Fleischkonsum: Schnippelche Worscht?
Kolumne
Fleischkonsum: Schnippelche Worscht?
Mit Metzgereien verschwinden auch andere kleine Läden und mit ihnen die Erinnerungen an den Einkauf und das Stück Wurst, das vor allem Kinder dort oft bekamen. (Bernd Weißbrod/dpa)
Unter geänderten Essgewohnheiten können Metzgereien und andere Läden leiden. Doch schon bald erinnern sich Erwachsene an ein Stückchen Sojawurst. Die Kolumne.
Eigentlich ist es ja immer ein Jammer, wenn Geschäfte schließen müssen, die sich über Generationen gehalten haben. Ursachen dafür sind häufig der fehlende Nachwuchs, aber auch ein verändertes Konsum- oder Einkaufsverhalten der Kundschaft. Gerade in Ballungszentren zwingen auch oft unverhältnismäßig unverschämt steigende Mieten die Einzelhändlerinnen und Einzelhändler zum Aufgeben.
Betroffen sind etwa Bekleidungsgeschäfte, Eisenwarenhändler und Spielzeugläden, ganz besonders aber Handwerksbetriebe wie Bäckereien und Metzgereien. Von ihnen musste in den letzten 20 Jahren nahezu die Hälfte die Produktion einstellen. Während im Backhandwerk die unattraktiven Arbeitszeiten die Suche nach Nachfolgerinnen und Nachfolgern erschwerten, ist es bei den Fleischerinnen und Fleischern auch der Trend zu weniger Verzehr von Fleisch und Wurstwaren.
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Das ist aus der Sicht des Sozialromantikers eine Katastrophe, aus gesundheitlichen, vor allem aber aus Umwelt- und Tierschutzgründen unbedingt zu begrüßen. Die Zeiten der unmäßigen Fleischfresserei sind vorbei – und das ist gut so.
Doch es ist wie so oft im Leben, was die Vernunft gebietet, schmerzt das Gemüt – zumindest bei Menschen, die mit Borstenvieh und Schweinespeck sozialisiert wurden. Fleisch, vor allem aber Wurst, waren jahrhundertelang nicht nur ein Kulturgut, sondern ein Garant fürs Überleben.
Vor allem etwas, was den modernen Schweinerassen längst zum größten Teil weggezüchtet wurde – der Speck. Heute von vielen vom Kotelett oder Nackensteak als ungenießbar weggeschnitten, war er einst eine wichtige Fettquelle und damit unverzichtbar für die Verwertung etlicher Vitamine durch den menschlichen Organismus.
Man aß ihn dünn geschnitten auf dem Brot und als Grieben auf den Kartoffeln, zu Schmalz ausgelassen backte und kochte man mit ihm, stellte Mehlschwitzen zum nahrhaften Eindicken der dünnen Suppe her oder schmierte sich damit ein, wenn man erkältet war. Selbst die Schwarten wurden verwertet, etwa zum Wichsen der Stiefel oder zum Einreiben des Waffeleisens, damit der Teig nicht anhaftete.
„Bei uns werden Kinder nicht abgestillt, sondern angewurstet“
Schweinefett war auch längst nicht so ungesund wie jenes aus der heutigen Massentierhaltung. So weist der Speck alter Rassen fast so viel Omega-3-Fettsäuren auf wie der so hochgelobte Lachs.
Wenn man sich all dies vor Augen hält, wird es verständlicher, dass viele sich schwertun, auf Fleisch und Wurst zu verzichten. Etliche Generationen und ihr Verzehr von Schweinernem haben sich in unsere Gene eingenistet. Wurst verbinden viele mit Wohligkeit und Geborgenheit. „Bei uns werden Kinder nicht abgestillt, sondern angewurstet“, sagt der Kabarettist Mathias Tretter, ein gebürtiger Unterfranke.
Da ist was dran. Erinnerungen an die Geselligkeit eines Schlachtfestes, die Knackwurst in der samstäglichen Erbsensuppe, das Wurstschnappen beim Kindergeburtstag, das Wurstbrot im Schulranzen oder der Klassiker, die Scheibe Gelbwurst, mit der beim Metzger für glänzende Kinderaugen gesorgt wurde.
Klingt schmalzig und romantisierend, ist es auch – es ist aber auch wahr. So war es nun mal. Aber was soll’s. Irgendwann werden Erwachsene versonnen daran zurückdenken, wie sie als Kind beim Einkaufen immer ein Stückchen Sojawurst kriegten – und werden die gleichen wohligen Gefühle verspüren. Wetten?
Michael Herl ist Theatermacher und Autor.