Weltwirtschaftsforum in Davos : Die Getriebenen von Davos

Früher war das Weltwirtschaftsforum in Davos der Inbegriff des großen Geldes. Doch die Wirtschaftselite ist zunehmend der Geopolitik ausgeliefert.

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Eisige Zeiten: Am Montag beginnt das Weltwirtschaftsforum im Schweizer Skiort Davos.

Je größer die Krisen, desto größer ist der Gesprächsbedarf, heißt es – so gesehen verwundert es nicht, dass das Weltwirtschaftsforum (WEF) in diesem Jahr wieder eine lange Teilnehmerliste präsentiert. Mehr als 60 Staats- und Regierungschefs haben sich angekündigt – deutlich mehr als in den vergangenen Jahren. Doch die Vorzeichen haben sich für die Wirtschafts- und Finanzelite dramatisch verändert. Wenn die dunklen Limousinen der Top-Manager ab diesem Montag in dem Schweizer Skiort Davos vorfahren, dann dient dies auch der Selbstvergewisserung der eigenen Macht. Wo vor Jahren noch über Freihandelszonen, Zölle und internationale Steuern diskutiert – und diese sicher auch mitgestaltet wurden –, geht es heute um Blockbildung, um Weltpolitik. Das große Geld hat an Einfluss verloren, es ist die Geopolitik, die die Manager weltweit vor sich hertreibt.

Als Schwerpunkt für das diesjährige Treffen haben sich die Verantwortlichen das Motto “Vertrauen wieder herstellen” ausgedacht – was sich praktischerweise auf jede der aktuellen Herausforderungen anwenden lässt: die Kriege in der Ukraine und in Nahost, die Attacken auf Handelsschiffe im Roten Meer, die den Welthandel stören, der Klimawandel, der Einsatz künstlicher Intelligenz und die Folgen. Und dann stehen in diesem Jahr ja auch noch Wahlen in mehr als 50 Ländern an, darunter in Indien und in den USA. All das sind Risikofaktoren, denen Unternehmen weitestgehend ohnmächtig gegenüberstehen, die aber ihren Gestaltungsspielraum stark beeinflussen. Die geopolitischen Spannungen seien in diesem Jahr so groß wie seit Jahrzehnten nicht, sagt Forumspräsident Børge Brende. “Der einzige Weg nach vorn ist: zusammenkommen und Lösungen finden.”

Selenskyj erstmals wieder vor Ort

Bemerkenswert ist, dass mit Chinas Ministerpräsident Li Qiang und US-Außenminister Antony Blinken sowie US-Präsident Joe Bidens nationalem Sicherheitsberater, Jake Sullivan, erstmals seit Jahren wieder hochrangige chinesische und US-amerikanische Regierungsvertreter gleichzeitig teilnehmen werden. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird erstmals seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine wieder vor Ort sein und am Dienstag vor dem Plenum sprechen. In den vergangenen Jahren hatte er digital um Unterstützung für sein Land geworben. Bereits am Sonntag fand in Davos ein Ukraine-Treffen statt. Daran haben Sicherheitsberater und ranghohe Beamte aus rund 70 Ländern teilgenommen.

Es dürfte ein wichtiger Auftritt werden für Selenskyj. Während Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine zuletzt wieder großflächig mit Raketen angegriffen hat, gehen dem ukrainischen Militär zunehmend Waffen und Munition aus. Doch die internationale Unterstützung bröckelt. In den USA drängt Präsident Biden seit Wochen den Kongress, weitere 61 Milliarden Dollar an Militärhilfen für die Ukraine zu beschließen. Viele republikanische Kongressabgeordnete sind jedoch dagegen oder knüpfen sie an Bedingungen. Auch in der EU lässt die Solidarität mit der Ukraine nach. Es kommt weniger Munition als angekündigt in Kiew an, Hilfsgelder stecken in der Brüsseler Bürokratie fest. Es wird erwartet, dass sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dazu äußern wird, wenn sie ebenfalls am Dienstag in Davos spricht.

Zu der Kriegsmüdigkeit im Westen kommt hinzu, dass sich die Ukraine die globale Aufmerksamkeit inzwischen mit dem Krieg in Gaza teilen muss, der nach den jüngsten Angriffen der USA und Großbritanniens auf Huthi-Stellungen immer weitere Kreise zieht. Das WEF hat auch das Potenzial, wichtige Interessenvertreter rund um den Gaza-Krieg zusammenzubringen. Neben den Ministerpräsidenten aus Katar, dem Irak, Jordanien und Libanon steht der israelische Präsident Izchak Herzog auf der Gästeliste. Nach Medienberichten wird auch der iranische Außenminister erwartet. Der Golfstaat Katar vermittelt zwischen Israel und der Hamas und machte so zuletzt auch den vorübergehenden Waffenstillstand möglich. Von palästinensischer Seite nimmt in Davos allerdings niemand teil.

2024 – ein Superwahljahr

Anders als in den vergangenen Jahren ist Deutschland weniger prominent vertreten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reist nicht nach Davos. Von deutscher Seite nehmen unter anderem Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) teil.

Wie ausgeprägt der Pessimismus weltweit ist, zeigt der Risikoreport, den das WEF vor wenigen Tagen veröffentlicht hat. Große Sorgen bereiten den knapp 1.500 Expertinnen und Experten vor allem der Klimawandel und Extremwetterereignisse. Fehl- und Desinformation werden in dem Report an zweiter Stelle bei den potenziellen Auslösern globaler Krisen aufgeführt. Sie stellen in den nächsten zwei Jahren demnach sogar das größte globale Risiko dar und könnten Wahlen weltweit beeinflussen, befürchten die Autoren. Knapp vier Milliarden Menschen, darunter die Bevölkerung in Indien, Russland, Mexiko, Südafrika, in den Vereinigten Staaten und die in den 27 EU-Ländern, bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, werden 2024 zu den Urnen gehen. Insgesamt stehen sie für über 60 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung.

“Der weitverbreitete Einsatz von Fehlinformationen und Desinformationen sowie Instrumenten zu ihrer Verbreitung kann die Legitimität neu gewählter Regierungen untergraben”, warnen die vom WEF befragten Experten. Die daraus resultierenden sozialen Spannungen könnten von gewalttätigen Protesten und Hassverbrechen bis hin zu Extremismus reichen, heißt es in dem Bericht. Immerhin – es wäre ein Bereich, in dem die Unternehmen noch gestalten können, schließlich haben Konzerne wie Microsoft mit seinem Investment in Open AI großen Einfluss darauf, wie Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger künftig künstliche Intelligenz nutzen. Es dürfte neben der Geopolitik das große Thema auf dem WEF werden – Microsoft Chef Satya Nadella wird auch erwartet.

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