FDP und Parteitag: Christian Lindner und seine verengte Partei
Partei der Besserverdiener? Christian Lindner wollte einst weg vom miesen FDP-Image. Mehr Empathie, breitere Themen, das war die Devise. Mit dem Fokus auf Wirtschaft vollzieht er nun eine Kehrtwende. Den Liberalen droht die Selbstverzwergung.
FDP und Parteitag: Christian Lindner und seine verengte Partei
Weltoffen und empathisch, so stellte sich die FDP in dem Trailer vor, den die Parteitagsregie zu Beginn des Wochenendes in Berlin abspielte: »Wir dürfen links sein, rechts sein, Mitte sein. Wir dürfen lieben, wie wir wollen, wir dürfen glauben, was wir wollen. Wir dürfen vegan essen, vegetarisch essen, Fleisch essen.«
Das liberale Vielfaltsversprechen wurde allerdings wenig später vom Parteivorsitzenden wieder kassiert. Dass Christian Lindner die Programmatik der Partei in der Wachstumskrise auf die Wirtschaftswende konzentriert, ist nicht nur aus FDP-Sicht richtig, es dient auch dem Wettbewerb der Ideen innerhalb der Ampelkoalition.
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Problematisch ist nicht das Ob, sondern das Wie der programmatischen Verengung. Deutlich wurde das bei Lindners Plädoyer für eine Steuerbefreiung für Überstunden. »Es mag Menschen geben, die von der Viertagewoche träumen«, sagte Lindner. »Aber es gibt auf der anderen Seite auch Menschen, die haben zusätzlichen Ehrgeiz.«
Damit zollte Lindner nicht allen Lebensentwürfen den gleichen Respekt. Zwar räumte der FDP-Chef ein, dass es schwierige Jobs gibt, die keinen Spaß machen. Aber sein Weltbild wurde deutlich: Die Viertagewoche bezeichnet er als Traum; Menschen mit dem Wunsch, unbedingt Überstunden zu machen, bezeichnete er als Tatsache.
Schädliches Gerede von »spätrömischer Dekadenz«
Nach dem Rauswurf aus dem Bundestag 2013 zog der damals neue Parteichef Lindner eine Lehre aus der tiefsten Krise der Partei – weg von der in der Ära von Guido Westerwelle erfolgten thematischen Verengung auf Steuer- und Wirtschaftsthemen. Haften blieb ein Satz, mit dem Westerwelle 2010 während der schwarz-gelben Koalition die Sozialdebatte um Hartz-IV-Empfänger angefacht hatte: »Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, der lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.«
Davon suchte sich Westerwelle in späteren Jahren zu distanzieren, weil er die FDP zu einer Partei arroganter Wohlhabender verengte. Schon einmal hatte in den Neunzigerjahren der Kurzzeit-Generalsekretär Werner Hoyer einen verbalen Aufschlag gemacht, an dem die Partei lange zu tragen hatte: »Wir sind die Partei der Besserverdiener, weil wir wollen, dass alle besser verdienen.«
Von solchen Zuschreibungen, die politische Gegner weidlich zu nutzen wussten, wollte Lindner weg. In einem bis heute gültigen, erst vor vier Jahren überarbeiteten Leitbild der Bundespartei taucht ein Schlagwort auf, das die Liberalen weicher zeichnen sollte: »Empathisch« solle die FDP sein. Bildung, Innovation, Digitalisierung wurden in den Vordergrund geschoben; die Wirtschafts- und Steuerthemen blieben vorhanden, aber nicht mehr so präsent wie in den vergangenen Jahren.
Die FDP könnte die Fünfprozenthürde unterqueren
Die FDP solle nicht nur die »High-Performer« ansprechen, sagte der frühere Juli-Vorsitzende und heutige Bundestagsabgeordnete Jens Teutrine 2021 dem SPIEGEL: »Ein Teil unserer Gesellschaft hat ein hedonistisches Freiheitsverständnis, davor sollte man nicht die Nase rümpfen.«
Es war ein Versuch der inhaltlichen und emotionalen Verbreiterung, der auch seinen Anteil an besseren Wahlergebnissen hatte und sich in der Rückkehr in den Bundestag niederschlug. 2017 erreichte die Partei 10,7 Prozent, vier Jahre später sogar 11,5 Prozent.
Das Mitwirken an der Ampel aber hat der FDP nicht gutgetan. Seit Beginn der Regierungsbeteiligung gab es auf Landesebene teils schwere Niederlagen, im Bund sieht es schwierig aus. In einer jüngsten ZDF-Umfrage rangiert die FDP bei vier Prozent – und wäre damit nicht mehr im Bundestag.
Die Konzentration auf Wirtschaftsthemen ist die scheinbar logische Konsequenz einer Partei, die um ihr Überleben kämpft. Sie versucht, der ohnehin traditionell schmalen Basis der FDP-Kernwählerschaft Angebote zu machen.
Hier die Leistungsbereiten, dort die Müßiggänger
Ob das aufgeht, bleibt eine spannende Frage. Denn mit seiner Rhetorik etwa gegen eine Viertagewoche hat Lindner eine Debatte zugemacht, die eine liberale Partei durchaus führen müsste: Wie können neue individuelle Lebensentwürfe in einer alternden Gesellschaft mit den Erfordernissen der Unternehmen zusammengebracht werden? Wo und in welchen Branchen wären sie sinnvoll, wo nicht? Gerade unter den jüngeren Menschen in dieser Republik wandelt sich die Einstellung zur Arbeit und dem, was es daneben auch noch gibt.
Die FDP hatte 2021, zusammen mit den Grünen, die stärksten Erfolge bei den Erstwählerinnen und Erstwählern. Hier verpasst sie womöglich den Anschluss an ein gesellschaftliches Thema, mit dem sich deutsche Unternehmen längst beschäftigen müssen: wie sie Personal halten und gewinnen auf einem schwierigen Arbeitsmarkt.
Stattdessen aber greift Lindner zu rhetorischen Mustern, die im Tenor an die Westerwelle-Ära erinnern: hier die Leistungsbereiten, dort die Müßiggänger.
An sich selbst stellt Lindner dabei offenbar andere Ansprüche als an andere. Im Gespräch mit dem ehemaligen Elitesoldaten und heutigen Unternehmer Ottogerd Karasch sagte der FDP-Chef neulich in seinem Podcast »CL+«, man müsse die Idee, dass zumutbare Arbeit angenommen werden muss, stärker durchsetzen. Dabei ging es um die Empfänger des Bürgergelds.
An anderer Stelle sprach er darüber, wie man ein erfülltes Berufsleben führt. Dabei wählte Lindner für sich ein Motto, von dem viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land nur träumen können: »Das Leben ist zu kurz, um Dinge zu machen, die man eigentlich nicht mag.«