Großbritannien: Wirtschaft wächst stärker als erwartet
Für die konservative Regierung sind es kurz vor den nächsten Wahlen unerwartet gute Nachrichten: Die britische Konjunktur läuft besser als gedacht. Zum Jahresbeginn kann sie den Negativtrend umdrehen.
Großbritannien: Wirtschaft wächst stärker als erwartet
Die britische Wirtschaft hat mit dem kräftigsten Wachstum seit mehr als zwei Jahren ihre Rezession beendet. Das Bruttoinlandsprodukt legte einer ersten Schätzung zufolge von Januar bis März um 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zu, wie das Statistikamt ONS mitteilte. Dabei entwickelten sich die Bereiche unterschiedlich: Dienstleister und Industrieproduktion legten zu, während die Baubranche erneut schrumpfte.
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Damit fällt das Wachstum stärker aus als von Experten erwartet. So hatte etwa die Bank of England mit einer Zunahme von lediglich 0,4 Prozent gerechnet. In den beiden Vorquartalen war die britische Wirtschaft zweimal in Folge leicht geschrumpft und damit in eine technische Rezession gerutscht. Zum Vergleich: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt legte im ersten Quartal nur um 0,2 Prozent zu.
Die Wirtschaftsleistung liegt im Vereinigten Königreich nunmehr um 1,7 Prozent höher als Ende 2019, dem letzten Quartal vor Ausbruch der Coronapandemie.
»Es waren ein paar schwierige Jahre, aber die heutigen Wachstumszahlen sind ein Beleg dafür, dass die Wirtschaft erstmals seit der Pandemie wieder vollständig genesen ist«, sagte Finanzminister Jeremy Hunt von den konservativen Tories.
Die oppositionelle Labourpartei sieht das anders. »Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt für konservative Minister, eine Siegerrunde zu drehen und dem britischen Volk zu erzählen, dass es ihnen noch nie so gut ging«, sagte die Labour-Abgeordnete Rachel Reeves, die Hunt als Finanzministerin nachfolgen könnte.
In diesem Jahr steht voraussichtlich eine Parlamentswahl an. Umfragen sehen Labour klar vor den Konservativen von Premierminister Rishi Sunak, die auf Rückenwind durch die Konjunkturerholung hoffen. »Pro Kopf gerechnet kann man sagen, dass es in den vergangenen zwei Jahren in den britischen Haushalten kaum eine nennenswerte Verbesserung des Lebensstandards gegeben hat«, sagte Ökonomin Gora Suri vom Beratungshaus PwC.
Die Bank of England hat ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr gerade erst angehoben. Demnach wird das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr mit 0,5 Prozent doppelt so stark steigen wie noch im Februar angenommen. Frische Impulse für die Konjunktur könnte die Notenbank selbst liefern. Sie steuert angesichts der nachlassenden Inflation auf ihre erste Zinssenkung seit mehr als vier Jahren zu.
Die Bank of England beließ zwar am Donnerstag ihren Leitzins erwartungsgemäß mit 5,25 Prozent auf dem höchsten Stand seit 2008. Notenbankchef Andrew Bailey zeigte sich aber zugleich »optimistisch, dass sich die Dinge in die richtige Richtung bewegen«. Er hält eine erste Zinssenkung schon im Juni für möglich. Das sei »weder ausgeschlossen noch eine vollendete Tatsache«, sagte Bailey.
Bislang hatten die Märkte erst auf eine Zinswende im August gesetzt. Die Inflationsrate ist im März auf 3,2 Prozent gefallen, den tiefsten Stand seit zweieinhalb Jahren. Die Währungshüter streben einen Wert von zwei Prozent an.