Hat ein italienischer Spitzenpolitiker Parfum geklaut?
Piero Fassino ist einer der angesehensten Politiker Italiens. Nun steht sein Ruf auf dem Spiel. Der linke Abgeordnete soll in einem Duty-Free-Geschäft Parfum gestohlen haben. Und dies gleich mehrfach.
«Es geht mir schlecht»: Gegen Piero Fassino – hier am 15. Dezember 2023 in Rom – ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Diebstahls.
Der Vorfall treibt Piero Fassino um. In einem Interview mit der Zeitung «La Repubblica» sagt er, es gehe um seine Geschichte, um seine Biografie, um sein Ansehen als Politiker. «Ich habe mein Leben lang nichts gestohlen. Ich bin seit Jahrzehnten politisch aktiv, ich stehe im Dienste der Öffentlichkeit. Und nun droht ein Missverständnis, alles zu verdunkeln. Es geht mir schlecht. Ich erlebe Tage grossen Leids.»
Fassino ist Abgeordneter des Partito Democratico, ehemaliger Bürgermeister von Turin, früherer Justizminister, einstiger Parteipräsident. Mit anderen Worten: ein politisches Schwergewicht der italienischen Linken.
Was ist ihm zugestossen? Warum leidet er so?
Aus Versehen in die Manteltasche gesteckt?
Am 15. April betritt der 75-jährige Politiker im Römer Flughafen Fiumicino einen Duty-Free-Shop. Fassino ist unterwegs nach Strassburg zu einer Sitzung der italienischen Delegation im Europarat. Laut italienischen Medien steckt sich der Abgeordnete ein Parfum der Marke Chanel Chance für 100 Euro in die Manteltasche und macht sich auf den Weg zum Gate. Der versuchte Diebstahl wird entdeckt, weil ein Sensor an der Parfumverpackung Alarm auslöst.
Fassino behauptet, er habe im Duty-Free-Geschäft einen Anruf bekommen und das Parfum für einen Moment in die Tasche gesteckt, weil er in der anderen Hand einen Rollkoffer gezogen habe. Danach habe er dies aus Zerstreutheit vergessen, die Chanel-Packung jedoch sofort bezahlen wollen, als ihn ein Sicherheitsmann noch im Geschäft darauf aufmerksam gemacht habe. Das Parfum sei ein Geschenk für seine Frau gewesen. In diesem Falle hätte es Fassino ihr aber erst nach seiner Rückkehr aus Strassburg überreichen können, merken italienische Medien an – ein süffisanter Hinweis, dass das Parfum ja vielleicht für jemand anders gedacht war.
«Die Medien haben sich in diese Geschichte verbissen, um mir zu schaden», klagt Fassino, den selbst politische Gegner als sanften, korrekten Mann bezeichnen. Einen Auftritt bei einer Buchvernissage hat er nach dem Vorfall in Fiumicino abgesagt. Und täglich wird die Geschichte für ihn peinlicher. Denn laut unbestätigten Gerüchten hält er auf den Aufnahmen der Ãœberwachungskameras kein Handy in der Hand. Und hat sich sehr wohl bereits aus dem Geschäft entfernt, als ihn der Sicherheitsmann stoppt. Schlimmer noch: Mittlerweile haben sechs Personen, die als Verkäuferinnen im Duty-Free-Geschäft oder als Ãœberwachungsangestellte arbeiten, gegenüber der Polizei ausgesagt, dass Fassino ein Wiederholungstäter sei.
«Wetten, er tut es wieder?»
Auch in der «Repubblica» erzählt eine Verkäuferin, sie habe den Politiker erkannt, als er im Dezember 2023 kurz vor Weihnachten das Geschäft betreten habe. «Zu meinem Erstaunen versteckte er ein Parfum der Marke Chanel in seinem Rollkoffer.» Weil es sich bei Fassino um eine öffentlich bekannte Figur handle, sei ihr ihre eigene Beobachtung peinlich gewesen; sie habe zunächst gezögert und ihn dann gefragt, ob er Hilfe brauche. Worauf der Abgeordnete geantwortet habe: «Ich wollte soeben bezahlen, zeigen Sie mir, wo die Kassen sind?»
Als Fassino am 27. März 2024, also gut zwei Wochen vor dem jüngsten Vorfall, das Geschäft erneut betrat, so erzählt die Verkäuferin, habe sie sich gedacht: «Wetten, er tut es wieder?» Und tatsächlich habe der Politiker erneut ein Parfum eingesteckt. Diesmal habe sie einen Sicherheitsbeamten alarmiert, doch bei dessen Erscheinen sei Fassino schon weg gewesen.
Falls die Vorwürfe zutreffen: Warum macht ein italienischer Abgeordneter, der inklusive Pauschalspesen monatlich mehr als 10’000 Euro netto verdient, so etwas? Warum riskiert Fassino auf derart läppische Weise seinen Ruf? Handelt es sich um einen Fall von Kleptomanie, lassen die regelmässigen Duty-Free-Abstecher des früheren Justizministers in seelische Abgründe blicken? Das sind die Fragen, die sich Italiens Öffentlichkeit stellt.
Spott auf sozialen Medien gibt es natürlich gratis. «Wenn dir der Lohn nicht reicht, um ein Parfum zu kaufen, machen wir das nächste Mal eine Kollekte», heisst es, stellvertretend für viele andere Kommentare, auf Instagram. Oder auf X: «Piero, wenn du wieder mal beim Duty-Free vorbeikommst, bringst du mir ein Parfum der Marke Rabanne für meine Mama mit? Sie hat bald Geburtstag.»
Nun wird gegen Fassino wegen Diebstahls ermittelt. Von einer Einstellung des Verfahrens wegen «Geringfügigkeit» bis zu einem Strafprozess ist laut Experten alles möglich. Auf die Frage, ob Fassino seine parlamentarische Immunität schütze, antwortet der Verfassungsrechtler Alfonso Celotto gegenüber «Repubblica»: «Das hängt davon ab, ob das Delikt, das man ihm vorwirft, etwas mit seiner Funktion als Abgeordneter zu tun hat.»
Das dürfte eher nicht der Fall sein.
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