Gastkommentar von Wolfram Weimer - „Republik wird sich wundern“: Was Polit-Insider zu Lindners Rentenblockade hört

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Die FDP stoppt nicht nur das Renten-Paket sondern auch die Haushaltswünsche der rot-grünen Minister. Christian Lindner fordert stattdessen eine „Wirtschaftswende“ für Deutschland. Es könnte der Anfang vom Ende der Ampelregierung sein.

Erst das 12-Punkte-Papier der FDP zur Wirtschaftswende, dann der Haushalts-Eklat mit den grünen Ministern und nun der Stopp und Verzögerung des Rentenpakets. Christian Lindner zeigt Kante und signalisiert der Republik, dass es mit der Ampelregierung so nicht weiter gehen kann.

Die rot-grünen Akteure der Ampelkoalition dachten noch im April, die FDP poltere nur mit Blick auf ihren Parteitag in üblich unernster Manier. Arbeitsminister Hubertus Heil witzelte über „Parteitagsfolklore“ der Liberalen – nun ist seine Miene mit Blick auf die FDP völlig versteinert. SPD und Grüne ahnen – Lindner meint es diesmal ernst mit seiner Wirtschaftswende. Es dämmert den Ampelianern in Berlin – die Regierung wird offen infrage gestellt.

Nach Renten-Blockade: Lindners Umfeld wird deutlich

Es gibt drei Umstände, warum aus dem liberalen Aufstand tatsächlich der Koalitionsbruch werden könnte. Zum einen ist die Lage und Stimmung in der deutschen Wirtschaft derart gereizt, dass der Handlungsdruck gerade auf die FDP enorm groß geworden ist. „Es muss etwas passieren, und es wird etwas passieren. Die Republik wird sich noch wundern“, heißt es im Umfeld Christian Lindners.

Auch aus der Grünen-Spitze ist zu hören: Die Strategie des Kanzlers, die Krise auszusitzen und schönzureden, wird den Sommer nicht überleben.

Zum Zweiten drohen den Ampelparteien desaströse Wahlniederlagen, ja historische Debakel bei der Europawahl und den Landtagswahlen im Herbst. Für die FDP geht es um das schiere Überleben, für die SPD um ihre Rolle als Volkspartei. Dies käme einem historischen Achsbruch der Republik gleich. Die FDP wird aber kein zweites Mal nach 2013 sehenden Auges in den Untergang wanken und aus dem Bundestag ausscheiden, nur weil man zu lange in einer schlechten Regierung ausgeharrt hat.

Das dritte Argument für einen Koalitionsbruch liegt in den nahenden Haushaltsverhandlungen. Die sind schon jetzt völlig verkantet. Finanzminister Lindner fordert Sparpläne, die roten und grünen Minister wollen die aber nicht liefern, stattdessen lieber über die Lockerung der Schuldenbremse reden.

Lindner will angeblich „beinhart“ bleiben

Am Haushaltsstreit verdichtet sich der ordnungspolitische Grundsatzdissenz der Regierung. Aus dem Finanzministerium ist zu hören, dass Linder die Losung ausgibt, „beinhart zu bleiben“ und grundlegend Reformen einzufordern. Damit dürfte das 12-Punkte-Papier in den Mittelpunkt der nächsten Koalitionskrise rücken.

Lindner verkündet schon, es gebe diametral unterschiedliche „Denkschulen“ in der Ampel. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert attackiert das FDP-Papier als eine „Beschimpfung von Arbeitnehmern“ und einen „zynischen Blick auf unsere Mitmenschen“. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich verunglimpft die Liberalen als „Mottenkiste“, SPD-Parteichef Lars Klingbeil posaunt: „Wir lassen das nicht zu.“ Vieles klingt schon nach Wahlkampfmodus.  FDP-Strategen sagen einen „Showdown im Juni“ nach den Europawahlen voraus, an dem die Koalition endgültig platzen könne. Der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Helge Lindh warnt bereits, dass das FDP-Papier eigentlich „eine Austrittserklärung aus der Koalition“ sei, wenn man es ernst nehme. Christian Lindner nimmt es ziemlich ernst.

Das explosive Papier von Lambsdorff führte zum Kanzler-Sturz

Vieles erinnert an jenen 9. September 1982, als ein Bote Donnerstagsabends am Bonner Kanzleramt klingelte, um einen Umschlag mit einem 33-seitigen Wirtschaftswende-Papier der FDP zu überreichen. Der harmlos sperrig klingende Titel lautete damals „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“.

Der Bote lieferte einen der explosivsten Briefe der bundesdeutschen Geschichte. Der inhaltliche Sprengsatz brachte die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt und damit die sozial-liberale Ära zum Einsturz. In der FDP kennen sie das damalige Wendepapier des legendären Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff und haben darum das jetzige Provokations-Papier auch sperrig-harmlos „12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“ genannt.

Inhaltlich liest sich Lambsdorffs Papier von 1982 wie eine Blaupause zur heutigen Lage der Regierung. Auch der demonstrative Einsatz der „Wende“-Vokabel zeugt von einer klaren Absicht Christian Lindners, was er will und womit er droht.

Fazit: Lindner stoppt nicht nur das Rentenpaket und die Haushaltswünsche von SPD und Grünen. Er probt tatsächlich den Aufstand. Da drei Viertel der Deutschen hoch unzufrieden sind mit der taumelnden, zerstrittenen Ampelregierung, wäre ein Ampel-Ende mit Schrecken für Deutschland in jedem Fall besser als ein Schrecken ohne Ende. Drum, lieber Herr Lindner, wagen Sie den Lambsdorff!