Französischer Schriftsteller: Albert Camus benannte den Terror

französischer schriftsteller: albert camus benannte den terror

Kritischer Zeitungsleser und Journalist: Albert Camus 1959 in Paris

Albert Camus’ Tagebucheintrag zum 17. Oktober 1957 ist vielfach zitiert worden: „Nobelpreis. Eigenartiges Gefühl der Niedergeschlagenheit und der Wehmut. Als ich 20 war, arm und nackt, habe ich den wahren Ruhm gekannt.“ Zwei Tage später notiert Camus: „Erschrocken über das, was mir zustößt und was ich nicht verlangt habe. Und zur Krönung des Ganzen so gemeine Angriffe, dass es mir das Herz zuschnürt.“

Zum obligaten Rummel im Verlagshaus Gallimard und bei der Zeremonie in Stockholm macht Camus bella figura im geliehenen Frack. Die Nobelpreisrede wird von den Pariser Auguren als ordentlicher Auftritt abgehakt. Camus kommt darin eher indirekt auf das algerische Drama zu sprechen, das seit drei Jahren andauert und seine Heimat zu zerreißen droht. „Jede Generation glaubt wohl, sie sei dazu bestimmt, die Welt neu zu gestalten; meine Generation weiß, dass sie sie nicht neu gestalten wird. Ihre Aufgabe ist größer. Sie besteht darin, zu verhindern, dass die Welt aus den Fugen gerät.“

Von einem frischgebackenen Nobelpreisträger erwartet man wuchtige Aussagen zur Gegenwart, doch das Statement, das er eher unbeabsichtigt abgibt, provoziert einen Skandal. „Le Monde“ entstellt den Wortwechsel mit einem arabischen Studenten nach der Preisübergabe in der Schlagzeile: „Entre ma mère et la justice je choisis ma mère“, was hieße: meine Familie steht über der Gerechtigkeit. Camus hatte sich tatsächlich sehr viel differenzierter ausgedrückt: „Ich habe den Terror immer verurteilt. Ich muss auch den Terrorismus verurteilen, der blindlings auf den Straßen von Algier ausgeübt wird. Zurzeit werden Bomben in die Straßenbahnen von Algier geworfen. Meine Mutter könnte sich in einer dieser Straßenbahnen befinden. Wenn das Gerechtigkeit ist, ist mir meine Mutter lieber.“

französischer schriftsteller: albert camus benannte den terror

Albert Camus (1913-1960), aufgenommen im Jahr 1947.

„Kontextualisierung“ fehl am Platz

„Sein Gesicht ist Für die antikoloniale Linke, den algerischen „Front de Libération Nationale“ und deren Unterstützer, die sogenannten Kofferträger, um Jean-Paul Sartre und Francis Jeanson war das die Gelegenheit, dem schon lange suspekten Camus aufs Neue den Fehdehandschuh hinzuwerfen.

Das gewollte Missverständnis wirkt heute, nach dem Massaker des 7. Oktobers 2023 in Israel, erschreckend aktuell: Wenn ein nahestehender Mensch bei einem Terroranschlag zu Tode kommt, in der Straßenbahn von Algier genau wie bei einem Festival in der israelischen Wüste, dann sind „Kontextualisierung“ und Relativierung fehl am Platze. Der in Schweden lebende arabische Student Said Kessal, der Camus um ein Statement zu Algerien angegangen und dabei in einen atemlosen Monolog verfallen war, konnte wissen, dass Camus kein Verfechter der Algérie française war. Er entstammte einer Familie armer Pieds-Noirs, wie man Menschen aus der Mittelmeerregion bezeichnete, die sich seit 1830 auf der anderen Seite der Mediterrane angesiedelt hatten und überwiegend mittellos geblieben waren.

Sich im Zweifel für das Leben der Mutter zu entscheiden beschönigte die Ungerechtigkeit und Brutalität des Kolonialregimes, das Camus als Reporter in den Dreißigerjahren eindringlich beschrieben hatte, nicht im Mindesten. Camus verurteilte auch nicht den Studenten, drückte ihm vielmehr nachträglich Respekt aus. „Er wusste wovon er sprach, und sein Gesicht war nicht von Hass gezeichnet, vielmehr von Verzweiflung und Unglück. Ich teile dieses Unglück, sein Gesicht ist das meines Landes.“

„Nur das Risiko rechtfertigt das Denken“

Camus’ Position konnte allen bekannt sein: Er verurteilte den Terror der radikalen Rechten, die Algerien als ihr Terrain betrachteten, genauso wie den der algerischen Nationalisten, die sich von der Geschichte berufen fühlten, das Land frei zu bomben. Der letzte Tagebucheintrag vor dem Nobelpreis berichtet über ein am Ende vergebliches Ringen zwischen Ali la Pointe, dem jungen Helden des bewaffneten Widerstands in der Kasbah, und der französischen Widerstandskämpferin Germaine Tillion um eine friedliche Lösung: „Aufhören des zivilen Terrorismus gegen Aufhören der Hinrichtungen“ – wofür Camus sich übrigens als Gegner der Todesstrafe auch hinter den Kulissen eingesetzt hatte. Am 22. Januar 1956 hatte er in Algier seinen „Appel pour une trêve civile en Algérie“ publiziert und anstelle der Unabhängigkeit eines arabischen Algeriens, das die Siedler und auch die Juden sogleich würden verlassen müssen, eine Föderation, eine Art Einstaatenlösung für Nordafrika vorgeschlagen.

Vier Tage zuvor notiert er: „Diese Angst, die ich in Paris mit mir herumschleppte und die Algerien betraf, ist von mir gefallen. Hier wenigstens steht man im Kampf, der hart für uns ist, da wir die öffentliche Meinung gegen uns haben. Aber letzten Endes habe ich stets im Kampf meinen Frieden gefunden. Der Intellektuelle von Amts wegen, was immer er sagen mag, und vor allem wenn er sich nur schriftlich mit den öffentlichen Angelegenheiten beschäftigt, lebt wie ein Feigling. Er kompensiert diese Ohnmacht mit verbaler Übersteigerung. Nur das Risiko rechtfertigt das Denken. Und zudem ist alles besser als dieses Frankreich der Abdankung und der Bosheit, dieser Sumpf, in dem ich ersticke. Ja, zum erstenmal seit Monaten war ich beim Aufstehen glücklich. Ich habe den Stern wiedergefunden.“

Camus versucht mit dieser „wenig zahlreichen, armseligen Versammlung“ zu retten, was schon nicht mehr zu retten ist. Er steigt, gegen den Rat der Freunde und der Polizei, im mondänen Hotel Saint-Georges ab, erhält dort Todesdrohungen, redigiert seine Rede und trifft sich mit Gleichgesinnten des Zirkels überwiegend europäischstämmiger Personen, die seit den Dreißigerjahren als Liberale eine „dritte Kraft“ zwischen den Ultras beider Seiten bilden wollen. Die Versammlung trifft sich am 22. Januar in einem Haus nahe der Kasbah; sie wird von radikalen Anhängern der Algérie française, die wenig später bei der Terrororganisation OAS landen werden, verschrien, mit Steinen beworfen, des Verrats bezichtigt.

Der tödliche Unfall von Camus

Sie muss stattfinden, beharrt Camus, der jetzt wieder als Journalist für den „Express“ arbeitet und Kreisen des gestürzten französischen Premierministers Pierre Mendès France nahesteht, „um wenigstens zu zeigen, dass nicht jede Möglichkeit eines Zwiegesprächs ausgeschlossen ist, und um zu verhindern, dass die allgemeine Ermutigung dazu verleitet, sich mit dem Schlimmsten abzufinden“. Camus, der eine Reihe wichtiger, aber letztlich bereits einflussloser arabischer und kabylischer Intellektueller an seiner Seite hat, appelliert in einer Rede an beide Seiten, sich nicht dem Hass und der Gewalt hinzugeben.

Knapp zwei Jahre später bekräftigte Camus seine Position in einem Beitrag für „Le Monde“ am 14. Dezember 1957: „Ich bin für ein gerechtes Algerien, in dem beide Bevölkerungsgruppen in Frieden und Gleichheit leben sollen. Ich habe immer wieder gesagt, dass dem algerischen Volk Gerechtigkeit widerfahren muss und ihm ein vollständig demokratisches Regime zugestanden werden muss“, doch nun sei der Hass auf beiden Seiten so groß geworden, „dass es einem Intellektuellen nicht mehr einfällt, einzugreifen; seine Äußerungen könnten die Spannungen noch verschärfen“.

Camus hatte da, bis zu seinem tödlichen Unfall im Wagen des Verlegersohns Michel Gallimard, noch zwei Jahre zu leben. Weitere zwei Jahre später wurde Algerien unabhängig und deklarierte sich als arabisch-islamische Nation. Pieds-Noirs und Juden mussten gehen, die Kabylen kämpfen bis heute um Anerkennung ihrer kulturellen Eigenart, und Algerien agiert als einer der energischsten Verfechter einer palästinensischen Einstaatenlösung und antizionistischer Frontstaat. Junge Männer, die es daheim nicht mehr aushalten, suchen den riskanten Weg übers Mittelmeer, weil das arabisch-muslimische Algerien niemals demokratisch geworden ist.

Genau wie Camus darf man die Hoffnung auch im Blick auf Palästina niemals aufgeben. Fast tagesaktuell klingt sein Vorschlag, dass „die arabische Bewegung und die französischen Behörden – ohne deswegen miteinander in Verbindung treten zu müssen und ohne jegliche andere Verpflichtung – gleichzeitig eine Erklärung abgeben, wonach während der Dauer der Unruhen die Zivilbevölkerung immer und überall in Frieden gelassen und beschützt wird . . . Welches auch die alten und tiefen Ursprünge der algerischen Tragödie sein mögen, eine Tatsache bliebt bestehen: nichts rechtfertigt den Tod von Unschuldigen.“

1958 schrieb er dann wider alle Evidenz, dass die „schreckliche Tragödie, in der unser gemeinsames Land versunken ist, nicht nur Anlass zur Hoffnung, sondern auch Anlass zu einem gemeinsamen Vorhaben gibt, dass wir alle, Araber und Franzosen, zur Wahrheit voranschreiten könnten“.

Claus Leggewie ist Politikwissenschaftler und Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik“.

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