INTERVIEW - «Das war für mich ein Wahnsinn. Der Trainer von Barcelona schaut sich nicht das Spiel des grossen Konkurrenten an?»

interview - «das war für mich ein wahnsinn. der trainer von barcelona schaut sich nicht das spiel des grossen konkurrenten an?»

«Wenn ich ein Spiel müde anschaue, sehe ich vielleicht die Lösung nicht. Aber ausgeruht habe ich sie in 30 Minuten»: der FCB-Trainer Fabio Celestini. Georgios Kefalas / Keystone

Wo sind Sie zu Hause?

Ich wohne in Basel, aber zu Hause fühle ich mich, wenn ich in Spanien bin. Meine Familie ist aus Italien, aufgewachsen bin ich in Renens, es war geprägt von Immigranten. Italien, Spanien, Frankreich, Schweiz, Panama – all diese Länder sind ein Teil von mir. Ich liebe das Gefühl, verschiedenen Kulturen anzugehören.

Wo leben Sie, wenn Sie keinen Trainerjob haben?

Dann gehe ich in alle Richtungen. Ich habe eine Wohnung in Italien, in Spanien, in Panama, in Miami und in Lausanne.

In Panama wohnt eine Tochter?

Ja. Und zwei Kinder wohnen in Lausanne. Und meine Eltern wohnen wieder in Italien. Meine Partnerin und ich leben in Basel und in Spanien.

Warum bezeichnen Sie Spanien als Ihr Zuhause?

Ich lebte sieben Jahre dort: in Malaga, Valencia und Madrid. Die Kultur, diese Lust, rauszugehen und das Leben zu geniessen, gefällt mir. Auch der Fussball: Grossvater, Vater und Sohn gehen bepackt mit Bocadillos, also Sandwiches, gemeinsam ins Stadion. Und das Wetter ist für mich sehr wichtig. Wenn es an 300 Tagen im Jahr blauen Himmel hat, ändert das viel.

Kann man das Leben als Spieler und Trainer geniessen?

Als Spieler schon. Du hast viel Zeit – wenn es läuft. Als Trainer hingegen hast du auch Probleme, wenn es läuft. Es ist immer das Gefühl: Das war gut, aber . . . Und wenn es schlecht läuft, gibt es kein Aber. Dann ist es meistens einfach schlecht.

Sie waren als Spieler wohl auch zuweilen unzufrieden. Was machen Sie heute anders als Ihre Trainer, damit die Spieler nicht unzufrieden sind?

Die heutigen Spieler auf Profistufe haben alle eine gute Ausbildung. Sie haben mehr Instrumente, um Fussball zu spielen. Für mich ist die Herausforderung mit dieser Generation, dass sie immer auf alles direkt Zugriff hat. Sie brauchen eine Information? Sie googeln. Früher musste man jemanden fragen, warten. Das Warten existiert nicht mehr.

Das finden Sie schlecht.

Für mich ist Geduld wichtig. Und Geduld droht heutzutage immer mehr abhandenzukommen. Wenn die Spieler zwei Wochen gut arbeiten, wollen sie spielen. Die Jungen heute haben zwar eine bessere Ausbildung, aber sie sind meiner Meinung nach nicht einfach per se besser, als wir es waren.

Warum nicht?

Weil wir auf der Strasse spielten, dort gelten keine Regeln. Im Verein gibt es Regeln, dort wird dein Talent strukturiert. Der wilde Teil, den man sich auf der Strasse holt, fehlt den Spielern von heute immer mehr.

Wie finden Sie eine Balance zwischen Beruf und Leben?

Ich nehme mir bewusste Auszeiten. Als ich in Lausanne war, konnte ich das noch nicht. Es war nur: Fussball, die Mannschaft, eine Niederlage, Probleme . . . Pam, pam, pam! Man geht nicht mehr ins Gym, nimmt sich nicht mehr Zeit für die Familie. Wenn ich in Lausanne nicht an Fussball dachte, hiess das für mich, dass ich unprofessionell war. Danach machte ich mir Gedanken und sprach mit Trainern, die mehr Erfahrung haben als ich.

Mit wem zum Beispiel?

Mit Bernd Schuster, mit Michel, meinen früheren Trainern bei Levante und Getafe. Früher hatte ich einmal gehört, was Pep Guardiola auf die Frage sagte, ob er ein Spiel von Real Madrid anschaue: «Nein, ich gehe mit meiner Frau ins Kino.» Ich dachte: «Was?» Das war für mich ein Wahnsinn. Der Trainer von Barcelona schaut sich nicht das Spiel des grossen Konkurrenten an?

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Ein prägender Trainer für Fabio Celestini: der Deutsche Bernd Schuster, hier 2004 als Coach von Levante im Gespräch mit dem Schweizer Mittelfeldspieler. Miguelez Sports / Imago

Was lehrte Sie das?

Um meine Arbeit besser zu machen, muss ich mir manchmal eine Auszeit nehmen. Kochen, ins Kino gehen, abschalten.

Haben Sie keine Angst, dass es plötzlich heisst, Sie seien faul?

Nein. Weil es nicht darum geht, mehr zu machen, sondern die Sachen besser zu machen. Was spielt es für eine Rolle, ob ich ein Spiel in der Nacht oder am nächsten Morgen schaue? Wenn ich ein Spiel müde anschaue, sehe ich vielleicht die Lösung nicht. Aber ausgeruht habe ich sie in 30 Minuten.

Alain Joseph, der frühere Präsident von Lausanne-Sport, sagte einmal, Sie seien ein guter Trainer, aber Sie hätten immer gefordert. Einen Videoanalysten, jemanden für die Reha, es sei zum Verrücktwerden gewesen. Sie hätten nicht verstanden, dass es Lausanne sei und nicht Marseille oder Madrid. Mussten Sie das lernen?

Ich kann das unmöglich lernen. Alain Joseph ist als Chef seiner Firma genau gleich wie ich als Trainer. Er hat nicht umsonst erreicht, was er hat.

Man muss fordern, fordern, fordern?

Fordern klingt mir zu negativ. Wenn jemand ein Unternehmen führt und nicht aus der Komfortzone kommt, ist das der Anfang vom Ende. Meine Mutter arbeitete 30 Jahre lang bei Kodak. Sie waren die besten. Dann kam die Digitalfotografie. Wo ist Kodak heute? Jeder Tag bringt Herausforderungen, die ich bestmöglich meistern möchte. Heute das Training, das Interview mit der NZZ, der Valentinstag. Und morgen etwas anderes. Das Problem von Unternehmern im Fussball ist, dass sie statt mit dem Kopf mit dem Herzen arbeiten – und das Gegenteil dessen machen, was sie im Geschäft gewohnt sind.

Sie haben einen klaren Standpunkt. Aber letzthin sagten Sie in der «Basler Zeitung»: «Ich bin der einfachste Mensch zum Zusammenarbeiten.» Wie geht das zusammen?

Fragen Sie meinen Staff: Ja, es ist einfach mit mir. Aber . . .

Aber?

Ich habe ein Problem mit Inkompetenz. Vor drei, vier Jahren machte ich einen Persönlichkeitstest, ich sprach mit einem Coach. Ich sagte: «Ich verstehe nicht, warum es mit der einen Person funktioniert und mit der anderen nicht.» Und der Test zeigte mir: Du hast das, das und das – und dein Charakter hat ein Problem mit Inkompetenz.

Haben wir nicht alle ein Problem damit?

Sogar wenn jemand mein Freund ist, aber inkompetent: Ich kann nicht mit ihm arbeiten. Anderseits kann jemand ein absolut doofer Typ sein, aber hoch kompetent: Und ich kann mit ihm arbeiten. Wenn Alain Joseph über Fussball sprach, und er stellte mir Fragen – okay, da hatte ich manchmal ein Problem! Aber ich erklärte ihm immer, was ich meinte. Er kann sagen, ich sei schwierig – aber ich erklärte ihm immer meine Sicht.

Warum?

Weil er mein Boss war. Wenn Alain sagte: «Wir machen eine Sitzung im Fleur de pains», einem Tea-Room – dann sagte ich: «Alain, ich will nicht in einen Tea-Room gehen. Ich will in dein Büro gehen, wo du der Boss bist und ich dein Mitarbeiter bin.» Ich spielte früher für einen grossen Klub wie Marseille – da macht der Präsident die Sitzung mit dem Trainer nicht in einem Tea-Room. Aber ich glaube, auch in Lausanne solltest du eine Sitzung nicht in einem Tea-Room machen.

Und wie ist es im FC Basel? Der Präsident David Degen hat einen starken Charakter und viel Fussballwissen – da kann es doch schnell einmal einen Knall geben.

Mit meiner Frau auch – es ist aber nicht so, dass ich sie deshalb nicht mehr liebe. Wo ist ein Leben, in dem alles perfekt ist? Es existiert nicht. Wollen wir eine Mannschaft, in der alle super Freunde sind? Nein. Alle müssen um einen Platz kämpfen, manchmal müssen sie böse sein aufeinander – aber danach müssen sie gemeinsam alles geben für den FC Basel. In der Beziehung zwischen Präsident und Trainer ist es dasselbe. Du musst kommunizieren, dich gegenseitig konfrontieren. Wenn mir Alain etwas sagte, dachte ich oft: Er hat keine Ahnung von Fussball – aber letztlich brachte er mich zum Überlegen. Und später fand ich: Vielleicht ist es gar nicht so dumm, was er gesagt hat.

David Degen sagte einst in einem Interview mit der NZZ: «Ein fertig entwickelter Trainer wie Pep Guardiola wird nie Coach sein in Basel, wir werden immer Trainer haben, die sich in der Entwicklung befinden.» Aber manchmal scheint es, es falle Degen doch schwer zu akzeptieren, dass er keinen perfekten Trainer hat.

Aber welche Mannschaft hat Guardiola?

Nur eine, klar, zurzeit Manchester City.

Ich gehe den Rhythmus der Mannschaft und passe mich an. Du kannst pushen und fordern, in diese oder jene Richtung – aber letztlich geht es darum, was für die Mannschaft am besten ist.

Sie sagten einst: «Man muss eine Idee haben und an sie glauben. Und Personen, die das tun, sagt man dann manchmal nach, sie seien stur oder dogmatisch.» Sind Sie offener geworden, weniger stur als früher?

Meine Idee des Fussballs wechsle ich nicht, unmöglich. Ich will dominant sein, mit und ohne Ball. Sagen Sie Guardiola: «Wechsle deine Idee!» Bei dieser Sitzung will ich dabei sein: Wie Sie Guardiola sagen, er solle seine Idee des Fussballs ändern. Er solle nicht mehr von hinten heraus spielen, sondern nur noch lange Bälle – da will ich dabei sein!

Kennen Sie Guardiola?

Ja. Ich traf ihn einst an einem Spiel meiner Stiftung. Wir sprachen miteinander, und er sagte mir: «Glaubst du, ich sage Iniesta, wie er spielen soll?» Nein.

Weil Andrés Iniesta weiss, wie er spielen soll?

Genau. In der Arbeit mit einem Spieler wie Iniesta geht es darum, dass er zufrieden ist und drei, vier Sachen zum Gegner weiss. Aber glauben Sie, nachher habe Guardiola zu Iniesta gesagt, er müsse hierhin und dorthin laufen und diesen und jenen Pass spielen?

Vor gut einem Jahr waren Sie im Gespräch als Trainer des Schweizer Frauen-Nationalteams – was interessierte Sie daran?

Es wäre eine unglaublich spannende Herausforderung gewesen. Der Verband rief mich an, und ich dachte: Wow, ein Nationalteam, eine WM in Australien und Neuseeland – ich war stolz, dass es diese Möglichkeit gab. Ich liebe Herausforderungen, aber ich sagte dem Verband auch, es sei ein Risiko, den Männer-Fussball zu verlassen.

Ihre Spielerkarriere, Ihre Idee, Ihre ersten Monate in einem Klub versprechen immer wieder viel – aber nach zehn Jahren steht erst ein Titel zu Buche. Warum nicht mehr?

Ich gewann alles, was ich in der Schweiz gewinnen konnte.

Aber nicht den Meistertitel.

Aber ich hatte überall Erfolg. Aufstieg mit Lausanne, Dritter mit Lugano, erster Cup-Sieg mit Luzern seit 29 Jahren. Zudem bin ich 2016 zum Trainer des Jahres gewählt worden, ich gewann mit meinen Klubs die Fairplay-Wertung und die U-21-Trophy in Challenge League und Super League. Aber bis vor kurzem trainierte ich weder YB noch Basel, die beiden grossen Schweizer Klubs der letzten Jahrzehnte.

2021 sagten Sie, Sie würden nie den Trainerposten bei YB oder Basel bekommen, das wüssten Sie.

Es war eine schwierige Zeit für mich damals, ich war wiederholt nahe dran, bei diesen Klubs einen Job und damit eine grössere Möglichkeit auf den Meistertitel zu bekommen. Also sagte ich das – vielleicht war es nicht richtig, aber in dem Moment fühlte ich so.

Fühlten Sie sich manchmal ungerecht behandelt?

Es ist nicht Ungerechtigkeit. Aber du machst und machst und machst, du hast Erfolg, du möchtest weiterkommen – und letztlich wurde es wieder nichts. Also hatte ich das Gefühl, es sei unmöglich, dass ich diese Chance je bekomme. Und ja, ich hatte noch nie ein Projekt bekommen mit einem Kader, mit dem es realistisch möglich ist, Meister zu werden.

Mit dem FCB ist es möglich?

Im Moment wollen wir die Mannschaft und den Klub retten, da darfst du nicht vom Meistertitel reden. Als ich den Job am 1. November 2023 übernahm, waren wir fünf Punkte hinter Lausanne-Ouchy im letzten Rang. Wenn wir in dieser Saison mehr schaffen, als in der Super League zu bleiben: phantastisch.

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