Rückschläge in der Ökumene: Gemeinsam verschieden ist auch gut

rückschläge in der ökumene: gemeinsam verschieden ist auch gut

Kreuz und Panzersperre: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, und der EKD-Ratsvorsitzende, Heinrich Bedford-Strohm, feiern im März 2017 in Hildesheim einen Gottesdienst anlässlich des Reformationsjubiläums.

An diesem Samstag wird in Rüdesheim am Rhein die Ökumene zu Grabe getragen. Nicht der bewährte gemeinsame Alltag von Katholiken und Protestanten in unzähligen Gemeinden, aber jene Ökumene, die Spitzenvertreter der beiden großen Kirchen in Deutschland jahrzehntelang besonders gepflegt haben: die der großen theologischen Visionen. Beerdigt wird sie vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und der amtierenden EKD-Ratsvorsitzenden. Zum letzten Mal eröffnen Bischof Georg Bätzing und Bischöfin Kerstin Fehrs mit einem gemeinsamen Gottesdienst im Sankt Vincenzstift die „Woche für das Leben“ als ökumenische Veranstaltung.

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Die EKD will nicht mehr mitmachen, vom kommenden Jahr an wird die Woche wieder das, was sie ursprünglich einmal war: ein rein katholisches Projekt. Damit endet nach 30 Jahren eine der ältesten ökumenischen Initiativen. Beide Kirchen wollten damit einen gemeinsamen „Beitrag zur Bewusstseinsbildung für den Wert und die Würde des menschlichen Lebens“ leisten angesichts der neuen Abtreibungsregelung in Deutschland. Aber es ging dabei auch um Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftige und ein Sterben in Würde. Das Motto in diesem Jahr lautet „Generation Z(ukunft): Gemeinsam. Verschieden. Gut.“ Im Mittelpunkt sollen junge Menschen mit Behinderungen stehen.

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Viel Aufwand, wenig Resonanz

Der Dreiklang „Gemeinsam. Verschieden. Gut.“ taugt auch als Zustandsbeschreibung der Ökumene. Man muss das „gut“ nur etwas tiefer intonieren, im Sinne eines „Um diese Tatsachen kommen wir nicht herum“. Denn um die offizielle Ökumene ist es schon seit einiger Zeit schlecht bestellt, die Entfremdung auf beiden Seiten wächst. Die „Woche für das Leben“ ist nur ein Beispiel dafür. Auf dem Kirchentag in Nürnberg etwa ließ sich im Juni 2023 nur ein katholischer Bischof sehen, Georg Bätzing. Ein Jahr zuvor hatte die EKD die jahrelange Praxis beendet, die Kirchenaustrittszahlen gemeinsam mit der Bischofskonferenz vorzustellen. Im selben Jahr bezeichnete die damalige EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus es als „nicht hilfreich“ für die Ökumene, dass Protestanten wegen Kardinal Woelki aus der Kirche austräten.

Anlass für den Ausstieg der EKD aus der „Woche für das Leben“ war deren geringe Resonanz. Die Veranstaltungsreihe wurde in den Kirchenämtern mit viel Aufwand vorbereitet, fand aber an der Basis und in der Öffentlichkeit immer weniger Anklang. Das bisherige Format habe sich offenkundig überlebt, hieß es aus der EKD. Für die Bischofskonferenz kam die Entscheidung unerwartet, offiziell hieß es, man sei „traurig“, hinter vorgehaltener Hand war man verärgert.

Kontroverses Papier der Bischofskonferenz

Im Hintergrund spielte bei der Entscheidung der EKD auch eine Rolle, dass es zunehmende Differenzen zwischen den Kirchen in den großen Fragen der Bio- und Medizinethik gibt. Bei der geplanten Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Ampelkoalition tritt diese Entwicklung grell zutage: Die von der Bundesregierung eingesetzte „Kommission für reproduktive Selbstbestimmung“ hatte im vorigen Jahr Stellungnahmen der Kirchen eingeholt.

Die Deutsche Bischofskonferenz positionierte sich dabei klar gegen das Ansinnen, den Schwangerschaftsabbruch zu liberalisieren und künftig außerhalb des Strafrechts zu regeln. „Beim vorgeburtlichen Leben handelt es sich von Anfang an um individuelles Leben, das nach christlicher Auffassung Anspruch auf den gleichen Schutz seines Lebens hat und dem die gleiche Würde zukommt“, heißt es in dem Papier der Bischofskonferenz.

Die Bischofskonferenz stellte sich auch explizit gegen ein „abgestuftes Schutzkonzept“, also den Gedanken, den Schutz ungeborenen Lebens im Verlauf einer Schwangerschaft schrittweise zu erhöhen. Ebendies hatte aber die Stellungnahme der EKD ins Spiel gebracht, die sich für eine „kontinuierliche Zunahme des Lebensrechts des Ungeborenen“ und eine „abgestufte Fristenkonzeption“ aussprach.

Untergründig gibt es zwischen beiden Kirchen schon seit Jahrzehnten eine Differenz in der Bewertung des ungeborenen Lebens. Die römische Kirche argumentiert, dass ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle der volle Würdeschutz gelten muss. Dies lässt wenig Raum für spätere Güterabwägungen, bei denen dann auch das Selbstbestimmungsrecht der Frauen zum Tragen kommt. Dieses im Kern naturrechtliche Argumentationsmuster hatte in der evangelischen Ethik auch schon früher kaum Anhänger. Nur führten die dortigen Abwägungen bislang zu einem Ergebnis, das zumindest in den kirchenamtlichen Papieren keinen großen Dissens zwischen den Konfessionen ergab. Mit der EKD-Stellungnahme vom Oktober gibt es nun konträre politische Zielvorstellungen.

EKD gegen „Doppelbriefkopfökumene“

In der Frage des assistierten Suizids hatte sich diese Entwicklung 2021 bereits abgezeichnet: Der damalige EKD-Ratsvorsitzende, Heinrich Bedford-Strohm, wollte im EKD-Rat wieder eine Haltung durchzusetzen, die zwar nicht auf der naturrechtlichen Argumentation der katholischen Ethik fußt, aber letztlich zu einem ähnlichen Ergebnis führt. Bedford-Strohms Ziel war es, dass sich beide Kirchen gegenüber den Parteien gemeinsam klar für den Vorrang des Lebensschutzes einsetzen. Einflussreiche Theologieprofessoren und der damalige Diakoniepräsident Ulrich Lilie stellten sich jedoch öffentlich gegen dieses Ansinnen. In einem Gastbeitrag in der F.A.Z. traten sie dafür ein, den assistierten Suizid auch in kirchlichen Einrichtungen zuzulassen oder gar anzubieten.

Schon hier zeigte sich, dass starke Kräfte in der EKD eine Liberalisierung der medizinethischen Positionen für geboten halten und von der „Doppelbriefkopfökumene“ abrücken, mit der die beiden Kirchen bisher ihre politische Durchsetzungskraft erhöhten. Welchen Sinn ergibt dann aber die „Woche für das Leben“, wenn der dort zelebrierte Konsens gar nicht mehr existiert? Es werde zwar weiter fachliche Gespräche geben, heißt es aus der EKD. Die Differenzen seien allerdings so offenkundig, dass gemeinsame öffentliche Auftritte das falsche Zeichen seien.

Deutschland wird immer säkularer

Zugleich regt sich innerhalb der EKD aber auch Widerstand gegen zu starke Positionsverschiebungen. Der württembergische Landesbischof Gohl protestierte gegen das Aus für die „Woche für das Leben“, die im Südwesten nun auf regionaler Eben weiter fortgesetzt werden soll. Gohl kritisierte auch das Papier zum Schwangerschaftsabbruch. Und es mehren sich die Hinweise darauf, dass die EKD in den möglicherweise anstehenden Beratungen über eine gesetzliche Neuregelung mit einer veränderten Position auftreten wird. Denn längst nicht nur Gohl vertritt intern die Auffassung, dass das Papier von Oktober keine hinreichende biblisch-theologische Begründung hatte. Eine neue Kommission unter Beteiligung von Gohl soll hier nachbessern. Im Ergebnis könnte der ethische Graben zwischen den Kirchen an dieser Stelle wieder etwas schmaler werden.

Stärker wird hingegen eine unfreiwillige Ökumene: die gemeinsame Defensive angesichts einer wachsenden Säkularisierung in Deutschland. Der konfessionelle Religionsunterricht ist zwar über die Verfassung abgesichert. Zugleich ist aber unübersehbar, dass seine Plausibilität in der Gesellschaft und nicht zuletzt an den Schulen sinkt und es dort angesichts von immer mehr konfessionslosen und muslimischen Schülern schwerer fällt, die erforderlichen Klassengrößen zu erreichen.

Missbrauch ist für beide ein Problem

Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Kirchen scheint geboten und nimmt in Gestalt des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts inzwischen selbst im Erzbistum Köln Fahrt auf. In Niedersachsen planen die Kirchen sogar die Einführung eines gemeinsamen christlichen Religionsunterrichts. Das Vorhaben der Ampelkoalition, die Staatsleistungen abzulösen, hätte ebenfalls beide Kirchen betroffen. Aufgrund des Widerstands der Länder gilt das Projekt politisch einstweilen als gescheitert.

Die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt hat zwar für beide Kirchen unterschiedliche Risikofaktoren zutage gefördert. Die Zeiten, in denen protestantische Funktionsträger glaubten, es handele sich primär um ein katholisches Problem, dürften seit der Ende Januar vorgelegten ForuM-Studie zur evangelischen Kirche endgültig obsolet sein. Beiden Kirchen stehen noch Jahre einer schmerzhaften und auch kostspieligen Vergangenheitsbewältigung bevor. In Kombination mit sinkenden Einnahmen aus der Kirchensteuer dürften scharfe Struktur- und Spardebatten auf allen Ebenen die Folge sein. Bisher fiel es den Landeskirchen auf evangelischer Seite und den Diözesen auf katholischer Seite schon schwer, diese Prozesse untereinander abzustimmen und koordinierte Vorbereitungen für den Wegfall bisheriger Strukturen zu treffen.

„Eine evangelische Kirche genügt“

Eine ökumenische Abstimmung darüber, an welchen Orten künftig kirchliche Einrichtungen vorgehalten werden, liegt in noch weiterer Ferne. Die anstehenden Kürzungen drohen sich vielmehr auf Kosten der gewachsenen und bewährten ökumenischen Zusammenarbeit zu vollziehen, die sich vielerorts etabliert hat. Die kürzlich vorgestellte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, an der sich erstmals auch die katholische Kirche beteiligte, machte jedoch deutlich, dass sich eine große Mehrheit in beiden Kirchen nicht nur eine Fortsetzung dieser Zusammenarbeit, sondern sogar eine Verstärkung wünscht. Unbeschadet der Tatsache, dass beide Kirchen in ihrer Lehre und Aufbau unterschiedlichen theologischen Grammatiken folgen, hat eine „Ökumene der Profile“, wie sie einst der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber anstrebte, kaum Rückhalt in der Bevölkerung.

Fortschritte in der Ökumene attestierte in den vergangenen zwei Jahren nur eine Person den beiden Kirchen: Papst Franziskus. In Deutschland gebe es schon eine sehr gute evangelische Kirche, zwei davon brauche mache nicht, lautete sein vergiftetes Lob im Juni 2022. Gemünzt war es auf die Reformvorhaben des „Synodalen Weges“. Dabei hat Franziskus selbst durchaus einen Beitrag zur Ökumene geleistet. 2018 erlaubte er, dass evangelische Ehepartner unter bestimmten Bedingungen gemeinsam mit ihrem katholischen Ehepartner die Kommunion empfangen können, wie es die deutschen Bischöfe beschlossen hatten. Das war zwar viel weniger als die gegenseitige Einladung von Katholiken und Protestanten zu Eucharistie und Abendmahl, die manche erhofft hatten – und doch ein beachtlicher Fortschritt.

Nur noch ökumenische Poesie?

Aber inzwischen herrscht wieder Stillstand. Das liegt weniger am Papst selbst als an dessen Ökumenebeauftragten, Kardinal Kurt Koch. Spätestens seit er im Herbst 2022 eine Parallele zwischen den Deutschen Christen im Dritten Reich und dem „Synodalen Weg“ zog, ist auch das Tischtuch zwischen Koch und der Mehrheit der katholischen Bischöfe zerrissen.

Die Entfremdung auf der Leitungsebene beider Kirchen ließ den Graben zum visionär gestimmten Ton der Ökumenepapiere immer größer werden. „Sichtbare Einheit“ lautet deren Leitbegriff seit Jahrzehnten, eine katholische Formel. Was darunter genau zu verstehen ist, wusste zuletzt nicht einmal mehr der katholische Ökumenebischof Gerhard Feige. Zum Luther-Jubiläums 2017 wurde sie zwar mit der etwas weniger ambitionierten evangelischen Zielvorstellung der „versöhnten Verschiedenheit“ zur Formel „Sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ verschmolzen. Aber die Frage blieb: Wie kann man an diesem weitgesteckten Ziel festhalten, ohne die Gläubigen in den Gemeinden zu enttäuschen und ins Reich ökumenischer Poesie abzugleiten?

Das im März veröffentlichte Ökumenepapier der beiden Kirchen versucht, darauf eine Antwort zu geben. Bemerkenswert war, dass es nicht vom bisher zuständigen Ökumenischen Arbeitskreis formuliert wurde, was dort zu Verstimmung führte. Statt um Abendmahl, Amtsverständnis und Bioethik geht es um Religionsunterricht, Flüchtlingshilfe und Gottesdienste zum Valentinstag. Im Zentrum steht die Praxis, wie Katholiken und Protestanten Ökumene im Alltag hier und heute schon leben. Das neue Zauberwort heißt „prozessorientierte Ökumene“. Übersetzt bedeutet das so viel wie: Der Weg ist das Ziel – wenigstens vorläufig. Der Titel des Papiers ist deutlich bescheidener formuliert als die seiner Vorgänger: „Mehr Sichtbarkeit in der Einheit und mehr Versöhnung in der Verschiedenheit“. Eine Ökumene der kleinen praktischen Schritte. Zur neuen Kardinaltugend erklärt das Ökumenepapier eine „engagierte Nüchternheit“.

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