Glücklose Familienministerin: Soll Lisa Paus Spitzenkandidatin der Berliner Grünen werden?
Noch sind es über zwei Jahre bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl. Dennoch kursieren bei den Grünen erste Namen für eine mögliche Spitzenkandidatur.
Lisa Paus agiert im Bund unglücklich. Ist der Weg nach Berlin damit frei?
Lisa Paus steht am Rand. Im Hotel Estrel in Neukölln haben sich die Berliner Grünen am Wochenende zum Landesparteitag versammelt, um vor dem Europawahlkampf die lange Zeit zerstrittenen Reihen zu schließen. Auf der Bühne werden schöne Fotos gemacht, die Parteispitze hält Buchstaben in die Höhe. „Machen, was zählt“ steht darauf, Paus hält das L.
Es ist der einzige Auftritt der Familienministerin an diesem Tag. Obwohl Paus als Regierungsmitglied nominell die mächtigste Berliner Grünen-Politikerin ist, tritt sie in acht Stunden voller Parteitagsreden nicht ein einziges Mal ans Mikrofon. In die inhaltlichen Debatten zur Reform des Verfassungsschutzes, der Verstaatlichung von Wohnungsgesellschaften und dem Kampf gegen die AfD schweigt Paus.
Dabei scheinen einige bei den Berliner Grünen große Hoffnungen in Lisa Paus zu setzen. Bei der Frage, wer die Partei bei der Abgeordnetenhauswahl 2026 als Spitzenkandidatin ins Rennen führen soll, fällt immer öfter ihr Name. Paus als Herausforderin gegen den Regierenden Kai Wegner (CDU)? Mehrere Grüne bestätigten dem Tagesspiegel, dass es entsprechende Überlegungen gibt. Namentlich will sich dazu bisher niemand äußern.
Die Frage nach der Berliner Spitzenkandidatur für 2026 stellt sich mitten in der Wahlperiode noch nicht.
Nina Stahr, Landesvorsitzende der Grünen in Berlin.
Die Spitzenkandidatin der Grünen heiße Terry Reintke, sagt die Vorsitzende der Berliner Grünen, Nina Stahr, mit Verweis auf die Europawahl am 9. Juni. „Die Frage nach der Berliner Spitzenkandidatur für 2026 stellt sich mitten in der Wahlperiode noch nicht und wird geklärt, wenn es soweit ist“, sagt Stahr. Auch ein Sprecher des Familienministeriums wiegelt auf Anfrage ab: „Wir kommentieren Personalspekulationen grundsätzlich nicht.“
Ein Dementi ist das nicht und tatsächlich sprechen für Paus ein paar Punkte: Sie hat Regierungserfahrung, ist bundesweit bekannt und gehört zum linken Flügel der Partei, der in Berlin die Mehrheit stellt. Zudem kennt sie den Politikbetrieb in der Hauptstadt. Von 1999 bis 2009 saß sie für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und war dort unter anderem haushaltspolitische Sprecherin.
Doch ausgerechnet als Familienministerin hat sie bislang keine Fortune. An ihrem Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung verzweifeln mittlerweile gestandene Fachleute, Führungsfiguren in den Bundestagsfraktionen. Er herrscht Ratlosigkeit, wie der Gesetzentwurf noch zu retten sein könnte oder ob die Ampel am Ende doch die Notbremse ziehen muss. Die Verhandlungen dazu stocken.
Außer einigen wenigen Grünen sagen mittlerweile so ziemlich alle an der Diskussion Beteiligten: Was bisher als Gesetzentwurf vorliegt, würde viel neue Bürokratie, aber keine Erleichterung für Familien bringen. Das Projekt ist untrennbar mit Paus’ Namen verknüpft. Kommt die Kindergrundsicherung nicht, wäre es die größte denkbare Blamage für die Ministerin.
Doch könnte Paus als Spitzenkandidatin überzeugen? Wer sich als Regierende Bürgermeisterin bewirbt, dessen Schlagfertigkeit wird bei vielen Gelegenheiten getestet, vom Fernsehstudio bis zum Marktplatz. Gefragt ist, spontan überzeugende Antworten geben zu können, auch auf unerwartete Fragen. Das aber ist keine von Paus’ Stärken. Bei Auftritten scheint sie regelmäßig nervös, wenn sie auf Themen angesprochen wird, bei denen ihr Sprechzettel ihr nicht weiterhelfen kann.
Auch andere Grüne haben Ambitionen
Die breite Öffentlichkeit hat das im Oktober 2023 miterlebt. Vor einer ZDF-Kamera wurde Paus gefragt, was sie davon halte, Einbürgerungen von einem Bekenntnis zum Existenzrechts Israels abhängig zu machen. Paus war ratlos, atmete hörbar ein, lächelte unsicher, und dann kam – nichts. Ihr wurde daraufhin Israelfeindlichkeit vorgeworfen, doch wer Paus öfter beobachtet, für den ist sehr viel plausibler, was sie ein paar Tage später selbst in einem Interview mit dem „Spiegel“ zu ihrer Verteidigung vorbrachte: „Ich hatte die Antwort nicht auf Anhieb parat und habe mir Zeit genommen, mich zu ordnen und nach der richtigen Formulierung zu suchen.“ Diese Zeit aber hätte sie als Spitzenkandidatin in aller Regel nicht.
Doch noch ist Zeit, das eigene Image zu verbessern. Eine Entscheidung über die Grünen-Spitzenkandidatur ist frühestens in einem Jahr zu erwarten, mitunter auch erst nach der Bundestagswahl im Herbst 2025. Neben Paus wird in der Partei auch die Option eines männlichen Spitzenkandidaten erwogen. Bei den vergangenen Wahlen schickte der Landesverband stets eine Frau ins Rennen. Hoffnung machen könnte sich in diesem Fall wohl der ehemalige Finanzsenator Daniel Wesener sowie der Co-Fraktionsvorsitzende Werner Graf. Beide werden dem linken Parteiflügel zugerechnet.
Und auch Bettina Jarasch vom realpolitischen Flügel werden weiterhin Ambitionen nachgesagt. Dass sie eine dritte Chance erhält – nachdem sie zweimal das Ziel, das Rote Rathaus für die Grünen zu erobern, verpasst hat – halten viele in der Partei jedoch für unwahrscheinlich.
Schon 2017 musste Jarasch eine herbe innerparteiliche Niederlage einstecken. Ihr Versuch, auf Platz 1 der Landesliste für die Bundestagswahl zu kommen, scheiterte krachend. Ihre Konkurrentin damals: Lisa Paus.