Energietransformation: EU könnte Deutschlands Wasserstoff-Lücke schließen
ARCHIV – 23.06.2022, Baden-Württemberg, Öhringen: Der Hinweis Wasserstoff ist an einem Rohr in einem data-portal-copyright=
Deutschlands Wasserstoff-Bedarf lässt sich zu erheblichen Teilen aus europäischen Quellen decken. Das zeigt eine Studie der staatlichen Außenwirtschaftsgesellschaft GTAI.
In Europa entstehen beträchtliche Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff. Das hilft der deutschen Industrie, ihren Wasserstoffbedarf zu decken. Zugleich bieten sich für deutsche Unternehmen viele Möglichkeiten, sich am Aufbau der europäischen Wasserstoff-Wertschöpfungskette zu beteiligen.
Zu diesen Ergebnissen kommt eine Marktuntersuchung der staatlichen Außenwirtschaftsgesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI), die dem Handelsblatt vorliegt.
„Europaweit tut sich viel, daraus ergeben sich enorme Chancen für deutsche Unternehmen“, sagt Niklas Becker, einer der Autoren. Die Autoren haben verschiedene europäische Regionen untersucht.
Besonders groß sind die Potenziale demnach im Nordseeraum. Großbritannien, Norwegen und Dänemark planen den Aufbau von Produktionskapazitäten, die ihren eigenen Bedarf deutlich übersteigen.
Unter Berufung auf die European Hydrogen Backbone Initiative (EHB) heißt es in der GTAI-Untersuchung, man rechne 2030 mit einem Wasserstoffüberschussangebot der Nordseeanrainer von 70 Terawattstunden (TWh). Die EHB ist ein Zusammenschluss europäischer Unternehmen, die sich für den Aufbau einer europaweiten Wasserstoff-Leitungsinfrastruktur einsetzen.
Für Deutschland wird für 2030 ein Wasserstoffbedarf von 110 TWh erwartet. Nach Einschätzung der meisten Experten hat Deutschland das Potenzial, den künftigen Bedarf an klimaneutralem Wasserstoff zu 30 Prozent selbst zu decken. Der restliche Anteil soll aus dem Ausland importiert werden.
Große Potenziale im Nordseeraum
Dazu werden Wasserstoff-Partnerschaften mit Ländern geschlossen, die großes Potenzial zur Erzeugung von grünem Wasserstoff haben. Zu diesen Ländern zählen Australien, Marokko, Kanada oder etwa Chile.
Aber auch innerhalb Europas gibt es beträchtliche Potenziale. Das wird durch die GTAI-Studie deutlich.
Um den Wasserstoff der Nordsee-Anrainer nach Deutschland exportieren zu können, sind verschiedene Vorhaben im Gespräch. Zentrale Bedeutung hat dabei das Projekt „Aquaductus“: Die Wasserstoffpipeline in der deutschen Nordsee soll zur Sammelschiene werden für Wasserstoffleitungen aus Schottland oder Norwegen. Zusammen bilden die verschiedenen Pipelineprojekte ein Pipelinesystem, das von der EHB als „C-Korridor“ bezeichnet wird.
Eine Wasserstoffpipeline aus Norwegen könnte 2030 in Betrieb gehen, heißt es in der GTAI-Untersuchung. „Mögliche Wasserstoffabnehmer für den norwegischen Wasserstoff gäbe es, die ersten Energieversorger haben bereits Interesse bekundet“, heißt es in der GTAI-Untersuchung.
So hatte der deutsche Energiekonzern RWE 2023 eine Vereinbarung mit dem norwegischen Energieunternehmen Equinor über die Lieferung von Wasserstoff geschlossen. RWE will den Wasserstoff in Gaskraftwerken zur Stromproduktion einsetzen.
Finnland will über den Eigenbedarf hinaus Wasserstoff herstellen
Auch die Ostsee-Anrainer verfügen der GTAI-Untersuchung zufolge über große Potenziale für die Wasserstoffproduktion, das gilt beispielsweise für Finnland: „Finnland wird künftig mehr Wasserstoff herstellen, als es selbst braucht“, heißt es in dem Papier unter Berufung auf finnische Branchenzahlen. Finnland sei deshalb ein potenzieller Lieferant von Wasserstoff für Deutschland.
Die Autoren verweisen auf eine Reihe von Infrastrukturprojekten, die in Vorbereitung sind, die unter der Bezeichnung „D-Korridor“ zusammengefasst werden.
Auch die Potenziale in Südwesteuropa bewerten die GTAI-Experten hoch. Hier sehen sie 2030 einen Überschuss von 45 TWh, die nicht in den Produzentenländern benötigt werden und somit grundsätzlich für einen Export nach Deutschland oder in andere europäische Länder in Betracht kommen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei das Pipelinesystem „B-Korridor“, dessen Kern die geplante Leitung „H2med“ bildet.
Nur wenn alles reibungslos und synchron passiert, lassen sich die Ziele für 2030 erreichen.
GTAI-Experte Becker räumt ein, dass es eine Reihe von Unwägbarkeiten gibt, die Zweifel an den Zielen für den Aufbau einer europäischen Wasserstoff-Wertschöpfungskette wecken. Er ist aber dennoch zuversichtlich. „Nur wenn alles reibungslos und synchron passiert, lassen sich die Ziele für 2030 erreichen. Das ist ambitioniert, aber es ist möglich“, sagt er.
In den vergangenen Wochen und Monaten war kritisiert worden, es gebe viele Ankündigungen für Wasserstoffprojekte, es fehlten aber die finalen Investitionsentscheidungen. Eine Erhebung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Uni Köln (EWI) hatte dieser Kritik kürzlich neue Nahrung gegeben.
Demnach haben in Deutschland bislang nur Wasserstoff-Elektrolyseure mit einer Kapazität von 0,3 Gigawatt den Status „in Bau“ oder „finale Investitionsentscheidung liegt vor“ erreicht. Die Diskrepanz zu den mittelfristigen Zielen ist gewaltig. Bereits bis 2030 sollen nach den Plänen der Bundesregierung zehn Gigawatt fertiggestellt sein.