U8, die schlimmste U-Bahn Berlins: „Alles versifft und vercrackt“

u8, die schlimmste u-bahn berlins: „alles versifft und vercrackt“

Inzwischen vergeht für viele Fahrgäste kaum eine Fahrt in der U8 ohne Konfrontation mit Drogen oder Aggression.

Eine junge Frau tänzelt auf grauen Wollsocken durch die U-Bahn. „Mein Vater wollte sich damals nicht um mich kümmern“, trällert sie, während sich der Zug vom U-Bahnhof Schönleinstraße zum Kottbusser Tor bewegt. Ihr Haar glänzt.

Sie hat es zu einem Dutt zusammengebunden und trägt einen leichten weißen Rock, der unter ihrem Pulli hervorragt. Eine gebückte alte Frau am Stock schreckt auf, als die Rockträgerin an ihr vorbeikommt: Die junge Frau hat eine große offene Wunde an ihrem rechten Arm. Ihre Hände und ihr Rock sind voll Blut. Ein ganz normaler Tag auf der U-Bahn-Linie 8.

Die U8 – das sind 18,1 Kilometer Tunnel von Wittenau im Bezirk Reinickendorf zur Hermannstraße im Bezirk Neukölln. Die U8 – 24 Stationen liegen an der Strecke, unter anderem Gesundbrunnen, Alexanderplatz, Kottbusser Tor, Hermannplatz. 36 Minuten dauert die Fahrt. So viel steht fest: Die U8 ist eine wichtige Nord-Süd-Strecke im Nahverkehrsnetz der Hauptstadt.

Doch die unterirdische Trasse, die auch Mitte und Kreuzberg erschließt, hat einen zweifelhaften Ruf. Sie gilt als die gefährlichste und schmutzigste U-Bahn-Strecke in Berlin. „Mit der U8 fahre ich nicht mehr, diese U-Bahn-Linie tue ich mir seit einigen Jahren nicht mehr an“, sagt Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastverbands IGEB.

Er ist nicht der Einzige, der sich darüber beschwert, dass auf Teilen der U8 Schmutz, Drogenhandel und Bauschäden das Bild bestimmen. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), seit Jahren mit Kritik an den Zuständen konfrontiert, wollen nun energischer als bisher gegensteuern. Auch die Landespolitik scheint sich für die U8 zu interessieren – endlich. Nicht mehr lange, dann wollen BVG und Senat bekannt geben, was dort passieren soll.

„Von Wittenau bis Hermannstraße ist alles vercrackt, alles versifft, mit den Drogen“, erzählt ein 37-jähriger Fahrgast aus Wedding. Er trägt eine rote Sportjacke, goldene Basecap und Jogginghose. Eben wurde er von Kontrolleuren eines von der BVG beauftragten Unternehmens aus der U-Bahn gezogen. Offenbar hat er keine Fahrkarte dabei. Die Kontrolleure sind freundlich, sie geben ihm den Tipp, sich ein Ticket zuzulegen und bald zu zahlen. „Wenn du gar nicht zahlst, musst du Strafe, Bruder“, sagt einer der Kontrolleure.

Der Begleiter des Manns ohne Fahrschein gibt Auskunft darüber, warum die Kontrolleure so nett sind. „Ein Fahrausweiskontrolleur wurde abgestochen, weil jemand keinen Fahrschein dabeihatte“, erzählt der 25-Jährige. „Am Hermannplatz war das.“ Über Messerstechereien sind die beiden gut informiert. „Wenn du oben in den Oberkörper stichst, kriegst du nur schwere Körperverletzung“, sagt der 37-Jährige ohne Ticket. „Im Oberschenkel ist eine Hauptschlagader. Wenn du da reinstichst, ist es versuchter Mord.“

Die Berliner Polizei hat die Gewalttaten, die sich in der U-Bahn-Linie 8 ereignen, gezählt. In ihrer Statistik lagen die Stationen 2018 berlinweit auf Platz 1. Auf Platz zwei und drei folgten die U7 mit 507 Gewalttaten und die U5 mit 373. An dieser traurigen Vorreiterrolle dürfte sich in den vergangenen Jahren nicht viel geändert haben.

Im Jahr 2021 gab es allein am Bahnhof Hermannstraße, dem südlichen Endbahnhof der U8 in Neukölln, 332 Fälle von Körperverletzung. 2016 wurde ein Obdachloser im U-Bahnhof Schönleinstraße von Jugendlichen angezündet. Die U8 führt durch vier der sieben „kriminalitätsbelasteten Orte“ der Stadt, die von der Berliner Polizei ermittelt wurden: Alexanderplatz, Hermannplatz, Bahnhof Hermannstraße und Kottbusser Tor.

1927 wurde der erste Abschnitt eröffnet, unter dem Namen Gesundbrunnen-Neukölln-Bahn. Er führt durch einige der ärmsten Viertel der Stadt. Der Soldiner Kiez in Mitte unweit des Bahnhofs Osloer Straße, die Gegend um den Moritzplatz (wo die U8 ebenfalls hält) und die Rollbergsiedlung am U-Bahnhof Leinestraße gehören laut Sozialstrukturatlas 2022 zu den sozial schwächsten Gegenden der Hauptstadt.

Die BVG hat bereits versucht, auf die Fahrgastbeschwerden zu reagieren. So setzt sie seit dem vergangenen Jahr ein speziell geschultes Präventionsteam ein, das südlich des U-Bahnhofs Moritzplatz unterwegs ist. Das Landesunternehmen verweist auch darauf, dass es an den Stationen Schönleinstraße, Gesundbrunnen, Hermannstraße und Paracelsus-Bad BVG-Stützpunkte mit Personal gibt.

Die U8 – das ist aber auch eine Reise durch den Berliner Alltag mit vielen ganz normalen Menschen. Eine wichtige Verbindung für Pendler, Einkaufsbummler, Touristen, Restaurantbesucher. In zehn Minuten vom Alex zum Hermannplatz: Mit dem Auto ist das nicht zu schaffen. Die U8 kommt auch in Reiseführern vor, ziemlich prominent. Der U-Bahnhof Weinmeisterstraße erschließt das hippe Shoppingviertel am Hackeschen Markt. Der U-Bahnhof Rosenthaler Platz liegt unter einem beliebten Ausgehviertel. Vom U-Bahnhof Boddinstraße ist es nicht weit zum Tempelhofer Feld.

In der U8 riecht man Berlin. Schweißgeruch, Parfüm, mal beißend, mal süßlich, das Odeur eines Wohnungslosen, der sich lange nicht gewaschen hat: All das weht der Fahrtwind in die Wagen. Zwischen Hermannplatz und Boddinstraße vergräbt eine Frau mit hellgrünem Mantel, schwerem Make-up, Glanzlederstiefeln und einem Strauß Rosen in der Hand den Kopf in ihrem Designerschal, um dem Geruch zu entkommen.

Gifty A. (34) aus Neukölln sitzt mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in der U8 zwischen Weinmeisterstraße und Alexanderplatz. Die drei kommen gerade von einem Termin in der Botschaft Großbritanniens. „Manchmal rekeln sich die Leute auf dem Boden, weil sie Krämpfe von den Drogen haben“, sagt Gifty. Sie ist elegant angezogen mit einem langen schwarzen Mantel. Sie müsse immer am Bahnhof Schönleinstraße raus. „Beim Aussteigen ziehe ich oft eine Maske an, weil ich Angst vor den Dämpfen aus den Crackpfeifen habe“, sagt sie. Ein ganz normaler Tag in der U8.

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