Europawahlen: Was die Frau, die undercover bei der "Identitären Bewegung" war, dort über Rechte gelernt hat
Die Anthropologin Julia Ebner schleuste sich zu Forschungszwecken bei radikalen Bewegungen ein. Sie sieht erstaunliche Parallelen zwischen Rechtsextremen und Islamisten.
Während zahlreiche Menschen gegen die AfD protestieren, steigt die Zustimmung zu der rechtspopulistischen Partei in der jungen Generation. Bei den 14– bis 29-Jährigen mit Parteipräferenz und Wahlabsicht findet die AfD Zustimmungswerte von 22 Prozent, so die Studie „Jugend in Deutschland“. Dass junge Menschen verstärkt rechts wählen, ist nicht nur ein deutsches Phänomen – der Trend zeigt sich in vielen Staaten der EU.
Die Wissenschaftlerin Julia Ebner sagt, dass junge Menschen eine diffuse Ungerechtigkeit und Abstiegsangst fühlten. Die rechtspopulistischen Bewegungen seien gut darin, in sozialen Medien diese Ängste zu bedienen. Einmal angelockt, sei es schwer, aus den rechten Kreisen wieder herauszukommen – auch wegen der Ausgrenzung durch den Rest der Gesellschaft.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Frau Ebner, Sie sind als Wissenschaftlerin dadurch bekannt geworden, dass Sie sich zu Forschungszwecken undercover in Gruppen der sogenannten Neuen Rechten eingeschleust haben, unter anderem in die „Identitäre Bewegung“ um den Österreicher Martin Sellner. Gibt es aktuell eine rechte Bewegung, die Sie besonders gern mal unerkannt von innen erleben würden?
Tatsächlich würden mich derzeit vor allem politische Gruppen interessieren, die eher versuchen, den Mainstream anzusprechen, und sich dabei auch an Strategien und Taktiken der Neuen Rechten orientieren. Das wären für mich zum Beispiel die deutsche AfD oder die FPÖ in Österreich.
Was wir im Moment erleben, ist eine Welle der Beliebtheit von rechtspopulistischen Bewegungen bei jungen Wählerinnen und Wählern fast überall in Europa. Nun steckt ja nicht in jedem jungen Wähler der AfD oder des Rassemblement National gleich ein Rechtsextremist, oder?
Es gibt natürlich auch viele junge Menschen, die aus Protest rechts wählen und ideologisch gar nicht so stark motiviert sind. Sie empfinden eine diffuse Ungerechtigkeit oder Abstiegsangst, für die Rechtspopulisten ihnen eine Erklärung anbieten. Diese Protestwähler laufen aber dann Gefahr, sich schrittweise zu radikalisieren.
Warum ist das so?
Wer rechts wählt, sieht sich von der Gesellschaft oft in eine Schublade gesteckt, stößt auf Ablehnung in seiner Umgebung. Dass kann dazu führen, dass man zunehmend nur noch mit Gleichgesinnten verkehrt, sich gegenseitig in seinem Weltbild bestärkt und sich dadurch nach und nach radikalisiert. Rechte Gruppen arbeiten sehr bewusst mit dem Anreiz: Bei uns kriegst du die Anerkennung, die dir anderswo versagt bleibt. Das ist fast wie ein Lock-in-Effekt, aus dem man nur schwer wieder herauskommt, weil man emotional schon so viel investiert hat.
Die Bedingungen für die junge Generation sind in Europa sehr unterschiedlich. In Spanien zum Beispiel herrscht hohe Jugendarbeitslosigkeit, in Deutschland nahezu Vollbeschäftigung. Trotzdem wählen junge Menschen überall in Europa verstärkt rechts. Reichen Ungerechtigkeit und Abstiegsangst wirklich als Erklärung aus?
Es gibt reale ökonomische Ungerechtigkeiten, keine Frage, etwa der wachsende Gegensatz zwischen Arm und Reich in vielen europäischen Ländern. Andere fühlen sich eher in soziokultureller Hinsicht benachteiligt, etwa durch die zunehmende Anerkennung von Minderheiten. Sie merken daran schon: Für den Erfolg von rechten Bewegungen ist es nicht entscheidend, ob eine Ungerechtigkeit objektiv besteht oder nur subjektiv empfunden wird. In der rechten Kommunikation werden daher bewusst häufig Beispiele aus anderen Ländern verwendet, um Ängste auszulösen und zu fragen: Wird es bei uns bald auch so aussehen?
Welche Rolle spielen dabei soziale Medien?
Eine sehr große. Viele rechte Bewegungen sind sehr gut darin, mit eigenen Accounts bei Tiktok oder anderen Plattformen und eigens kreierten Memes junge Zielgruppen anzusprechen. Die Rechten bieten im Netz Entertainment und Gamification, sie gelten bei vielen jungen Menschen als cool. So wie in früheren jungen Generationen linke Bewegungen cool waren.
Bundeskanzler Olaf Scholz ist jetzt auch auf Tiktok. Hilft das?
Prinzipiell ist es zumindest keine schlechte Idee, junge Wähler auch außerhalb der traditionellen Medienformate zu erreichen. Leider beziehen ja viele in der jüngsten Generationen ihre Informationen hauptsächlich von Social Media.
Haben Sie sonst noch Handlungsempfehlungen für die etablierte Politik?
Ein ganz wichtiger Punkt wäre es, im Bildungsbereich die Schnittstelle zwischen Psychologie und Digitalkompetenz zu behandeln. Junge Menschen müssen wissen: Wie wirken digitale Räume auf mich, was machen sie mit meiner Identität? Wie lassen sich diese Mechanismen missbrauchen, um mich zu manipulieren?
Wer rechts wählt, sieht sich von der Gesellschaft oft in eine Schublade gesteckt, stößt auf Ablehnung in seiner Umgebung.
Dann gilt es, die Sprache zurückzuerobern. Ursprünglich positiv besetzte Begriffe wie „Globalisierung“ oder „Diversität“ sind von den Rechten ins Negative gedreht worden. Umgekehrt haben sie Begriffe wie „Freiheit“ oder „Demokratie“ für sich gekapert. Sie nehmen zum Beispiel Meinungsfreiheit für sich in Anspruch, hetzen aber gegen Journalisten, die ihr Recht auf unabhängige Berichterstattung wahrnehmen. Sie geben sich demokratisch, untergraben mit ihrer Propaganda aber demokratische Institutionen.
Sie haben auch zu islamistischen Bewegungen geforscht, die für viele Rechtsextreme ein Feindbild sind …
… die tatsächlich aber viele Parallelen in den Narrativen und Weltbildern aufweisen. Etwa die Idee eines unvermeidbaren Konflikts auf Ebene der Religionen oder Kulturen; dann der Traum von einer religiös beziehungsweise ethnisch homogenen Gesellschaft, die sich nicht wandelt; der Glaube an antisemitische Verschwörungstheorien; und natürlich die Verklärung heterosexueller Männlichkeit gepaart mit der Abwertung von Frauen und sexuellen Minderheiten. Islamisten und Rechtsextreme sind sich ähnlicher, als beide Gruppen wahrhaben wollen.
Haben Sie bei Ihren Undercover-Recherchen im rechtsextremen Milieu eigentlich jemals Angst um Ihr Leben gehabt?
Nicht bei meinen Treffen mit der Identitären Bewegung selbst. Die ist zu sehr auf ihre Reputation bedacht, als dass man dort gewalttätig geworden wäre, wenn meine Identität herausgekommen wäre. Angst hatte ich eher nach der Veröffentlichung meiner Arbeit vor dem Kreis der Fans und Sympathisanten, in dem es durchaus Gewaltbereitschaft gibt. Das sieht man zum Beispiel an den Verbindungen des Attentäters von Neuseeland zur Identitären Bewegung.
Frau Ebner, vielen Dank für das Interview.