Der Chemiestandort Leuna will trotz Energiekrise expandieren

der chemiestandort leuna will trotz energiekrise expandieren

Größte Investition in Leuna seit der Wende: Die finnische UPM baut für 1,2 Milliarden Euro eine Bioraffinerie.

Die Pilotanlage des Berliner Start-ups C1 Green Chemicals in Leuna belegt nicht viel mehr als ein Dutzend Quadratmeter in dem 13 Quadratkilometer großen Chemiepark. Für die Transformation des größten Industriestandorts in Ostdeutschland taugt die in einem Hochseecontainer untergebrachte Anlage dennoch als Sinnbild. „Herzlich willkommen an der Wiege der Methanolproduktion“, begrüßte C1-Mitgründer Christian Vollmann zur Eröffnung der Anlage unter den geladenen Gästen auch Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).

„Genau hier an diesem Ort haben die Arbeiter der BASF vor ziemlich genau hundert Jahren zum ersten Mal weltweit in industriellem Maßstab Methanol produziert.“ Der Haken an der Sache: Methanol, einer der wichtigsten Grundstoffe für die Chemieindustrie, wird auch hundert Jahre nach Entwicklung der Methanolsynthese in Leuna aus fossilen Grundstoffen hergestellt. Das will C1 mit einem in Berlin-Adlershof entwickelten Katalyseverfahren ändern. „Auf diese Weise hergestelltes grünes Methanol könnte zum Eckpfeiler einer Kohlenstoffkreislaufwirtschaft werden“, sagte Vollmann. Zum Beispiel als Ausgangsstoff für eine zirkuläre Chemieproduktion.

der chemiestandort leuna will trotz energiekrise expandieren

Christof Günther

Der Chemiepark Leuna setzt für seine Entwicklung verstärkt auf chemische Produktionsverfahren, die möglichst ohne fossile Rohstoffe auskommen. „Wir haben hier ein Umfeld, in dem nachhaltige Chemie im Fokus steht und in dem wir solche Vorhaben sehr schnell mit hervorragender Infrastruktur in die Umsetzung bringen“, sagt Christof Günther, Geschäftsführer von Infraleuna, der seit 2012 den Betrieb und die Vermarktung des Chemieparks mit derzeit rund 100 Unternehmen und etwa 15.000 Arbeitsplätzen verantwortet. Bis zum Jahr 1989 gab es in Leuna noch fast 30.000 Arbeitsplätze in der Chemie.

Ein langer Weg zur Klimafreundlichkeit

Mit der Wende brachen mehr als zwei Drittel davon weg. Seit 2012 hat sich die Beschäftigung am Standort nahezu wieder verdoppelt. Infraleuna hat mit Infrastrukturleistungen am Standort laut jüngstem öffentlich zugänglichen Jahresbericht für 2021 einen Umsatz von gut 430 Millionen Euro und einen Gewinn in Höhe von rund 10 Millionen Euro erzielt.

„Im Transformationsprozess der Chemie sieht man überall, dass es Erfolg versprechend ist, wenn es gelingt, fossil basierte Rohstoffe durch nachwachsende Ausgangsstoffe zu substituieren“, sagt Günther. Die Anlage von C1 passe sehr gut nach Leuna als zweitgrößtem Standort für die Methanolproduktion in Europa. Der Weg für klimafreundliche Verfahren bis zur Produktion im industriellen Maßstab ist allerdings noch weit. Die bestehende Methanolanlage im Chemiepark, die noch zu DDR-Zeiten errichtet wurde und zum französischen Konzern Total Energies gehört, verwendet die Rückstände der Raffinerie von Total in Leuna als Ausgangsstoff und produziert jährlich 300.000 Tonnen des Grundstoffs. Ihre Kapazität wird gerade ausgebaut. Die Versorgung der Raffinerie am Ende der „Druschba“-Pipeline wird seit dem russischen Angriff auf die Ukraine über den Ölhafen Danzig sichergestellt.

Für die Herstellung von grünem Methanol ist auch die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff erforderlich. In Leuna forscht nicht nur das Hydrogen Lab des Fraunhofer-Instituts daran. Hier steht auch der derzeit größte Elektrolyseur für die Herstellung mit einer Leistung von 25 Megawatt. Aufgestellt hat ihn der Industriegasespezialist Linde, der in Leuna seinen größten Produktionsstandort in Europa hat. Die Anlage soll in diesem Jahr endlich in Betrieb gehen und 3500 Normkubikmeter grünen Wasserstoff pro Stunde produzieren. „Es ist die größte real existierende Anlage weltweit“, sagt Günther. Die Herausforderungen für eine dekarbonisierte Chemie sind auch hier enorm. Die konventionellen Anlagen im Chemiepark produzieren bis zu 70.000 Kubikmeter Wasserstoff je Stunde. Über ein 150 Kilometer langes Leitungsnetz werden damit auch die Chemieparks in Bitterfeld und Schkopau im mitteldeutschen Chemiedreieck versorgt.

„Wenn die Anlagen auf vollen Touren laufen, verbrauchen sie so viel Erdgas wie die Stadt Leipzig“, sagt Günther über die Wasserstoffproduktion in Leuna. Die gestiegenen Energiekosten sind neben der Transformation des Standorts die zweite große Herausforderung, mit der sich Infraleuna beschäftigt. Der Chemiepark verbraucht ungefähr so viel Strom wie zwei Drittel der Haushalte in Sachsen-Anhalt zusammen. Der Bedarf an Dampf liegt gemessen am Energieaufwand beim Zweieinhalbfachen der Fernwärmelieferungen in dem Bundesland. Und die Nachfrage der Unternehmen wächst. „Energie ist ein Riesenproblem“, bringt es Günther auf den Punkt.

Der Tag will nicht vor dem Abend gelobt werden

Mit den deutschen Energiepreisen sei der Chemiestandort Leuna international nicht wettbewerbsfähig. Das spürten vor allem die Betriebe, die Massengüter wie Kunststoffgranulate produzierten, die leicht durch Konkurrenzprodukte substituiert werden könnten. „Wer Produkte herstellt, die für die Prozesse des Kunden von besonderer Bedeutung sind und von denen nur verhältnismäßig kleine Mengen darin eingehen, kann die gestiegenen Energiepreise besser weitergeben.“ Das Bild im Chemiepark sei entsprechend gemischt, sagt Günther. Die Abschaltung von Chemieanlagen am Standort habe zwar vermieden werden können. Und die vergangenen Monate hätten eine leichte Entspannung gebracht. „Die Auslastung der Anlagen ist mit 70 bis 80 Prozent alles in allem aber schlecht“, sagt der Infraleuna-Chef, der sich zuletzt auch für den Industriestrompreis starkgemacht hat, mit dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für Entlastung der energieintensiven Industrie sorgen wollte.

Günther hat noch andere Ideen, wie man die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts verbessern könnte. „Der Energiepreise sind so hoch, weil die Energie knapp ist, und dennoch werden Atomkraftwerke abgestellt“, sagt er. Auch mit Blick auf Schiefergas sei Deutschland immer noch in Diskussionen gefangen, die längst aus der Zeit gefallen seien. „Da muss man sich frei machen von ideologischem Ballast, den wir aus der Vergangenheit mitschleppen“, sagt der Geschäftsführer von Infraleuna. Die Politik müsse nüchtern prüfen, was zu tun sei, um die Abhängigkeiten in der Energieversorgung zu verringern und so die Preise zu senken. „Das ist offensichtlich ein langer Prozess“, sagt Günther.

Gekürzt, aber nicht gestrichen

Infraleuna versucht die Folgen der hohen Energiekosten abzufedern. Auf der Hochhalde, auf der bis zur Abschaltung des letzten Kohlekraftwerks im Chemiepark 80 Jahre lang Kraftwerksaschen gelagert wurden, entsteht ein Solarpark mit einer installierten Kapazität von bis zu 100 Megawatt. Im vergangenen Jahr hat Infraleuna ein neues Gas- und Dampfkraftwerk in Betrieb genommen, das die Spitzen auf den zunehmend volatilen Energiemärkten für den Chemiepark nutzen soll. „Das sind die flexibelsten Kraftwerksanlagen in ganz Deutschland, wenn nicht darüber hinaus“, sagt Günther stolz. Um die Erzeugung und den Einkauf von Energie zu optimieren, wickle Infraleuna täglich bis zu 1000 Energiehandelsgeschäfte ab.

Günther hat in den vergangenen Wochen nicht nur die ideologischen Zwänge der Politik kennengelernt. Ein 400 Millionen Euro schweres Forschungsprojekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das in Leuna die Entwicklung von strombasierten Kraftstoffen für die Luftfahrt voranbringen soll, wäre nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts beinahe den Haushaltszwängen der Bundesregierung zum Opfer gefallen. „Im Oktober hatten wir eine Festveranstaltung mit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und Anke Kaysser-Pyzalla, der Vorstandsvorsitzenden des DLR. Dann war plötzlich der Topf leer, und es wurde sehr hektisch“, erzählt Günther. Am Ende wurde der Haushaltsposten gekürzt, aber nicht gestrichen: „Jetzt sind wir wieder guter Dinge, dass das Projekt stattfindet und auch einen positiven Effekt hat.“ Leuna spielt als Standort für Kraftstoffproduktion für die Luftfahrt schon heute eine große Rolle. „Wenn es in Zukunft um synthetische Kraftstoffe geht, müssen wir mit dabei sein und am besten vorne mit dabei.“

Ein Standort als Symbol der Entwicklung

An anderer Stelle ist die Transformation der Chemie weg von fossilen Ausgangsstoffen schon weiter fortgeschritten. Der finnische Zellstoffspezialist UPM investiert in Leuna rund 1,2 Milliarden Euro in die laut Günther erste Anlage im industriellen Maßstab auf der Welt, in der Basischemikalien auf Grundlage von nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Auf Basis von Holz sollen in der Bioraffinerie von Ende dieses Jahres an unter anderem Grundstoffe für die Herstellung von PET-Flaschen und Synthetikfasern etwa für Fleecejacken produziert werden, sofern der bereits verschobene Zeitplan hält. „Es ist mit Abstand die größte Investition am Standort seit der Wende, wenn man von der neuen Raffinerie absieht“, sagt Günther. Die Kosten für das Projekt sind gegenüber den ursprünglichen Plänen stark gestiegen. UPM siedelt den Konzernbereich Biochemicals inklusive Forschung und Entwicklung in Leuna an. „Das ist für uns ganz wichtig, denn wir wollen nicht nur Produktionsstandort sein, sondern auch Entscheidungskompetenz vor Ort haben.“

Insgesamt sind seit 1990 Investitionen in der Größenordnung von zehn Milliarden Euro in den Standort geflossen, wobei Infraleuna allein in den vergangenen fünf Jahren fast eine halbe Milliarde in die Ertüchtigung des Chemieparks für die Transformation gesteckt hat. Dazu gehört auch der Bau des Holzlagerplatzes für die Biochemieanlage von UPM, der von Infraleuna betrieben wird. Wo heute Bruchholz aus dem Harz aufgehäuft wird, das UPM für die Produktion von Basischemikalien verwenden will, wurde früher die Kohle für den Kraftwerksbetrieb in Leuna und für chemische Verfahren wie die Kohleverflüssigung zur Herstellung von Kraftstoffen gelagert. Die Fabrik von UPM entsteht auf dem Gelände der alten Raffinerie. „Hier kann man die Entwicklung von der Kohlechemie über die Petrochemie bis hin zur Biochemie gut nachvollziehen“, sagt Günther. Die Raffinerie von Total steht aber weiterhin für den größten Teil der Umsätze am Standort. Im Jahr 2022 lagen sie nach Einschätzung von Infraleuna bei 15 Milliarden Euro und machten damit etwa die Größenordnung des Landeshaushalts von Sachsen-Anhalt aus.

Ein Unikum von Projekt

Für die Weiterentwicklung des Standorts verfügt Infraleuna noch über rund 30 Hektar Fläche. Die Grundstücke sind allerdings über den ganzen Chemiepark verstreut und taugen nicht für große Neuansiedlungen wie UPM. Mit Fördermitteln in Höhe von gut 180 Millionen Euro sollen deshalb rund 300 Hektar angrenzende Flächen im Westen des Industrieparks erschlossen werden. „Das ist das größte Chemie-Expansionsprojekt in Europa, etwas Vergleichbares gibt es nirgendwo sonst“, sagt Günther. Interesse von Investoren sei vorhanden, der Baubeginn für erste Neuansiedlungen könnte schon 2025 erfolgen.

Der neue Werksteil soll vor allem Platz für Chemieanlagen bieten, die nachwachsende Rohstoffe als Ausgangsbasis ihrer Produktionsprozesse verwenden. Auch eine größere Anlage für das von C1 Green Chemicals entwickelte Verfahren würde gut auf das neue Gelände passen. Im März teilte das Berliner Start-up mit, dass ihm bei der Entwicklung des Katalyseverfahrens zur Produktion von grünem Methanol ein Durchbruch gelungen sei, mit dem die Produktion im industriellen Maßstab in Reichweite rückt.

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