«Entsteht aus Tantra eine Sekte, ist Missbrauch vorprogrammiert»
Eine Recherche bringt neue Details zu Atman ans Licht, einer sektenähnlichen Yoga-Sex-Bewegung. Eine Spur führt in die Schweiz. Ein Experte erklärt, wieso es in der Yoga- und Tantraszene so oft zu Missbrauch kommt.
Mit verklebten Sonnenbrillen und grossen Hüten werden die Frauen zum Haus des Gurus, Gregorian Bivolaru, in der Nähe von Paris gefahren. Ohne zu wissen, wo sie sind, trinken sie ein unbekanntes Getränk. Danach hat der Guru stundenlang Sex mit ihnen. «Sexuelle Initiation» wird das Ganze genannt, wie neue Recherchen des Bayrischen Rundfunks zeigen.
Die Vorfälle rund um die Yogabewegung Atman reichen teils 30 Jahre zurück. Guru Bivolaru wurde aber erst letzten November in Frankreich festgenommen, die Ermittlungen dauern bis heute an. Wie viele Frauen für diese Rituale nach Paris gebracht worden sind und welche mutmasslichen Verbrechen sonst noch begangen wurden, wird sich noch zeigen. Bivolaru wurde wegen Menschenhandels verhaftet, für ihn gilt die Unschuldsvermutung.
«Sexuelle Übergriffe sind im Neo-Tantra relativ häufig»
Georg Otto Schmid ist Experte, wenn es um Sekten geht. Er hat sich auch mit der Neo-Tantra-Szene beschäftigt. Er sagt: «Grundsätzlich gilt es, zwischen Tantra und Sekten zu unterscheiden.» Was im Neo-Tantra relativ häufig vorkomme, seien sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch vonseiten der Lehrer. «Auch wenn heute grösstenteils Konsens darüber herrscht, dass Lehrer und Lernende keinen Sex haben, war das vor 20 oder 30 Jahren noch ganz anders. Da war es teils von den Schülerinnen und Schülern gewünscht, mit ihren Lehrern Sex zu haben, um etwas zu lernen.»
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In einer Gruppe, in der die Sexualität einen so zentralen Platz einnehme wie im Tantra, lägen Missbrauchsstrukturen nahe: «Es muss eine Abgrenzung stattfinden, was noch okay ist und was nicht. Das ist schwierig und wenn es nicht sauber gemacht wird, kommt es schnell zum Missbrauch», sagt Schmid.
«Was Atman macht, ist nicht einfach nur Tantra»
Zu Bewegungen wie Atman sagt Schmid: «Das ist nicht einfach nur Tantra. Wenn Frauen gezielt zu einem Guru gebracht werden, damit dieser mit ihnen Sex haben kann, hat das klar sektenartige Züge.» Aus einer Tantragruppe müsse längst nicht eine Sekte entstehen und Sekten könnten auch aus jeder anderen religiösen oder weltanschaulichen Bewegung heraus entstehen. Aber: «Entsteht aus Tantra eine Sekte, ist sexueller Missbrauch leider oft vorprogrammiert.»
Dass zumindest ein Teil dieser Handlungen von den Frauen erst freiwillig vollzogen und erst später als Missbrauch beschrieben wird, hat laut Schmid Gründe: «Es beginnt ja nie mit dem Missbrauch. Erst ist es vielleicht Yoga, dann nähert man sich Tantra an und rutscht Stück für Stück weiter da hinein. Oft auch als Gruppe.»
Typisch für Sekten sei auch, dass die Opfer sich teilweise auch dann nicht als solche sehen, wenn der Guru überführt und verhaftet wird. «Auch wenn völlig klar ist, dass solche Strukturen nicht vorkommen dürfen: Gerät man als Opfer durch Manipulation und Machtmissbrauch dort hinein, kann die Wahrnehmung eine andere sein. Trotzdem darf man den Opfern keinen Vorwurf machen.»