Reisners Blick auf die Front: "Das könnte den Russen ermöglichen, durchzustoßen"

Aktuell gibt es Hinweise, dass die Russen eine neue Offensive in der Ukraine planen. Ein Szenario sind Luftlandetruppen, die mit Hubschraubern hinter die Front gebracht werden.

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Markus Reisner: Ja, die gibt es. Ein zentraler Hinweis ist, dass die russischen Regionalkommandos entlang der Front offensichtlich versuchen, zusätzliche Kräfte zusammenzuziehen. Anhaltspunkte gibt es im Nordosten der Ukraine: Die Bombardierungen im Raum Charkiw und nordöstlich davon in den vergangenen zwei Wochen dienen möglicherweise dazu, eine Art Vorbereitungsoperation durchzuführen für einen möglichen Einmarsch russischer Truppen in diesen Raum. Zweitens haben die Russen begonnen, spezielle Einheiten der Luftlandekräfte aufzustellen, von denen man annimmt, dass diese hinter den ukrainischen Verteidigungsstellungen eingesetzt werden könnten, um den Russen dort die Möglichkeit zu geben, Durchbrüche zu erzielen, die sie bis jetzt nicht erzielt haben.

Beides sind Vermutungen. Wir haben keine Beweise, dass diese Vorbereitungen tatsächlich laufen.

Diese Luftlandetruppen sollen der russischen 58. Armee, die im Süden der Ukraine eingesetzt ist, unterstellt werden. Diese könnten mit Hubschraubern hinter die ukrainischen Linien gebracht werden, dort absitzen, Gelände gewinnen, dieses zumindest zeitlich begrenzt verteidigen, um so die Ukraine zu zwingen, Reserven in der Tiefe einzusetzen. Das könnte den russischen Kräften an der eigentlichen Front ermöglichen, durchzustoßen.

Die Ukraine hat Ende letzten Jahres entschieden, von der Offensive in die Defensive zu gehen. Das wurde nicht nur durch Ankündigungen der politischen Führung, sondern vor allem durch sichtbare Maßnahmen vom Generalstab und von Oberbefehlshaber General Walerij Saluschnyj untermauert. Es war sofort zu erkennen, dass es entlang der gesamten Front zu massiven Ausbaumaßnahmen gekommen ist. Zusätzlich zu bereits bestehenden Verteidigungslinien wurden neue Linien angelegt. Das betrifft auch den Nordosten des Landes und den Raum Kiew. Hier bereitet sich die Ukraine bereits seit Wochen auf mögliche zukünftige russische Operationen vor, im Einsatz mit schwerem Pioniergerät, aber auch durch das Legen von Minen und den Bau von Hindernissen.

Die Ukraine hat eine ganze Bandbreite an verschiedenen Fliegerabwehrsystemen. Das Dilemma besteht darin, dass vor allem die Systeme mittlerer und hoher Reichweite nur in begrenzter Stückzahl zur Verfügung stehen. Diese Systeme werden vor allem zum Schutz der Städte und der Rüstungszentren eingesetzt. Gegen Hubschrauber sind vor allem sogenannte Manpads vorgesehen, also schultergestützte Flugabwehrsysteme. Von denen hat die Ukraine noch noch signifikante Menge verfügbar und die sind auch entlang der Front im Einsatz. Sie wirken auf kurze Reichweite und können gut gegen Hubschrauber eingesetzt werden. Denkbar wäre auch, dass es zu Umgruppierungen kommt, dass zum Beispiel einige der Gepard-Fliegerabwehrpanzer, die sich sehr erfolgreich gegen die iranischen Shaheed-Drohnen bewährt haben, auch entlang der Front eingesetzt werden, um mögliche Vorstöße der Russen abzuwehren.

Im Moment scheint es fast ausgeschlossen, dass ein derartiger Überraschungseffekt wirklich gelingen kann, denn die Ukraine hat ein funktionierendes Luftlagesystem, vor allem durch Unterstützung der NATO. Wenn zum Beispiel russische Bomber starten oder Drohnen sich auf den Weg Richtung Ukraine machen, wird das von den Radar- und Fliegerabwehrsystemen in der Ukraine erkannt. Die Daten werden dann in einem sogenannten Recognized Air Picture zusammengefasst. Dieses RAP enthält alle Daten, die man braucht, um Abwehrmaßnahmen durchzuführen. Auch eine Bewegung von Hubschraubern würde rechtzeitig erkannt und könnte dann bekämpft werden. Ob die ukrainische Armee dabei erfolgreich ist, hängt aber davon ab, ob sie an der konkreten Stelle dann auch Reserven verfügbar hat, die sofort zur Abwehr eingesetzt werden können.

Das ist tatsächlich eine prekäre Situation. Man sieht das anhand der Drohnenvideos. Der Fluss Dnipro beginnt zum Teil zuzufrieren, und vor allem die Kanäle, die sich nördlich und nordwestlich von Krynky befinden, frieren langsam zu. Dadurch wird die amphibische Bewegung sehr schwierig. Die Russen sind zudem mittlerweile in der Lage, bei Tag und Nacht jede amphibische Bewegung zu erkennen, also jeden Versuch der Ukrainer, mit kleinen Booten den Fluss zu überqueren. Wenn die ukrainischen Marinekräfte versuchen anzulanden, werden sie gezielt mit Drohnen angegriffen und erleiden hier schwere Verluste. Vor allem die niedrigen Temperatur macht ihnen sehr zu schaffen. Die Frage ist deshalb, wie lange sie diesen Brückenkopf noch halten können. Bisher bindet der Brückenkopf auch russische Kräfte, die dann woanders nicht eingesetzt werden können. Trotzdem ist der Brückenkopf bei weitem nicht so belastbar, als dass er Ausgangspunkt für eine größere Offensive sein könnte. General Saluschny hat deswegen bereits angekündigt, zum Schutz der Soldaten möglicherweise Kräfte abziehen zu müssen.

Sehr, denn es geht hier um zwei ganz besondere Flugzeuge, die ganz vereinfacht dargestellt, vor allem der Führung der russischen Flieger und Fliegerabwehrsysteme sowie der Frühwarnung dienen. Im militärischen Sprachgebrauch nennt man diese Plattformen “Command and Control”: sie dienen also zur Kommunikation und zur Führung von verschiedenen Luftwaffeneinheiten. Eines der beiden Flugzeuge, die A-50, ist vergleichbar mit der in der NATO verwendeten AWACS (Airborne Warning and Control System), eine Art fliegendes Radarsystem. Davon haben die Russen nicht viele zur Verfügung, ungefähr zehn Stück, von denen circa die Hälfte einsatzbereit sind, also knapp fünf. Ein Abschuss dieser Systeme ist also ein massiver Verlust für die Russen. Das zweite Flugzeug, eine Il-22M, ist eine Art fliegende Kommandostation, die zumindest beschädigt wurde. Der Flieger dürfte noch gelandet sein.

Beides zeigt, dass die Ukraine, wenn sie sehr sorgfältig und genau plant, es mit den verfügbaren Systemen schafft, den Russen empfindliche Verluste zuzufügen. Auch ist es ihnen in den letzten Wochen gelungen, drei russische Jagdbomber vom Typ SU-34 abzuschießen, was dazu geführt hat, dass vor allem der Brückenkopf bei Krynky entlastet werden konnte. Die Russen waren dadurch nicht mehr in der Lage, Gleitbomben gegen den Brückenkopf einzusetzen.

Bei den zwei abgeschossenen beziehungsweise beschädigten Flugzeugen, handelt es sich wie erwähnt um ein Frühwarnflugzeug vom Typ A-50 und ein Führungs- und Kommunikationsflugzeuge vom Typ IL-22. Beide sind sehr langsame große Flugzeuge. Dagegen kann man mehrere Dinge einsetzen: Flugzeuge, die weitreichende Luft-Luft-Raketen abschießen oder bodengestützte Fliegerabwehrsysteme, die vom Boden aus diese Systeme bekämpfen können. Erkennen die bordeigenen russischen Fliegerabwehrsysteme nicht rechtzeitig, dass eine Rakete anfliegt, geht alles sehr schnell. Dann ist ein Abschuss kaum noch zu verhindern.

Da darf man den Anfang dieses Krieges nicht vergessen. In den ersten Wochen haben es die Russen geschafft, die ukrainische Luftwaffe signifikant zu treffen. Es gab nicht nur einige Abschüsse, sondern vor allem auch Zerstörung von Maschinen am Boden. Im Informationsraum, den die Ukraine klar für sich entschieden hat, ist das mehr oder weniger untergegangen. Tatsächlich ist es hier zu schweren Verlusten gekommen. Die Ukraine hat seit damals nicht genügend Plattformen, um sich gegen die russische Luftwaffe nachhaltig zu verteidigen. Darum hat die ukrainische Regierung bereits so früh um Kampfflugzeuge wie der F-16 gebeten, die jetzt erwartet werden. Der Kampf um die Lufthoheit ist noch nicht entschieden.

Das bedeutet, dass die Ukraine im Abwehrkampf gegen die strategischen Luftangriffe und den Vorstößen der russischen Seite, keine Parität der Kräfte hat. Das heißt, die Russen schaffen es immer wieder, trotz punktueller Erfolge der Ukraine, Schwergewichte zu verlagern. Durch den Abschuss der drei russischen Kampfflugzeuge SU-34 ist es den Ukrainer gelungen, den Druck auf den Brückenkopf bei Krynky zu verringern. Der Einsatz von Gleitbomben hat merklich nachgelassen. Aber was haben die Russen getan? Sie haben das Schwergewicht an eine andere Stelle der Front verlegt und dort begonnen, massiv diese Bomben einzusetzen. Dadurch ist auch die Ukraine gezwungen, ihre Kräfte dorthin zu verlagern, um diese Angriffe abzuwehren. Ohne die F-16 muss sie warten, bis neue Flugsysteme hereinkommen oder die wenigen kostbaren noch vorhandenen Kampfflugzeuge einsetzen, um den Angriffen etwas entgegenzusetzen.

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