FAS-Rubrik „Kunst der Woche“: Die soziale Praxis der Josephine Baker

fas-rubrik „kunst der woche“: die soziale praxis der josephine baker

Josephine Baker, Paris 1927

Es gibt zwei Bilder von Jose­phine Baker, in denen das ganze 20. Jahrhundert mit all seinen Hoffnungen und Abgründen enthalten ist; einmal sieht man die Amerikanerin 1926, da ist sie gerade 20 Jahre alt, in den Pariser Folies Bergère, wo sie vor einer gemalten modernen Hochhausstadt Charleston tanzt, im Hintergrund hüpfen gemalte Dampfschiffe durchs gemalte aufgeregte Atlantikwasser, als wollten auch sie mittanzen, das Publikum tobt vor Begeisterung: So kopfverdrehend und alles durcheinanderwirbelnd hat noch niemand je getanzt.

Fünfzehn Jahre später hat Baker die französische Staatsbürgerschaft angenommen, kämpft in der Résistance gegen die Nationalsozialisten – und in ihrer Heimat gegen den Rassismus, dem sie seit ihrer Kindheit in St. Louis, Missouri, ausgesetzt war. Baker war eine Künstlerin, deren Tänze das Moralkorsett der damaligen Gesellschaft sprengten, die gleichzeitig aber halb nackt mit Bananenröckchen vor Urwalddekor alle rassistischen Klischees erfüllen musste, die in den Kolonialgesellschaften des 20. Jahrhunderts vorherrschten. Und sie war zugleich eine Widerstandskämpferin und Ikone der schwarzen Bürgerrechtsbewegung.

Bis zum 28. April zeigt eine kleine Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie einen neuen Blick auf Baker. Die Schau wurde von Klaus Biesenbach zusammen mit der Künstlerin Kandis Williams kuratiert, die aus dem gezeigten Material ein eigenes installatives Kunstwerk macht, das Baker nicht, so Biesenbach, wie früher üblich „als Objekt, sondern als Autor, als Herrin über ihr eigenes Bild“ zeigt: Wenn man Beuys für seinen Kunstbegriff der sozialen Praxis feiere, könne man diese Idee der sozialen Praxis bei Baker festmachen – auch darin, wie sie, einer heutigen Ikone wie Beyoncé gleich, „ein Image von sich selbst schuf“.

So gesehen erzählt die Ausstellung auch die Geschichte einer Emanzipation von der fassungslos angegafften Ausnahmetänzerin zu einer selbstbestimmten politischen Aktivistin. Im Februar 1926 hält es Harry Graf Kessler noch vor allem für notierenswert, dass Baker nach ihren Berliner Auftritten im Nelson-Theater fast nackt anzutreffen sei: „Um eins“, notiert er, „rief Max Reinhardt an, er sei bei Vollmoeller, sie bäten mich beide, ob ich nicht noch hinkommen könne? (. . .) Ich fuhr also zu Vollmoeller fand dort auch Miss Baker, ebenfalls bis auf einen roten Mullschurz völlig nackt.“ Baker hatte Vollmoeller – einen damals beliebten deutschen Lyriker, Drehbuchautoren, Archäologen, Rennfahrer und Flugzeugkonstrukteur – in New York kennengelernt, und Vollmoeller hatte Baker Engagements in Paris und in Berlin vermittelt. Wenig später war sie, die 1906 als uneheliche Tochter einer Waschfrau und eines jüdischen Schlagzeugers geboren wurde, bereits einer der ersten globalen Superstars des 20. Jahrhunderts.

fas-rubrik „kunst der woche“: die soziale praxis der josephine baker

Josephine Baker, 1929

Auch zu sehen ist in der Berliner Schau, wie viele Künstler von Baker beeindruckt waren: Der Architekt Le Corbusier zeichnet sie schlafend, in einem Moment der Ruhe, sein Kollege Adolf Loos entwarf gleich ein ganzes Haus für sie. Seit den späten Zwanzigerjahren trat Baker vermehrt als Sängerin auf; sie durfte jetzt auch eine Stimme haben. Sie spielte in Filmen mit, machte einen Pilotenschein und trat bei Kriegsbeginn einer Einheit für fliegende Sanitäterinnen bei, kämpfte im Untergrund, heiratete fünfmal und adoptierte, was auch eine Botschaft war an das noch immer von Rassentrennung geprägte Amerika der Fünfzigerjahre, zwölf Kinder aus Korea, Japan, Kolumbien, Algerien und anderen Ländern und lebte mit ihrer von ihr so genannten Regenbogenfamilie auf einem Schloss im Perigord. Kaum jemand nahm so viele neuere Emanzipationsbewegungen vorweg wie sie.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World