Frank-Walter Steinmeier und der Döner: Pro und Contra zum Geschenk in der Türkei
Der Bundespräsident bringt auf seiner Türkeireise einen Dönerspieß mit. Unsere Autorin hält es für peinlich, unser Autor sieht ein schönes Bild interkultureller Alltagsverschränkung.
Frank-Walter Steinmeier und der Döner: Pro und Contra zum Geschenk in der Türkei
Steinmeier bringt Döner mit, geht’s noch?
Von Frank-Walter Steinmeiers Reise in die Türkei bleibt ein unangenehmes Gefühl zurück, so wie unangenehmer Geruch in der Kleidung hängt, wenn man zu lange in einer Dönerbude gestanden hat. Das Gefühl, Deutschland ist irgendwie oll und peinlich, verstärkt sich durch diese Reise – dem Dönergeschenk sei Dank. Es ist einfach ein bisschen oll und peinlich, dass den Deutschen immer wieder nur der Döner einfällt, wenn sie an die Türken denken.
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Die Geschichte vom türkisch-deutschen Döner, der so sehr ins deutsche Stadtbild gehört wie der Zuckerwürfel ins Teeglas, ist nun wirklich alt. Sie stetig zu bemühen, hat etwas Verlogen-Verklemmtes angesichts rassistischer Morde alle paar Jahre – zuletzt in Halle, wo der Rechtsextremist es nicht in die Synagoge schaffte und stattdessen im Dönerimbiss mordete. Das ist deutscher Hass.
Zumal in der Assoziationskette Deutschland und Döner die sogenannten Dönermorde unweigerlich folgen. So wurden die rechtsextremen Terrorakte des NSU zunächst genannt, weil Ermittler anfangs die Opfer und ihr Umfeld selbst verdächtigten. Wie rassistisch der Blick war, der sich auf die Familien der Opfer richtete, ist ausgiebig beschrieben worden.
Aus der Geschichte der Gastarbeiter wurde eben keine Geschichte von Freunden. Was allein schon daran ablesbar ist, dass Türkinnen und Türken noch immer nicht ohne Visum nach Deutschland reisen können. Das wäre mal ein Gastgeschenk gewesen, das in die Geschichtsbücher eingegangen wäre.
Außerdem schmeckt Tantuni besser.
(Frauke Böger)
Die Aufregung ist überzogen
Steinmeiers Dönerspieß ist ein buntes Extra seiner Reise, das natürlich zu Spott einlädt. Der Präsident am Fleischspieß, so onkelig, haha. Glatt gebügelte Schürze über makellosem Anzug, Döner schneiden mit Krawatte, hoho. In der Hand das Dönermesser, pass auf, gleich schneidet er sich, gnihi.
Wollen wir wirklich auf dieser Ebene über den Besuch reden? Oder über die politische Dimension? Wie weiter umgehen mit Erdoğan, der einst Mittler zwischen arabischer Welt und Israel war, nun aber Hamas-Chef Haniyyeh empfängt? Wie positionieren gegenüber der erstarkenden Opposition gegen den langjährigen Staatschef? Wie gegenüber dem türkischen Umgang mit den Kurden, die nach wie vor unterdrückt und drangsaliert werden?
Aber okay, reden wir über Döner. Denn auch ohne die Whataboutism-Keule ist die Diskussion über Steinmeiers Mitbringsel überflüssig und wohlfeil. Es wird so getan, als sei der Bundespräsident allein mit einem Dönerspieß in der Hand in Ankara aufgeschlagen und habe sonst nichts getan. Als wäre allein Kebab sein Symbol für die (vermeintlich) gelungene Integration der einstigen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter und ihrer Kinder und Enkel. Das ist falsch.
Vergessen oder mit Absicht ausgespart wird, dass der Präsident eben nicht nur den Dönerspieß samt Imbissbudenbesitzer Arif Keles mitbrachte. Ihn begleiteten weitere Gäste, die für die deutsch-türkische Migrationsgeschichte stehen – etwa der Schauspieler Adnan Maral und der Unternehmer Mustafa Tonguc, Geschäftsführer von DHL Express Deutschland. Ein schönes Symbol: Steinmeier umgibt sich nicht nur mit Promis und CEOs aus der Wirtschaft, sondern auch mit einem Dönerbrater von der Yorckstraße in Berlin.
Und der ist stolz, den Präsidenten begleiten zu dürfen. »Das ist eine große Wertschätzung für mich«, sagte Keles im SPIEGEL-Interview. »Wenn ich jetzt als Ehrengast mit dem deutschen Bundespräsidenten reisen darf, dann zeigt mir das: Meine Leistung wird anerkannt, ich werde hier in Deutschland anerkannt.« Dass der Dönerbrater einen Fleischspieß mitbringt, ist keine Verkürzung des Integrationsprozesses auf fettiges Press- und Schichtfleisch, sondern ein wunderbares Symbol für interkulturelle Verschränkungen im Alltag.
Essen verbindet. Döner erst recht, alle essen das: Alt und Jung, Groß und Klein, Touristin und Einheimischer, Bauarbeiter und Opernsängerin. Sogar Nazis essen heimlich Döner, wenn man der Legende glauben mag. Immer öfter gibt es Kebab in der Seitan-Variante, so können auch Veganerinnen und Veganer mitessen. Es ist egal, wer hier den Döner bestellt, es geht um Hunger und Geschmack, es geht höchstens noch um die Frage der Soße und ob mit Zwiebeln oder ohne, sogar Pommes dürfen neuerdings mit rein. Und das ist doch ein schönes Symbol: Vor dem Döner sind alle gleich.
(Malte Göbel)