Gesundheit : Warum eigentlich gibt es zu wenig Arztpraxen?
Der Äskulapstab. Der Äskulapstab, ein von einer Schlange umwundener Stab, weist auf eine Arztpraxis data-portal-copyright=
Viele gesetzlich Versicherte warten lange auf den Termin beim Facharzt. Liegt das daran, dass es zu wenig Praxen oder Ärzte gibt und kann es dann nicht einfach mehr von ihnen geben?
Schon die oben genannte Frage ist falsch gestellt. Wer sich aufmacht, herauszufinden, warum viele Menschen trotz akuter Beschwerden lange auf einen Termin bei einem Facharzt warten müssen, interpretiert unter Umständen mit der Frage schon die Lage.
Doch so einfach ist die Beschreibung der Situation im deutschen Gesundheitswesen nicht.
Stattdessen ist es notwendig, sich in kleinen Schritten den Antworten zu nähern:
1. Wartezeiten
Die Marktwirtschaft basiert auf Angebot und Nachfrage. Bei der Behandlung von Beschwerden in den Gelenken oder bei Ausschlägen auf der Haut ist die Nachfrage vermeintlich höher als das Angebot an Therapiemöglichkeiten. Wer gesetzlich versichert ist, muss sich unter Umständen auf eine mehrwöchige Wartezeit gefasst machen.
Wer sich im Bekanntenkreis umhört, auf Social Media Berichte liest oder gar selbst lange auf einen Azttermin warten musste, kann den Eindruck bekommen haben, dass es eng ist mit Terminen bei Ärztinnen und Ärzten.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) befragte zuletzt 2021 Versicherte nach den Wartezeiten. Die Gruppe derjenigen gesetzlich Versicherten, die angaben, länger als drei Wochen auf einen Termin bei einem Haus- oder Facharzt zu warten, lag bei 15 Prozent. Doppelt so viele gaben an, sofort einen Termin bekommen zu haben.
Wenn die große Mehrheit also gar nicht außergewöhnlich lange warten muss, bis sie in der Praxis vorsprechen können, gibt es dann folglich gar keinen Mangel an Terminen und Mangel an Ärzten und Praxen?
2. Gibt es genug Medizinabsolventen?
Dieselbe KBV, die anhand ihrer Befragung nahelegt, dass die Wartezeiten für gesetzlich Versicherte sich über die Jahre nicht dramatisch verschlechtert haben, pflegt im Internet ein alphabetisches Glossar. Unter dem Buchstaben A findet sich das Stichwort Ärztemangel.
Dort lässt sich lesen, dass dank des Versorgungsstrukturgesetzes von 2012 viele Regelungen eingeführt wurden, die den Arztberuf wieder attraktiver machen sollen. Denn, so die Prognose bis 2030: Die Nachfrage wird steigen, das ärztliche Angebot jedoch sinken.
Aber gibt es denn überhaupt immer weniger Ärzte? Verlassen immer weniger Absolventen des Medizinstudiums die Universitäten?
Das Institut für medizinische Prüfungsphasen erhebt Quartalsberichte. Im jüngsten Bericht zeigt sich, dass 2014 das Jahr mit den niedrigsten Absolventenzahlen war. 9149 Studierende haben das Medizinstudium abgeschlossen. Inzwischen beenden wieder mehr Studierende dieser Fachrichtung ihr Studium.
Die Universitäten entlassen also nicht deutlich weniger fertige Mediziner, die später eine Praxis eröffnen könnten.
3. Wo sind die Ärzte alle hin?
Wer die Bundesärztekammer fragt, warum es nicht genug Arztpraxen gibt, bekommt von dort keine Antwort. Man solle sich an die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wenden. Frage an den GKV-Spitzenverband, die Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland. Antwort: Es könne wegen der pauschalen Aussage der Frage keine Antwort gegeben werden. Und: „Der Blick auf die Versorgungsdaten zeigt: In Deutschland besteht kein genereller Ärztemangel.“
Die Versorgungsdaten, auf die sich der GKV-Spitzenverband bezieht, zeigen Pfeile nach oben. So stieg die Zahl der Hausärzte innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung von 54.468 im Jahr 2009 um ein Prozent auf 55.017 im Jahr 2018. Die Steigerung bei Augenärzten betrug sogar 12 Prozent.
Hans-Jörg Freese ist Sprecher beim Marburger Bund. Die Vereinigung vertritt Ärztinnen und Ärzte, die in einer Anstellung arbeiten, sei es im Krankenhaus oder in einer Praxis. „Nicht jeder Arzt, der eine Anstellung hat, arbeitet die gleiche Arbeitszeit“, sagt Freese.
Vereinfacht: Ein selbstständiger Arzt behandelt mehr Patienten innerhalb einer Woche als angestellte Ärzte in einer Praxis. Das liegt daran, dass deren Arbeitszeit geregelt ist und sie oft in Teilzeit arbeiten. Man müsse weniger auf die Zahl der Menschen als auf die zur Verfügung stehenden Arbeitszeitstunden schauen.
Das weiß auch die Kassenärztliche Vereinigung. „Die Arztzeit bleibt knappe Ressource” heißt es dort. Die Gesamtzahl aller Ärzte und Psychotherapeuten, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, sei zwar um 1,2 Prozent auf 187.441 gestiegen. Aber: „Im Jahr 2023 entschieden sich erstmals mehr als 50.000 Ärzte und Psychotherapeuten für eine Anstellung und erstmals mehr als 60.000 für eine Teilzeitbeschäftigung. Seit 2013 verzeichnet die Teilzeit-Tätigkeit ein Plus von 235 Prozent.“
Es gibt also mehr Ärzte und Ärztinnen, aber diese behandeln nicht gleichermaßen mehr gesetzlich Versicherte.
4. Wie viele Ärzte brauchen wir überhaupt?
Mehr angestellte Ärzte, weniger niedergelassene mit Kassenzulassung und eigener Praxis – das ist das Bild, das sich derzeit ergibt. Sämtliche Beteiligte in den Verbänden und in der Politik streiten darüber, welche Wege dazu führen könnten, junge Ärzte und Ärztinnen dazu zu bewegen, sich um einen Kassensitz zu bemühen. Kassensitz ist das Wort für die Berechtigung, die Behandlung mit einer gesetzlichen Krankenkasse abzurechnen. Denn dann, so die Logik, würden Ärzte mehr gesetzlich Versicherte behandeln.
Die Kassenärztliche Vereinigung hat Mitte April gar eine Kampagne gestartet: rettet-die-praxen.de. Die weist auf die Altersstruktur der aktiven Ärztinnen und Ärzte hin. Verbunden ist das mit politischen Forderungen wie der Reduzierung der Bürokratie.
Bürokratisch ist auch der entscheidende Faktor, der die Zahl der Praxen bestimmt. Der sogenannte Bedarfsplan legt die Zahl der Arztpraxen mit Kassenzulassung fest. Zuständig ist dafür der Gemeinsame Bundesauschuss, der in einer Richtlinie erarbeitet, wo es eher zu wenig und wo zu viele Ärzte gibt, die Kassenpatienten behandeln.
Ziel ist es, in sämtlichen Regionen die Versorgung mit Kassenärzten zu gewährleisten. Grundsätzlich, da sind sich alle interessierten Parteien einig, existiert ein Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land. In Ballungsgebieten ist die Versorgung innerstädtisch oft gut gewährleistet, auf dem Land finden sich weniger Mediziner, die eine Praxis übernehmen wollen.
Das Land NRW liegt bei der Quote von Einwohner pro berufstätigen Ärzten an der unteren Grenze. Ende 2022 kamen laut einer Statistik der Bundesärztekammer 197 Einwohner auf jeden berufstätigen Arzt. Am besten ist der Quotient im Stadtstaat Hamburg mit 127 Einwohner pro berufstätigem Arzt, es folgen Berlin mit 146 und Bremen mit 155. In Brandenburg müssen sich die Menschen hingegen mit 247 Einwohner pro berufstätigem Arzt begnügen. Auch hier gilt – wie viele Stunden die berufstätigen Ärzte arbeiten, wird nicht mit erfasst.
Wer es noch genauer wissen will, ob in seinem Kreis der Versorgungsgrad mit einer speziellen Fachrichtung hoch oder niedrig – sprich die Wartezeiten kürzer oder länger sind, kann in dieser Landkarte der KBV jede Art Arzt auswählen.
Erstpublikation: 02.05.2024, 22:24 Uhr