Christiane Karg und Robin Ticciati mit Dvořáks „Rusalka“ in Berlin

christiane karg und robin ticciati mit dvořáks „rusalka“ in berlin

Kein Waldsee, nirgends: Rebecka Wallroth (Zweite Elfe), Regina Koncz (Erste Elfe), Ekaterina Chayka-Rubinstein (Dritte Elfe), Christiane Karg (Rusalka) und Pavel Černoch (Prinz)

Es gibt viele ironische Momente in dieser neuen „Rusalka“ der Berliner Staatsoper. Auch das Allerheiligste aller Dvořák-Getreuen wird dabei nicht geschont: Die Nixe singt den Schluss ihres Mond-Sehnsuchtsliedes vom Klodeckel aus, und der Wassermann fegt während seiner tief resignierten Klagearie eine Ladung WG-Müll unter die Couch. Man kann solche hämischen Pointen in der Regie Kornél Mundruczós durchaus genießen; problematisch sind sie trotzdem. Ist doch diese Oper, uraufgeführt 1901 als Werk eines knapp Sechzigjährigen, ein später Spross des romantischen Jahrhunderts – illusionslos zwar, aber mit allen literarischen und musikalischen Fasern an dessen Motive und Träume gebunden. Wenn man, wie hier, die Romantik austreibt und nur die Desillusionierung übrig lässt, kippt die Balance; es entsteht ein Stück, das Dvořák und sein Librettist nicht gemeint haben dürften.

Wobei Mundruczó und sein Team auch mit solchen Rückbezügen spielen: Wer den Beginn der Oper mit seinen drei Nass-Elfen plus Wassermann nur hört, wird eher nicht an Wagners tütteligen Alberich und die kapriziösen Rheintöchter denken; wer es aber in dieser Inszenierung nicht tut, ist sozusagen selbst schuld. Freilich wird mit dieser Szene zwischen dem etwas an- (und bald auch ab-)gekotzten älteren Herren und drei notfröhlichen Vertreterinnen des akademischen Prekariats in einer anarchisch überquellenden Erdgeschoss-Gemeinschaftsküche auch schon ein Ton elegant oberflächlicher Sozialbetrachtung angeschlagen, der Witz, Provokation, gar Nachdenklichkeit bespielen mag, nur eines nicht: irgendwelche Poesie – mag man sie nun „romantisch“ nennen oder nicht. Gestützt wird das durch Monika Pormales tüftelig pedantische Milieubilder; man könnte die Zahnbürsten im Badezimmer durchzählen, sofern denn nur die Sehkraft hinreicht.

Sängerisch sorgt die Deklassierten-Kommune für einen sehr gelungenen Einstieg. Regina Koncz, Rebecka Wallroth und Ekaterina Chayka-Rubinstein flirten und funkeln; dem Wassermann aber, komplett abgetörnt und trotzdem weiter em­pathiefähig, gibt Mika Kares – endlich wieder ein finnischer Kraftbass in der Nachfolge von Matti Salminen – bitter dröhnendes Mit-Leiden und eine tapfer hilflose Restwürde in Stimme und Spiel. Weniger Präsenz gewinnen Anna Samuil als Fürstin mit kühler Nervosität – und leider auch Pavel Černoch als Rusalkas rückhaltlos angebeteter Traumprinz, der das Penthouse-Obergeschoss des Anwesens bewohnt und seine Weltsicht unter anderem über ein Jungmannen-Bild à la Norbert Bisky kundtut. Wohl singt sich der Tenor nach gehemmtem Einstieg zunehmend frei und entfaltet einigen lyrischen Wohllaut, ohne aber zu einem prägenden oder auch nur interessanten Charakter zu werden.

Was indessen will er tun in einer Inszenierung, die die ganze Menschenwelt oben als öden Schickimicki-Käfig und damit wieder nur als Kippfigur zu den Neurosen und Frustrationen im Parterre zeichnet? Wo sie ausschließlich in ihrer krittelnden Sozialpathologie stecken bleibt und alles Geträumte, Meta-Alltägliche allenfalls behauptet, aber nicht durchlitten wirkt, kommt sie an ihre Grenzen und schlägt in ödes Demonstrationstheater um.

Wo kommen all die Aale her?

Das ist so bei den grobklotzigen, auch stimmlich robust ausgetragenen Manipulationsaktionen der Ježibaba (Anna Kissjudit) an dem zarten Elfenmädchen; springt einen an in der Metapher der aus allen Abfluss-, Tür- und Deckenöffnungen herausringelnden Aale, brauchbar auch als Ersatz-Gummiknüppel wie als Aufgeil- und Fesselungsinstrumente; und erreicht einen Tiefpunkt, wenn Rusalkas Verstummen angesichts der ihr fremden Welt mit einer Art aufgemaltem Maulkorb zusätzlich auch noch optisch demonstriert wird. Wieso, weshalb, warum? – Da kann einer nun viel fragen und bleibt trotzdem dumm . . . Man muss ja fast gar nichts wörtlich nehmen in diesem bitter ernsten „lyrischen Märchen“. Aber es ernst nehmen in seiner Substanz, gerade in deren Dekon­struktion: das dürfte man schon.

Einer, der das in seinem Geltungsbereich tut, ist Robin Ticciati als Staatskapellen-Debütant: anderswo längst opernerfahren, hier nun mit einer noch nicht perfekt koordinierten, aber sängerfreundlich und in großen Bögen fließenden Dirigierleistung. Vor allem aber ist es Christiane Karg in der Titelpartie, die dem Abend Ausstrahlung verleiht: ein zartes, gefährdetes Persönchen, dünnhäutig und überall, sogar mit ihrer eigenen Sehnsucht, fremdelnd – auch das Mondlied kommt erst einmal flackernd gebrochen; später, in den dramatischen Wortwechseln, wird sie immer eindringlicher und schließlich im Schlussduett, drunten im Hauskeller zur gruseligen schwarzen Riesenmade mutiert, als Gestalt wie Stimme ganz ihrer selbst sicher. Hier, wo innere Wahrheit über äußere Abscheulichkeit triumphiert, gewinnt auch die Inszenierung nach allen Albernheiten und Peinlichkeiten noch einige Größe – ein Ende, das nicht alles, aber manches gutmacht.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World