Großbritannien: Britischem Premier Sunak droht Rebellion aus den eigenen Reihen
Der britische Premierminister Rishi Sunak bei einem öffentlichen Auftritt in London. data-portal-copyright=
Meinungsforscher sagen den regierenden Konservativen bei den Kommunalwahlen am Donnerstag eine Wahlschlappe voraus. Rechte Tories bereiten Aufstand gegen Regierungschef vor.
Kommunalwahlen gehören normalerweise nicht zu den politischen Großereignissen in Großbritannien. Wenn jedoch am Donnerstag mehr als 2600 Gemeinde- und Stadträte sowie zahlreiche Bürgermeister in England und Wales neu gewählt werden, dann geht es um mehr als um höhere Gemeindesteuern, zu viele Schlaglöcher und zu wenige Busverbindungen. Für den britischen Premierminister Rishi Sunak und seine seit 14 Jahren in London regierenden Konservativen geht es ums politische Überleben.
„Die Kommunalwahlen sind eine Art Generalprobe für die bevorstehenden Parlamentswahlen“, sagt Sara Hobolt, Politologin an der London School of Economics (LSE). Das gilt insbesondere für die Tories, die in den landesweiten Meinungsumfragen seit Monaten mehr als 20 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour-Partei liegen. Sollten die Tories am Donnerstag ein Wahldesaster erleben, könnte es zu einer parteiinternen Rebellion gegen den Regierungschef oder gar zu vorgezogenen Neuwahlen kommen.
Die Konservativen sind derart verzweifelt, dass sie offenbar gewillt sind, ihren vierten Premierminister innerhalb der laufenden Legislaturperiode zu stürzen. Vor Sunak mussten bereits Theresa May, Boris Johnson und Liz Truss den Regierungssitz in 10 Downing Street unfreiwillig räumen.
Dem Vernehmen nach hat der rechte Flügel der Tories bereits einen „100-Tage-Plan“ ausgeheckt, wie man Sunak loswerden, die konservative Mehrheitsführerin Penny Mordaunt als Premierministerin installieren und mit einem „Sofortprogramm“ den drohenden Machtverlust noch abwenden will.
Wählerfrust in Birmingham
Ob es dazu kommt, hängt nach Meinung von Tony Travers vor allem von zwei Dingen ab: „Verlieren die Tories bei den Kommunalwahlen mehr als 550 ihrer knapp 1000 Sitze und auch noch ihre beiden prominenten Bürgermeister Andy Street in den West Midlands und Ben Houchen im nordenglischen Tees Valley, dann ist alles möglich“, sagt der Wahlexperte der LSE voraus. Meinungsforscher rechnen bei den Kommunalwahlen mit hohen Stimmenverlusten für die Tories.
Sunak, der als Premier über den Zeitpunkt der Parlamentswahlen entscheiden kann, wollte zuletzt auch eine vorgezogene Neuwahl im Sommer nicht mehr ausschließen. Ein ehemaliger Tory-Politiker bezeichnete das angesichts der schlechten Umfragen allerdings als „politischen Selbstmord aus Angst vor dem Tod“. Bislang wollte der Premier erst im Herbst wählen lassen, in der Hoffnung, dass sich bis dahin mit der Wirtschaftslage auch die Umfragewerte verbessern.
In der Wirtschaftsmetropole Birmingham in den englischen Midlands nehmen viele die politischen Ränkespiele in Westminster nur noch mit einem Achselzucken zur Kenntnis. „Die Menschen hier haben die Nase voll von den Politikern“, sagt Chris Game, der sich am Institute of Local Government Studies (Inlogov) seit 40 Jahren mit Lokalpolitik beschäftigt. Die Wähler in Birmingham entscheiden über den Bürgermeister für die Region West Midlands und damit womöglich auch über das Schicksal des Premierministers.
Wie fast überall im Königreich trauen nach Games Worten auch hier viele Briten der Tory-Regierung in London nicht mehr zu, die Probleme des Landes in den Griff zu bekommen. Die Wirtschaft stagniert, die Zahl der Bootsflüchtlinge im Ärmelkanal steigt, und die Lebenshaltungskosten sind trotz sinkender Inflation immer noch hoch.
Auf der anderen Seite hat der von Labour geführte Stadtrat in Birmingham die Metropole gerade in die Pleite gesteuert und einen Schuldenberg von umgerechnet 3,4 Milliarden Euro angehäuft. „Viele Wähler werden deshalb am Donnerstag zu Hause bleiben und gar nicht wählen“, sagt der Inlogov-Experte voraus. Die Wahlbeteiligung liegt bei Kommunalwahlen ohnehin nur halb so hoch wie bei landesweiten Parlamentswahlen.
Ähnlich sieht es in Dorset im Süden Englands aus. Dort müssen sich die bislang im Kommunalparlament regierenden Konservativen gegen den Angriff der Liberal-Demokraten wehren, die hier darauf hoffen, dass Labour-Anhänger ihnen zum Sieg verhelfen. „In Dorset wird sich zeigen, ob die Bürger taktisch wählen, um die Tory-Hochburgen zu kippen“, sagt LSE-Wahlexperte Travers. Für Sunak wäre das ein fatales Signal auch für die kommende Parlamentswahl.
Wahlkampf gegen den eigenen Premier
Bei den Tories herrscht inzwischen eine „Rette-sich-wer-kann-Stimmung“: Sowohl die um ihre Wiederwahl bangenden Bürgermeister im Norden als auch die Kommunalpolitiker im Süden versuchen, den unpopulären Premierminister so weit wie möglich auf Distanz zu halten.
In Dorset taucht Sunak in den Wahlbroschüren seiner lokalen Parteifreunde gar nicht auf. Und Andy Street in den West Midlands verschickt Wahlbriefe, in denen er sich mit dem Ex-Premier Boris Johnson zeigt. Der Sunak-Gegner ruft die Wähler auf: „Vergesst die Regierung in Westminster.“
Sunaks engste Vertraute in London haben unterdessen eine „Operation Save Rishi“ gestartet, um einer möglichen Rebellion der parteiinternen Gegner zuvorzukommen. Ihr wichtigster Hoffnungswert ist dabei, dass die Tories ihre beiden Bürgermeister in den West Midlands und im Norden Englands halten können. Gut möglich also, dass Sunak am Freitag ausgerechnet die Wahlsiege jener Parteifreunde als Erfolg feiert, die sich von ihm und seiner Politik am stärksten distanziert haben.