Grundsatzprogrammdebatte auf CDU-Parteitag: Nur die Ruhe
In der Debatte über ihr neues Grundsatzprogramm zeigt sich die CDU friedfertig wie selten. Mit dem Papier wird die Partei niemanden verschrecken. So richtig laut wird es nur, als Markus Söder die Bühne betritt.
Grundsatzprogrammdebatte auf CDU-Parteitag: Nur die Ruhe
Friedrich Merz hatte sich schon vor dem Parteitag festgelegt. »Wir werden nicht streiten«, sagte er am Sonntagabend, bevor die CDU-Delegierten dann zu Wochenbeginn im Berliner Stadtteil Neukölln zusammenkamen.
Der wiedergewählte Vorsitzende, seit knapp zweieinhalb Jahren im Amt, kann seinen Laden offenbar inzwischen ganz gut einschätzen. Denn zwei Tage später ist festzuhalten: Merz hat Recht behalten.
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An der Berliner Sonnenallee, wo sich die CDU derzeit in einem Hotel zu ihrem 36. Bundesparteitag trifft, präsentieren sich die Christdemokraten friedfertig wie selten. Dabei hatte es kurz vor dem Parteitag noch Aufregung gegeben: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther plädierte für eine Öffnung zur Linkspartei, sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Hendrik Wüst für Koalitionen mit den Grünen. Und mancher schimpfte öffentlich über das Fernbleiben der langjährigen Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel.
Aber seit die 1001 Delegierten zusammensitzen, ist von dem Tohuwabohu so gut wie nichts mehr zu merken. Ruhe, so scheint es, ist diesmal oberste Parteitagspflicht.
Merz hat den Ton mit seiner Rede gesetzt
Der Vorsitzende Merz hat den Ton gesetzt mit seiner Rede am Montagvormittag, die so besonnen und staatstragend daherkam, dass man sich an die abwesende Merkel erinnert fühlte. Merz bekam mit knapp 90 Prozent ein Ergebnis, mit dem er angesichts seiner bislang – gelinde gesagt – ruckeligen Amtszeit gut leben kann. »Ein großartiges Vertrauensvotum« nannte er sein Resultat.
Darum soll es nun offenbar gehen: kein Ruckeln, keine Angriffsflächen mehr.
Anderthalb Jahre vor der regulären Bundestagswahl im Herbst 2025 wollen sich Merz und die CDU konsolidieren. Denn das Ziel ist die Rückkehr ins Kanzleramt – und das ist angesichts von Umfragewerten von 30 Prozent und mehr durchaus realistisch.
Auch die Debatte über das Grundsatzprogramm am Dienstag verläuft weitestgehend harmonisch. Nach 1978, 1994 und 2007 ist es erst das vierte, das die CDU vorlegt. Zwei Jahre lang arbeitete die Partei an dem Papier, unter der Leitung des jetzigen Generalsekretärs Carsten Linnemann. Es soll die Christdemokraten nach den Merkel-Jahren wieder stärker inhaltlich verankern und eine Art Folie für ein Regierungsprogramm liefern.
Über 2000 Änderungsanträge hatten zunächst vorgelegen, zum Parteitag wurde vieles davon ausgesiebt. Am Dienstag geht es dennoch viele Stunden lang um zugelassene Alternativen zum Entwurf des Bundesvorstands, es ist politische Fleißarbeit.
Aber Streit? Dazu kommt es nicht. CDU-Chef Merz, der die Diskussionen die meiste Zeit von seinem Platz auf der Parteitagsbühne verfolgt, sieht es mit Wohlgefallen.
Beherzter Auftritt von Schatzmeisterin Klöckner
Einmal wird es am Vormittag munter, als wohl auch dank eines beherzten Auftritts von Schatzmeisterin Julia Klöckner (»Liebe Leute, wir haben andere Probleme als diese Wortklauberei«) ein Änderungsantrag abgelehnt wird, der das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern streichen und lediglich die Forderung nach Gleichberechtigung im Programm sehen will. Migration, Sozialpolitik: Die Partei diskutiert intensiv, doch der Ton bleibt moderat.
Nur beim Thema verpflichtendes Gesellschaftsjahr gelingt dem Parteinachwuchs Junge Union ein kleiner Coup: Auf ihren Antrag hin wird der Text um einen Passus ergänzt, der die schrittweise Rückkehr zur Wehrpflicht vorsieht. Aber angesichts der Tatsache, dass diese auch SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius erwägt, dürfte Parteichef Merz gut damit leben können.
Die Mittelstandsunion MIT wiederum kann sich mit einem Antrag durchsetzen, der die vom Bundesvorstand vorgesehene Einführung eines Startkapitals für neugeborene Kinder streicht. Hier wiederum betont Merz, dass man das Thema Vermögensbildung dennoch im Regierungsprogramm konkret verankern werde. Und die MIT ist erfolgreich, als sie »die Verankerung des Staatsziels Ernährungssicherheit« durchbekommt – quittiert von einem milden Lächeln des Parteichefs. Auch damit kann er leben. Ebenso mit der Ergänzung des Begriffs »Soziale Marktwirtschaft«, die der Kreisverband Borken ganz zum Schluss noch in den Eingangstext boxt.
Richtig laut wird es am Dienstag nur, als am Nachmittag die Debatte über das Grundsatzprogramm für den Besuch von CSU-Chef Markus Söder unterbrochen wird. Als Söder von Merz durch die Parteitagshalle zur Bühne geführt wird, ballert ein Popsong aus den Boxen. Für seinen Auftritt erntet der bayerische Ministerpräsident immer wieder donnernden Applaus.
Dabei hält auch Söder für seine Verhältnisse eine eher zurückhaltende Rede, vor allem verglichen mit seinen früheren Auftritten auf CDU-Parteitagen. Ja, er attackiert die Ampelkoalition und vor allem die Grünen, arbeitet sich ein bisschen an SPD-Kanzler Olaf Scholz ab, warnt vor der AfD, den »echten Vaterlandsverrätern«. Aber dann weitet Söder den Blick auf die unsichere Lage außerhalb Deutschlands und gibt sich ziemlich staatstragend.
Beinahe wie Gastgeber Merz bei seiner Rede am Vormittag.
Aber das ist wohl kein Wunder, wenn Söder im Rennen um die Unions-Kanzlerkandidatur bleiben will, in dem der CDU-Chef aktuell als klarer Favorit gilt. Eines stellt der Gast aus Bayern jedenfalls klar: »An mir wird der Erfolg 2025 nicht scheitern, das verspreche ich.«
Das Grundsatzprogramm verschreckt niemanden
Aber kaum ist er von der Bühne, geht es auch schon weiter mit den Beratungen zum Grundsatzprogramm. Am Ende steht ein Papier, das einige inhaltliche Pflöcke einschlägt – beispielsweise das Bekenntnis zur Leitkultur, die Forderung nach Auslagerung von Asylverfahren, eine mögliche Rückkehr zur Atomkraft und Steuerentlastungen für die sogenannte Mitte der Gesellschaft – und so die CDU unterscheidbarer von der parteipolitischen Konkurrenz macht, aber ohne damit Wähler der Mitte zu verschrecken.
Denn darum geht es nun für Merz und seine CDU nach gut zweieinhalb Jahren in der Opposition: bloß nicht mehr zu viele Kanten zeigen. Seit Konrad Adenauer waren die Christdemokraten immer dann erfolgreich und schafften es ins Kanzleramt, wenn sie nicht zu viel wollten und den Deutschen so wenig wie möglich abverlangten.
Diesen Weg wollen die Christdemokraten nun offenbar mit dem neuen Grundsatzprogramm gehen.