Klimaschutz: Schwache Wirtschaft, milder Winter, weniger CO₂

Deutschlands Emissionen sinken deutlich, zeigt ein neuer Bericht. Nur dahintersteckt kein erfolgreicher Klimaschutz. Der Verkehrssektor schneidet immer schlechter ab.

klimaschutz: schwache wirtschaft, milder winter, weniger co₂

49 Millionen Pkw fahren auf Deutschlands Straßen und verursachen immer mehr CO₂-Emissionen.

Der Expertenrat für Klimafragen hat seinen Prüfbericht für das Jahr 2023 vorgelegt: Demzufolge sind Deutschlands Treibhausgasemissionen um zehn Prozent im Vergleich zu 1990 gesunken. Es ist der höchste Rückgang binnen eines Jahres. Für erfolgreichen Klimaschutz sprechen die Zahlen trotzdem nicht. Die Emissionen waren vor allem wegen der schwächelnden Wirtschaft und dem milden Winter so niedrig, schreiben die Experten. Und auch nicht überall sinken die Emissionen: Vor allem im Bereich Verkehr besteht dringend Nachbesserungsbedarf.

So seien Deutschlands Gesamtemissionen von insgesamt 750 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten auf 674 Millionen Tonnen gesunken, was rund zehn Prozent Minderung entspricht. Zum Vergleich: 2022 sanken Deutschlands Emissionen um nur 1,9 Prozent. Damit bestätigt der Expertenrat im Wesentlichen die im März vom Umweltbundesamt (Uba) veröffentlichten Emissionsdaten Deutschlands. Auch beim Blick auf die Emissionen in den einzelnen Sektoren – Verkehr, Gebäude, Energiewirtschaft, Industrie, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft – bestätigten sich die vom Uba-Bericht vorgezeichneten Trends, fassen die Expertenratsmitglieder zusammen.

Der Energiesektor sparte am meisten Emissionen ein

Die größten Rückgänge waren in den Sektoren Energiewirtschaft (minus 20 Prozent), Industrie (minus 8 Prozent) und Gebäude (minus 8 Prozent) zu verzeichnen. Letzterer verfehlte das für ihn gesteckte Minderungsziel für 2023 knapp. Deutlich unter den gesteckten Zielen lag der Sektor Verkehr (minus ein Prozent), schreiben die Experten.

Das 2020 in Kraft getretene Klimaschutzgesetz regelt die Minderungsziele Deutschlands. Ziel ist es, die Emissionen von Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren, bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude werden zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt. Sollten einzelne Sektoren diese Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung mit Sofortprogrammen nachsteuern. Aufgabe des Expertenrates für Klimafragen ist es, die jährlich vom Umweltbundesamt veröffentlichten Daten zu prüfen.

Der Expertenrat weist darauf hin, dass die Emissionen in Summe für 2023 relativ stark gesunken sind. So wurde vor allem weniger Kohlestrom im Energiesektor verbraucht, weil die energieintensive Industrie weniger davon verbrauchte. Die Rückgänge im Gebäudesektor seien vorwiegend durch den milden Winter bedingt. “Ohne den Rückgang der energieintensiven Industrie und die erneut milde Witterung im Jahr 2023 hätten die Emissionen deutlich höher gelegen”, sagte der Vorsitzende des Expertenrates Hans-Martin Henning.

Verkehrssektor verfehlt erneut seine Klimaziele

Der Verkehrssektor weist nach wie vor eine mangelnde Klimabilanz vor. “Die erneute Verfehlung des Jahresziels ist im Ergebnis unserer Prüfung beim Verkehr eindeutig”, sagt Hans-Martin Henning. Bereits im Vorjahr habe der Verkehrssektor die Minderungsziele nicht eingehalten. Selbst der geringe Rückgang von minus einem Prozent sei letztlich der Wirtschaftsflaute zu verdanken, die einseitig zu geringeren Emissionen im Güterverkehr geführt habe. Im Gegensatz dazu seien die Treibhausgasausstöße durch den Pkw-Verkehr sogar noch gestiegen. Rund zwei Drittel der Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor sind auf den motorisierten Individualverkehr zurückzuführen.

Dieser steigt stetig: Gut 49 Millionen Pkw sind in Deutschland zugelassen, zudem werden die Autos immer größer und schwerer. Inzwischen sind 40 Prozent aller neu zugelassenen Autos Geländewagen oder SUVs, die oft an die zwei Tonnen wiegen und vergleichsweise viel Kraftstoff verbrauchen. Zugleich bleibt der seit Jahren erhoffte Durchbruch für E-Autos im Massenmarkt aus, der Anteil reiner Stromautos stagniert bei etwa zwei Prozent. Die Bundesregierung hat zudem die Kaufprämie für E-Autos zu Beginn des Jahres gestrichen. Laut Klimaschutzgesetz muss das Bundesverkehrsministerium nun innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen – also bis zum 15. Juli.

Allerdings nur, wenn bis dahin nicht die geplante Novelle des Klimaschutzes in Kraft tritt, denn laut Reform würden Sofortprogramme in den einzelnen Sektoren nach Verletzung der Minderungsziele hinfällig. Um die Emissionen im Verkehr zu senken, hatte Verkehrsminister Volker Wissing in einem Interview mit dem Deutschlandfunk mit drastischen Fahrverboten gedroht. Nur so würden aus Sicht des FDP-Politikers die Klimaziele für den Verkehrssektor eingehalten – sollte sich die Ampelkoalition bis dahin nicht auf die geplante Reform des Klimaschutzgesetzes einigen, wie es der Politiker in einem Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsparteien formulierte. Die Verhandlungen über die Reform kommen in der Ampelkoalition derzeit nicht voran. Strittig ist die Frage, welche Verantwortlichkeiten Ressorts künftig noch haben, falls CO₂-Zielvorgaben verfehlt werden.

Kern der Gesetzesnovelle ist die De-facto-Abschaffung der Sektorziele, die vor allem die FDP ablehnt. Die Einhaltung der Treibhausgasminderungen würde nicht mehr rückwirkend nach den Sektoren kontrolliert erfolgen, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Regierung als Ganzes würde künftig entscheiden, in welchem Sektor und wie die zulässige CO₂-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll – allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt. Umweltverbände hatten die Reformpläne heftig kritisiert und vor einer Aufweichung des Klimaschutzgesetzes gewarnt. Weil die Verhandlungen in den Ampelfraktionen nicht vorankommen, macht Verkehrsminister Wissing nun Druck: Um die Sektorziele für den Verkehr allein im Jahr 2024 zu erreichen, müssten rund 22 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente kurzfristig zusätzlich eingespart werden – dies entspräche zum Beispiel 15 Prozent der Pkw- und über 10 Prozent der Lkw-Fahrleistung, so eine Abschätzung des Ministeriums.

Eine solche Verringerung der Verkehrsleistung wäre “nur durch restriktive und der Bevölkerung kaum vermittelbare Maßnahmen wie flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen möglich”, so Wissing im Deutschlandfunk. Das Reizwort weckt Erinnerungen an die Ölkrise in den 1970er-Jahren mit vier autofreien Sonntagen auf allen Autobahnen. Wissing ließ jedoch offen, wie ein Fahrverbot im Detail aussehen würde und wie es durchgesetzt würde. Es handele sich um ein “schlimmstes Szenario”, das man abwenden wolle, weswegen man sich nicht auf Details einlassen wolle, sagte ein Ministeriumssprecher.

Ist Wissings Drohung ein politisches Manöver?

Solche Fahrverbote würden nicht nur Bürgerinnen und Bürger treffen, sondern auch die Wirtschaft: Lieferketten könnten nachhaltig gestört werden, da eine kurzfristige Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene unrealistisch sei. Es ist außerdem zu befürchten, dass Fahrverbote die Akzeptanz für den Klimaschutz erheblich beeinträchtigen. Wissing beteuert zwar, er würde in seinem Amt viel Klimaschutz betreiben, die Drohung von Fahrverboten scheint aber vor allem ein Mittel, um die Ampelregierung unter Druck zu setzen, das Klimaschutzgesetz schnell zu reformieren.

Zahlreiche Experten lehnen Wissings Vorstoß ab: “Wir brauchen natürlich keine Fahrverbote”, sagte Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts im Gespräch mit der Nachrichtenagentur DPA. Dies verängstige Menschen ohne Grund. Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sagte, Wochenendfahrverbote seien nicht notwendig, um den Verkehr auf Klimakurs zu bringen. Greenpeace-Experte Benjamin Stephan kritisierte: “Es ist armselig, dass Volker Wissing mit den Folgen seiner jahrelangen Untätigkeit im Klimaschutz jetzt Autofahrer, Handwerker und Familien verängstigen will.”

Ein Bündel an Maßnahmen könnte Verkehrsemissionen senken

Viele Umweltverbände wie auch Messner sprechen sich seit Langem für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen zur CO₂-Einsparung aus – ein solches allerdings lehnt die FDP kategorisch ab. Resch sagte, allein ein Tempolimit von 100 auf Autobahnen, 80 außerorts und 30 in der Stadt spare mit über 11 Millionen Tonnen mehr als die Hälfte des Betrages ein. Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des Verkehrsclubs VCD, sagte: “Tempolimits sind die größte und am schnellsten umzusetzende Maßnahme bei der CO₂-Reduzierung, die zudem hohen Rückhalt in der Bevölkerung hätte.”

Schwieriger werde es, die verbleibende Lücke von 11 Millionen Tonnen CO₂  zu schließen. “Um diese große Menge sofort einzusparen, bleibt nur eine drastische Verringerung der Fahrleistung von Pkw und Lkw. Dafür braucht es aber auch die entsprechenden Alternativen und Kapazitäten für den Personen- und Güterverkehr auf der Schiene sowie beim kommunalen ÖPNV.”

Resch nannte auch ein Ende der steuerlichen Absetzbarkeit von Dienstwagen mit hohem CO₂-Ausstoß und eine drastische Senkung der Nutzungsgebühr fürs Schienennetz – um eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene attraktiver zu machen. Messner nannte als zentrale Stellschraube die Elektromobilität. So sei eine Reform der Kfz-Besteuerung nötig, um den Kauf besonders klimaschädlicher Pkw zu verteuern.

Mit Material von dpa

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