezifisch deutsche Kultur erkennen kann und dann noch ungeniert mit deutschen Steuergeldern sich ein schickes Leben finanzieren läßt, hat in unserem Land tatsächlich nichts verloren.“ Kontext ist ein Gespräch zum Thema Islam und Muslime in Deutschland.

Die heutige Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz ist 1967 in Hamburg geboren. Ihre Eltern waren sechs Jahre zuvor aus Istanbul nach Deutschland gezogen, um ein Unternehmen zu gründen. Özoğuz schloss ihr Studium der Anglistik, Spanisch und Personalwirtschaft 1994 mit der Magistra Artium an der Universität Hamburg ab. Seit 1989 ist sie deutsche Staatsangehörige. Auch Höckes Diät als Landtagsabgeordneter wird aus Steuergeldern finanziert.

höcke gegen voigt im faktencheck – was stimmt und was nicht?

Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD) picture alliance/dts-Agentur/-

Tatsächlich hatte Özoğuz im Mai 2017 im „Tagesspiegel“ geschrieben, dass die Debatte um eine „deutsche Leitkultur“ aus ihrer Sicht „ins Lächerliche und Absurde“ gleite. „Kein Wunder, denn eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar“, so Özoğuz damals. „Schon historisch haben eher regionale Kulturen, haben Einwanderung und Vielfalt unsere Geschichte geprägt. Globalisierung und Pluralisierung von Lebenswelten führen zu einer weiteren Vervielfältigung von Vielfalt.“

Im Februar 2018 sagte Özoğuz während einer Rede, dass der Satz verdreht worden sei. „Ich hätte angeblich gesagt, dass es keine deutsche Kultur gebe. Das ist natürlich vollkommener Unsinn“, sagte sie damals. „Stattdessen hatte ich beschrieben, dass es schwierig sein dürfte, eine Leitkultur für jede und jeden Einzelnen definitorisch sicher einzugrenzen und genau vorzugeben, wer oder was verbindlich dazugehört und wer oder was nicht.“

Statt einer ernsthaften Diskussion sei sie anschließend aufgrund ihrer Herkunft oder Religion attackiert worden. „Ich habe mich oft gefragt, ob die Reaktionen nur annähernd so hysterisch gewesen wären, wenn ich nicht Aydan Özoğuz heißen würde, sondern Anna Neumann.“

Höcke als „Faschisten“ bezeichnen

Voigt sagte in der Sendung über Höcke: „Es ist einfach, ihn einen Faschisten zu nennen, (…) das hat ein Gericht schon gemacht.“

Das ist so nicht zutreffend. Richtig ist, dass es eine zulässige Meinungsäußerung ist, Höcke als Faschisten zu bezeichnen. Dies hatte das Verwaltungsgericht Meiningen 2019 in einem konkreten Fall entschieden. AfD-Gegner hatten damals eine Demonstration unter dem Motto „Protest gegen die rassistische AfD, insbesondere gegen den Faschisten Björn Höcke“ angemeldet. Die Stadt Eisenach wollte die Bezeichnung „Faschist“ untersagen, eine Klage der Veranstalter gegen die Untersagung war im Eilverfahren erfolgreich.

Die Richter urteilten damals, dass die Bezeichnung zulässig ist. Sie gingen davon aus, dass diese keine Tatsachenbehauptung, sondern ein Werturteil ist und dieses im Kontext einer politischen Auseinandersetzung legitim ist. Dem damaligen FDP-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja, war 2020 sogar die Aussage untersagt worden, dass ein Gericht Höcke als Faschisten eingestuft habe. Den Beschluss fasste das Gericht damals auf persönlichen Antrag von Höcke.

Sparpotenzial bei der Entwicklungshilfe

Auf die Frage, wo er Einsparpotenzial bei den staatlichen Ausgaben sieht, antwortete Höcke bei WELT TV, er wolle vor allem bei der Entwicklungshilfe kürzen: „Denken Sie bitte an den großen Posten Entwicklungshilfe. Über die gesamten Einzelpläne des Bundeshaushalts haben wir eine Summe von etwa 60 Milliarden Euro“, sagte der AfD-Politiker.

Diese Aussage ist falsch. Höcke vermischt hier staatliche und private Investitionen in Entwicklungsländern. Laut dem Statistischen Bundesamt beliefen sich die öffentlichen und privaten Leistungen 2021 auf 58,5 Milliarden Euro. Allerdings stammte nur knapp die Hälfte dieser Summe, nämlich 28,1 Milliarden Euro, aus den staatlichen Haushalten. Der Rest waren private Investitionen.

Auch im Jahr 2024 beläuft sich das Budget des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung lediglich auf 11,2 Milliarden Euro. Damit würde eine Streichung der Entwicklungshilfe keineswegs ausreichen, um die geschätzten Mindereinnahmen von 50 Milliarden Euro durch die vorgeschlagenen Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen der AfD auszugleichen.

Verbrenner-Aus wegen der CDU

Höcke warf seinem Kontrahenten vor, die Union habe für das Aus von Autos mit Diesel- und Benzin-Motoren auf europäischer Ebene gesorgt. Wörtlich sagte er: „Denn Fakt ist doch, dass die CDU mit ihrer Agenda in EU-Europa auch für das Verbrenner-Aus gesorgt hat.“

Tatsächlich plant die EU derzeit ein Verbot von Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2035. Diese Regelung wurde allerdings erst unter der Ampel-Regierung in Brüssel beschlossen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) setzte zudem durch, dass auch weiterhin Fahrzeuge zugelassen werden dürfen, wenn sichergestellt wird, dass sie lediglich klimaneutrale Kraftstoffe verbrennen können. Allerdings war auf europäischer Ebene mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch eine CDU-Politikerin an dem geplanten Verbot herkömmlicher Verbrenner beteiligt.

Im EU-Parlament stimmte die Mehrheit der EVP-Fraktion, der auch die Unions-Abgeordneten angehören, gegen das Verbrenner-Aus – allerdings gab es auch einige Stimmen für das Verbot und einige Enthaltungen. Im Wahlprogramm für die anstehende Europawahl verspricht die Union auf Seite 14, die Regelung rückgängig machen zu wollen. „Wir wollen das Verbrennerverbot wieder abschaffen und die deutsche Spitzentechnologie des Verbrennungsmotors erhalten und technologieoffen weiterentwickeln. Synthetische Kraftstoffe spielen dafür eine zentrale Rolle. Wir schreiben keine Technologien vor.“

Antisemitismus unter Deutschen

Im Fernsehduell sagte Höcke: „Ich sehe keinen Antisemitismus ausgeprägten Maßes bei der ursprünglichen deutschen Bevölkerung. Auch wieder ein Problem, das wir uns mit Migration ins Land geholt haben.“

In einer Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2022 stimmten Muslime in Deutschland antisemitischen Aussagen noch häufiger zu als nicht-muslimische Befragte. Allerdings zeigen zahlreiche repräsentative Befragungen, dass auch in der Mitte der Gesellschaft judenfeindliche Einstellungen verbreitet sind.

Laut Religionsmonitor 2023 haben 21 Prozent der Bevölkerung klassisch antisemitischen Aussagen wie „Die Juden haben zu viel Einfluss in unserem Land“ zugestimmt. In einer Bertelsmann-Studie von 2015 stimmten der Aussage „Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss“ 23 Prozent zu. Geringer war die Zustimmung zu der ähnlichen Aussage „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“ in der Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2022 – 7,2 Prozent der repräsentativ Befragten stimmten hier zu.

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